foto einer männer-  einer frauenhand,  einen negativen schwangerschaftstest halten. symbolbild kinwunsch
iStock/Adene Sanchez
Familie Kinder

Kinderwunsch im Wandel

14.09.2024
von Tatiana Almeida

Rund 10 bis 15 Prozent der Paare in der Schweiz haben mit einem unerfüllten Kinderwunsch zu kämpfen. Mit zunehmendem Alter der werdenden Eltern steigt auch das Risiko für Schwierigkeiten beim Schwangerwerden. «Fokus» sprach mit Prof. Dr. Günthert über seine Erfahrung in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe.

Prof. Dr. Günthert,Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, Gynäkologische Onkologie

Prof. Dr. Günthert
Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, Gynäkologische Onkologie

Ende der 90er-Jahre war die Rollen- und Geschlechterverteilung in der Gesellschaft stärker ausgeprägt. Im Fachbereich der Frauenheilkunde fühlte sich Prof. Günthert nicht wie ein «Exot». Männer waren damals in der Medizin noch deutlich übervertreten, was heute nicht mehr so ist. Vor 17 Jahren verzichtete er dann auf seine Arbeit im Bereich der Geburtshilfe aufgrund seiner Spezialisierung auf Tumorerkrankungen der Brust und der gynäkologischen Tumoren. Heute arbeitet er als einziger Mann in einem Team von 14 Ärztinnen in einer Gemeinschaftspraxis.

Immer älter Eltern werden

Laut dem Bundesamt für Statistik ist die Zahl der jungen Mütter stark rückläufig. Seit Beginn der 1970er-Jahre nimmt der Anteil der 30- bis 34-jährigen Mütter stetig zu. Auch der Anteil der Mütter, die 35 Jahre oder älter sind, steigt. Auch die Mehrheit der Männer ist zwischen 30 und 39 Jahre alt. Als Grund für diese Entwicklung nennt Günthert den gesamtgesellschaftlichen Wandel. Durch die industrielle und insbesondere die digitale Revolution, den starken Wunsch nach Selbstverwirklichung und ein hohes Verantwortungsbewusstsein ist das Alter bei der ersten Schwangerschaft gestiegen. Die Menschen wollen sich erst beruflich etablieren und finanzielle Sicherheit schaffen, bevor sie sich der Familienplanung widmen. Darüber hinaus haben die veränderten Beziehungsnormen und die gestiegenen Ansprüche an die Suche nach dem idealen Partner in den letzten Jahrzehnten die Situation komplexer und herausfordernder gemacht. Gleichzeitig ist die Lebenserwartung stark angestiegen, während sich die reproduktive Phase der Frau nicht an diese Veränderung angepasst hat.

Social Freezing

In der Schweiz werden jährlich mehrere tausend Eizellenentnahmen im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation (IVF) durchgeführt. Die entnommenen Eizellen dürfen hierzulande bis zu zehn Jahre aufbewahrt werden. Günthert befürwortet grundsätzlich die Entnahme und das Einfrieren von Eizellen bei der Frau. Es gibt auch medizinische Gründe, ein derartiges Verfahren zu fördern. Vor allem seinen jungen Krebspatientinnen rät er dazu, da die Eierstöcke durch die zum Teil sehr aggressiven Krebstherapien zerstört werden können. Hierfür gibt es ein etabliertes Netzwerk, das den Patientinnen und den behandelnden Ärzt:innen Unterstützung bietet.

Die Kosten für eine solche Behandlung werden derzeit noch nicht von den Krankenkassen übernommen und gelten als Selbstzahlerleistung. Es gibt jedoch die Möglichkeit in der Schweiz, die Kostenübernahme durch die Krankenkasse durch Kostengutsprache nach Begründung einzuholen.

Beeinflussung des Geschlechtes

Es gibt viele Methoden, wie zum Beispiel die «Shettles-Methode», die das Timing und die Bedingungen des Geschlechtsverkehrs das Geschlecht eines Babys beeinflussen können. Doch Günthert weist diese Theorien schmunzelnd zurück: «Es gibt viele Spekulationen, aber keine wissenschaftlichen Belege für solche Annahmen. Weder durch den Zeitpunkt, die Stellung noch durch das Scheidenmilieu lässt sich das Spermium bestimmen.» In der Schweiz ist die Geburtenrate bei Knaben etwas höher als bei Mädchen. Im Jahr 2023 waren es rund 41 000 Knaben und rund 39 000 Mädchen, die das Licht der Alpenwelt erblickten.

Reproduktionsmedizin stärken

Der noch relativ junge Fachbereich der Reproduktion steht erst am Anfang der Entwicklung. Es wird erwartet, dass es in den nächsten Jahrzehnten noch viele weitere Möglichkeiten geben wird, kinderlosen Paaren ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Günthert ist zwar kein Reproduktionsmediziner, aber er unterstützt die Reproduktionsmedizin wo immer möglich und erhofft sich vor allem aus politischer Sicht eine Verbesserung: «Die Politik sollte den Fachbereich der Reproduktion stärker unterstützen. Die Geburtenrate hat in den letzten Jahren einen negativen Trend verzeichnen lassen und eine Besserung ist derzeit nicht in Sicht.» In Zahlen ausgedrückt bedeutet das: Im vergangenen Jahr gab es schweizweit rund 80 000 Lebendgeburten.

Im Jahr 2021 waren es fast 90 000. Die Geburtenrate liegt damit unter 1,5, wobei alles unter 2 mittelfristig einen Rückgang des Nachwuchses bedeutet. Die Anwendung des Begriffes «Babyboomer» sind für Jahre nach den 1960ern daher ziemlich irreführend. Die Reproduktionsmedizin soll durch politische Unterstützung in Form von finanziellen Mitteln und Krankenversicherungsgesetzen diesem negativen Trend entgegenwirken.

Ratschläge für den Kinderwunsch

«Ich habe selbst drei Kinder und bin während meines Studiums Vater geworden», sagt Günthert. «Kinder benötigen keinen Luxus, sondern Zeit und Zuneigung», möchte er Menschen mit auf den Weg geben, die bezüglich des richtigen Zeitpunkts für eine Elternschaft verunsichert sind.

Zu den medizinischen Vorgaben gilt es einiges zu beachten. Durch Zyklustracking kann das fruchtbare Fenster der Frau ermittelt werden. Ausserdem soll die Aufnahme von Schadstoffen so weit wie möglich reduziert oder ganz vermieden werden. Dazu gehören zum Beispiel der Alkohol- oder der Nikotinkonsum. Frauen, die versuchen schwanger zu werden, sollten Folsäure einnehmen. Diese synthetische Form des B-Vitamins soll das Risiko für Spaltbildungen bei Neugeborenen senken. Ausserdem empfiehlt Günthert den Frauen einen Termin in ihrer Frauenarztpraxis für eine präkonzeptionelle Beratung zu vereinbaren. An diesem Termin wird mit dem Arzt oder der Ärztin die Familiengeschichte, Risikofaktoren und weitere Dinge besprochen, die in die Planung einer zukünftigen Schwangerschaft einfliessen.

Wenn nach zwölf Monaten der Versuch einer Schwangerschaft erfolglos bleibt, empfiehlt Günthert die Vereinbarung eines Termins in einem Kinderwunschzentrum. Diese Kliniken sind auf unerfüllten Kinderwunsch spezialisiert und beraten Paare ganz nach ihren Bedürfnissen.

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