unbeschte kin,   ihren eltern im park laufen. symbolbild professionelle familienbegleitung
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Familie Kinder

Familienbegleitung: Hilfe zu brauchen ist kein Zeichen von Versagen

14.09.2024
von SMA

Silvana Ferrari ist die Geschäftsführerin einer Winterthurer Agentur für Familienbegleitung. Im Interview mit «Fokus» erklärt sie, wann eine Familienbegleitung zum Einsatz kommen kann und was sie Eltern empfiehlt.

Silvana Ferrari,Geschäftsführerin

Silvana Ferrari
Geschäftsführerin

Silvana Ferrari, wie sind Sie zur Familienbegleitung gekommen und was motiviert Sie bei Ihrer Arbeit?

Ich war lange als Heilpädagogin tätig und kenne mich mit der Arbeit mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen aus. Bei meiner Arbeit sah ich deutlich, dass Kinder gewisse Verhaltensweisen zeigen, wenn sie zu Hause mit Herausforderungen konfrontiert sind, mit denen sie nicht umgehen können. Schon damals war mir klar, dass es wichtig wäre, enger mit den Eltern zusammenzuarbeiten. Die Idee für die Arbeit als Familienbegleiterin kam mir lustigerweise, als ich im Fernsehen die «Super Nanny» schaute. Sie besucht die Menschen zu Hause in ihrem familiären Umfeld. Ich dachte mir: Das ist es, was wir brauchen, um einfühlsam und professionell auf individuelle Dynamiken und Problemstellungen innerhalb einer Familie einzugehen. Ich absolvierte daraufhin den Master of Advanced Studies in Kinder- und Jugendhilfe an der ZHAW und gründete im Jahr 2011 akompa. Meine Motivation war und ist es, mich für das Wohl von Kindern einzusetzen.

Was ist eine Familienbegleitung und wann kommt sie zum Einsatz?

Die Familienbegleitung ist eine effiziente und niederschwellige Form der Hilfe. Sie kommt dann zum Tragen, wenn die Eltern nicht mehr in der Kraft sind und es ihnen nicht mehr gelingt, den Herausforderungen des Familienlebens adäquat zu begegnen. Zum Beispiel aufgrund von Krankheit, Arbeitslosigkeit, einem Kind mit besonderen Bedürfnissen oder unzähligen anderen Herausforderungen, die das Leben an uns stellt. Im Rahmen der Familienbegleitung gehen wir zu den Familien nach Hause und versuchen, gemeinsam mit ihnen die Probleme zu eruieren und zeigen ihnen konkrete neue Handlungsoptionen, damit sie ihren Kindern Sicherheit und Halt geben können. Was wir bieten, ist keine Beratung oder therapeutische Intervention, sondern praktische und alltagsnahe Lösungen für spezifische Probleme mit dem Ziel ist, dass die Eltern den Familienalltag in Zukunft wieder selbstständig bewältigen können. Das Leben ist komplex – mit Kindern erst recht. Sich einzugestehen, dass man Unterstützung braucht, ist nichts, wofür man sich schämen muss. Im Gegenteil: Es zeugt von grosser Stärke, wenn man sich dies eingestehen kann.

Die Familienbegleitung findet zu Hause statt. Wer begleitet die Familie auf diesem Weg und wie lange dauert das?

Das Angebot ist niederschwellig, bedingt aber, dass die Eltern sich darauf einlassen. Denn eine Familienbegleitung ist ein Prozess. Mit einem einmaligen Treffen können wir keine Veränderungen für komplexe Lebenssituationen anstossen. In den meisten Fällen arbeiten wir zwischen sechs und zwölf Monaten mit einer Familie. Die Familien werden von Expert:innen mit spezifischen Kompetenzen begleitet. Wir verfügen zum Beispiel über Fachleute aus Disziplinen wie Sozialpädagogik, Heilpädagogik, Psychologie sowie mit verschiedenen Spezialisierungen. So können wir einem breiten Spektrum an Problemlagen adäquat begegnen.

Können Sie Beispiele nennen, bei welchen Problemen Expert:innen helfen können?

Wir konzentrieren uns auf Familienalltagsprobleme. Das kann beispielsweise sein, wie man mit seinen Kindern spielt, um eine gute Beziehung zum Kind aufzubauen, oder auch wie man eine Tagesstruktur festlegt und eine Schlafenszeit-Routine einführt. In der Regel sind die Familien mit mehr als einer Herausforderung konfrontiert. Es sind komplexe Problemlagen, die sie zu uns führen. Zum Beispiel können Probleme am Arbeitsplatz, eine Beziehungskrise oder finanzielle Probleme Eltern an den Rand ihrer Geduld mit den Kindern bringen. In solchen Fällen versuchen wir, auch dort die Familien entsprechend zu vernetzen und mitzuhelfen, den Stress abzubauen. Unser Fokus liegt aber klar auf dem Wohl der Kinder, um ihnen ein Aufwachsen mit zugewandten und liebevollen Eltern zu ermöglichen.

Welche Themen beschäftigen Eltern am häufigsten?

Viele Eltern fühlen sich verunsichert und wissen nicht, wie sie der Elternrolle gerecht werden sollen. Diese Unsicherheit hindert sie oft daran, eine klare Haltung einzunehmen. Häufig wünschen sich Eltern Hilfe bei der Gestaltung von Tagesstrukturen, ebenso Schulverweigerung und Medienkonsum sind oft thematisierte Anliegen. Aber auch Diagnosen wie Depression, ADHS oder Autismus kommen zur Sprache. Hier haben die Eltern oft das Gefühl, nicht das Wissen oder die Mittel zu haben, um ihre Kinder adäquat zu unterstützen.

Wie können Eltern das Angebot in Anspruch nehmen?

Familien in Not sollten sich an ihren Kinderarzt, an Familien-, Kinder- und Jugendberatungsstellen oder Sozialberatung der Gemeinden wenden. Diese können sie an die richtigen Fachstellen weiterleiten und auch dabei helfen, Unterstützung zu erhalten, um die Kosten der Familienbegleitung zu decken.

Ich rate den Eltern, liebevoll mit sich selbst umzugehen und nicht den Anspruch an sich zu haben, unfehlbar zu sein. – Silvana Ferrari

Was würden Sie Familien raten, die Unterstützung brauchen?

Ich rate den Eltern, liebevoll mit sich selbst umzugehen und nicht den Anspruch an sich zu haben, unfehlbar zu sein. Man hat als Eltern nicht versagt, wenn die individuelle Situation die eigenen Möglichkeiten übersteigt. Fehler zu machen ist menschlich. Und wenn man einen Fehler gemacht hat, kann man sich auch dafür entschuldigen. Eltern sollen ihren Kindern das Leben mit all seinen Herausforderungen und Freuden vorleben. Wer sich aber überfordert fühlt, sollte sich so früh wie möglich Hilfe holen. Das ist nicht nur für die Eltern, sondern auch für das Kind das Beste.

In Bezug auf die Kinder ist wichtig, dass die Eltern sich auf sie einlassen und auch schwierige Momente aushalten. Kinder dürfen Frust abbauen und Fehler machen. Das sollen sie sogar, denn durch solche Situationen entwickeln sie sich weiter. Den Kindern im Familienalltag kleine Aufgaben zum Beispiel Ämtli– also eine sinnvolle Tätigkeit – zu geben, für die sie zuständig sind, ist entscheidend für ihre Entwicklung, denn es stärkt ihr Gefühl der Selbstwirksamkeit.

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