
Tiana Moser
Präsidentin des Schweizerischen Verbands für Weiterbildung SVEB
Was für eine Weiterbildung brauche ich, damit ich nicht durch die künstliche Intelligenz abgelöst werde? Und welche Weiterbildungen benötigt es, um in der Schweiz angesichts des demografischen Wandels auch künftig genügend Arbeits- und Fachkräfte zu haben? Aufgrund des technologischen und gesellschaftlichen Wandels stellen sich derzeit viele solche Fragen. Zurecht: Weiterbildung ist heute angesichts rascher Veränderungen wichtiger denn je. Und der Zugang zu Weiterbildung wird entscheidend dafür sein, wie gut die Schweiz diesen Entwicklungen begegnen kann.
Vor diesem Hintergrund erscheinen die Sparpläne des Bundesrates im Rahmen des «Entlastungspakets 27» wie aus der Zeit gefallen. Der Bundesrat will die Investitionen in die Weiterbildung drastisch kürzen oder gar ganz streichen. Dies, obwohl er selbst die Weiterbildung zuletzt noch als strategische Priorität, etwa zur Bewältigung des Fachkräftemangels und der digitalen Transformation, bezeichnet hatte. Dieser Entscheid ist nicht nur paradox, sondern auch fatal. Und fusst auf einer drastischen Fehleinschätzung der Bedeutung der Weiterbildung.
Bis in der Schweiz alle Zugang zu Weiterbildung haben, sind vor allem Menschen mit Grundkompetenzbedarf zu unterstützen. Das liegt in unserem gesamtgesellschaftlichen Interesse.
Leider stelle ich immer wieder fest, dass Weiterbildung verkannt, übersehen oder falsch verstanden wird. Darum möchte ich an dieser Stelle mit ein paar Missverständnissen und Vorurteilen aufräumen.
Weiterbildung ist nicht nur Privatsache
Der Weiterbildungsmarkt erreicht hierzulande vor allem die Gut-Qualifizierten: Sie bilden sich fünfmal häufiger weiter als Gering-Qualifizierte – nirgends sonst in Europa ist diese Differenz so gross. Das heisst: Sehr viele Erwachsene in der Schweiz haben keinen Zugang zu Weiterbildung. Gemessen am steigenden Weiterbildungsbedarf ist die Weiterbildungsteilnahme viel zu gering. Es ist also zu einfach zu sagen, der – offensichtlich funktionierende – Weiterbildungsmarkt komme ohne staatliche Unterstützung aus. Bis in der Schweiz alle Zugang zu Weiterbildung haben, sind vor allem Menschen mit Grundkompetenzbedarf zu unterstützen. Das liegt in unserem gesamtgesellschaftlichen Interesse.
Die Teilnahme an Weiterbildung kann erleichtert werden
Es gibt triftige Gründe, keine Weiterbildung zu besuchen. Viele Menschen, die Weiterbildungen im Bereich Grundkompetenzen brauchen (auch um die Lebensumstände zu verbessern), sehen sich oft nicht in der Lage, an solchen teilzunehmen. Der Schweizerische Verband für Weiterbildung SVEB hat in einem Projekt untersucht, was Menschen davon abhält, an Weiterbildung teilzunehmen. Als Gründe für eine Nicht-Teilnahme zählen zum einen objektive Hürden wie Geld, Zeit oder familiäre Verpflichtungen. Zum anderen aber beispielsweise auch subjektive Empfindungen wie verinnerlichte Defizitzuschreibungen und negativ erlebte Lernerfahrungen. Doch es gibt Möglichkeiten, eine Teilnahme zu erleichtern: Bildungsgutscheine oder Weiterbildungen im Betrieb beispielsweise können hier objektive Hürden verringern. Wir sollten als Gesellschaft darum alle Gelegenheiten nutzen, um den Zugang zu Weiterbildung so niederschwellig wie möglich zu gestalten.
Weiterbildungen sind mehr als nur Kurse
Viele denken beim Stichwort Weiterbildung vor allem an Kurse und Lehrgänge. Das gängige Bild: Ausbildende unterrichten eine Gruppe von Teilnehmenden. Doch das Spektrum der Weiterbildung ist viel breiter. Es reicht vom informellen Lernen am Arbeitsplatz bis zu mehrmonatigen Studiengängen in Bildungsinstitutionen. Von Präsenz- zu Hybridunterricht bis zu Virtual-Reality-Lektionen. Vom selbstorganisierten Lernen zur durchgetakteten Gruppenaktivität. Diese Vielfalt ist stets zu berücksichtigen, wenn wir von Weiterbildung sprechen. Sie garantiert eine enorme Flexibilität und Individualität, zeigt aber auch auf, dass wir differenzieren müssen, wenn wir von Weiterbildung sprechen.
Dass das Weiterbildungsangebot so breit ist, ist erfreulich
Wenn es um das Weiterbildungsangebot geht, heisst es oft, es sei unübersichtlich. Und angesichts der breiten Palette an Weiterbildungen ist das bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar. Weil die Nachfrage so vielseitig ist, ist es auch das Angebot. Und es entwickelt sich konstant weiter. Wir haben einen dynamischen, diversifizierten Weiterbildungsmarkt mit grossem Wettbewerb. Auch deswegen, weil alle, die in der Schweiz Weiterbildung anbieten möchten, dies tun können. Ich werte das positiv: Diese Vielseitigkeit belegt, dass der Weiterbildungsmarkt funktioniert und sich sehr gut selbst reguliert.
Weiterbildung ist nicht nur wichtig für die Karriere
Natürlich helfen Weiterbildungen dabei, die Karrierechancen zu optimieren oder Lebenslauf und Lohn zu verbessern, aber Weiterbildung ist und kann noch viel mehr. Es wäre darum verfehlt, sie lediglich als Instrument der Laufbahnoptimierung zu sehen. Gerade in der heutigen Zeit, in welcher der technologische Fortschritt riesige Sprünge macht, ist Weiterbildung eine Notwendigkeit. «Lebenslanges Lernen» ist nicht bloss eine Floskel oder ein frommer Wunsch, sondern die neue Realität. Wer an der Gesellschaft teilhaben will, in der Arbeitswelt funktionieren will, muss up to date bleiben. Und dies gewährleistet die Weiterbildung.
Sie sehen, hinter dem Begriff Weiterbildung steckt noch viel mehr, als die meisten annehmen. Wir sollten uns bewusst sein, welche Möglichkeiten und Chancen, aber auch welche Verantwortung wir mit der Weiterbildung haben. Und dieses mächtige Instrument der persönlichen Entwicklung möglichst allen zugänglich machen.
Text Tiana Moser, Präsidentin des Schweizerischen Verbands für Weiterbildung SVEB
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