ad(h)s ad(h)s – was ist ?
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Kinder

AD(H)S – Was ist das?

18.11.2023
von Linda Carstensen

Die Aufmerksamkeitsdefizitstörung mit oder ohne Hyperaktivität – auch AD(H)S genannt – wird immer häufiger diagnostiziert. In der Schweiz sind mindestens 200 000 Menschen betroffen und weltweit gut vier bis fünf Prozent. So wichtig die Behandlung auch ist, noch wichtiger ist die Aufklärungsarbeit.

AD(H)S ist eine vererbbare Stoffwechselstörung, die einen zu schnellen Umsatz der Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin im Gehirn verursacht. Diese Neurotransmitter sind zuständig für Aufmerksamkeit, Reizabschirmung, Impulskontrolle und Affektstabilisierung. Wenn sie zu schnell verbraucht werden, wird das Denken und Handeln über längere Zeit beeinträchtigt. Dies äussert sich in den typischen Symptomen, die bei ADHS auftreten. 

Diagnose AD(H)S

Die Diagnose einer AD(H)S-Erkrankung wird heute psychiatrisch gestellt. Dies geschieht über die ICD – die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme für medizinische Diagnosen. Es handelt sich also um eine wissenschaftliche Bestätigung dieser einschränkenden Erkrankung.

Die Zahl der diagnostizierten Personen nimmt kontinuierlich zu. Das liegt laut der AD(H)S-Coachin Anne Nissen daran, dass auch immer mehr Erwachsene untersucht werden. «Das Bewusstsein für AD(H)S steigt, weil die Fachgesellschaft gute Arbeit leistet. Elpos – der Dachverband für Betroffene und Angehörige – leistet hier viel Unterstützung», erklärt Nissen. 

Das Problem bei der Erkennung der Krankheit ist, dass es für die Betroffenen schwierig ist, die Beeinträchtigungen selbst wahrzunehmen, weil eben die Wahrnehmung betroffen ist. So merken Kinder oft erst nach der Diagnose im Rahmen der Psychoedukation, dass sie an einer AD(H)S leiden. Die auffälligen Verhaltensweisen zeigen sich vor allem bei grossen Veränderungen, wie zum Beispiel beim Übergang vom Kindergarten in die erste Klasse. Die Pubertät, während welcher weniger Dopamin produziert wird, kann dieses Verhalten verstärken. 

So äussert sich die AD(H)S

Die Aufmerksamkeitsschwäche ist ein typisches Anzeichen für AD(H)S, das oft erst bei der Einschulung von Lehrpersonen bemerkt wird. Das Kind kann im Kreis nicht still sitzen, folgt den Anweisungen der Lehrpersonen kaum bis gar nicht und fällt durch Streit auf dem Pausenplatz auf. Diese Unaufmerksamkeit tritt bloss in weniger interessanten Situationen, die den Betroffenen langweilig oder monoton erscheinen, auf. Die Betroffenen können wiederum sehr aufmerksam sein, wenn sie vor einer kreativen Aufgabe stehen und von etwas begeistert sind. Dies wird Hyperfocus genannt. In solchen Situationen kann die Aufmerksamkeit dieser Menschen extrem steigen.

Auch im Erwachsenenalter kann die Störung zu Misserfolgen führen, beispielsweise zu einem beruflichen Fiasko. Ob in der Schule oder im Unternehmen: Betroffene können keine Prioritäten setzen. Sie folgen dem Lustprinzip: Wenn sie keine Lust haben, eine Aufgabe zu erledigen, tun sie es nicht. Dann ist von Prokrastination die Rede. Das ist schwierig, denn: «Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir leisten müssen», so Nissen. 

Bei Mädchen wird die Erkrankung oft erst spät diagnostiziert. Insbesondere wenn sie eine Familie gründen und ihren Kindern beibringen müssen, wie sie ihr Leben organisieren können oder wie sie mit Frustration umgehen sollen, zeigt sich die AD(H)S. Wenn sich diese Krisenmomente summieren, kann es sogar zu einem Burn-out kommen.

Die Krankheit bleibt: Wie wird AD(H)S behandelt?

Damit solche AD(H)S-typischen Verhaltensmuster verändert werden können, braucht es vor allem eines: «Um das eigene Handeln verändern und steuern zu können, müssen Menschen Reflexion darüber betreiben können», erklärt Nissen. Doch diese Selbstreflexion ist für Betroffene sehr schwierig, da sie aufgrund ihrer Impulsivität Situationen häufig nicht so wahrnehmen wie die Mehrheit der anderen.

Das Wichtigste bei der Diagnose ist, dass die Eltern darin geschult werden, was sie durch ihre Reaktionen und ihre Erziehung bewirken können – und dem nicht entgegenwirken. Wenn ein Kind beispielsweise wenig innere Struktur hat, müssen die Eltern ihm äussere Struktur geben. Auch in der Schule ist Psychoedukation unerlässlich. Lehrpersonen müssen für die AD(H)S sensibilisiert werden. Sie sollten versuchen, die Aufmerksamkeit des Kindes wieder auf den Unterricht zu lenken und das Kind dabei zu unterstützen, zu sich selbst zu finden.

In den meisten Fällen empfiehlt ein:e Spezialist:in nach der Diagnose eine Medikation. Damit soll der Dopamin-Mangel im Gehirn ausgeglichen werden, was wiederum für mehr Fokus und eine bessere Regulation von Emotionen sorgen soll. Medikamente können Kinder etwa ab dem Kindergartenalter einnehmen. Laut Expert:innen sollte eine potenzielle Erkrankung so früh wie möglich erkannt und behandelt werden, damit eine der ersten grossen Veränderungen, die Einschulung, gut gelingt. 

Neben der medikamentösen Behandlung können auch Verhaltens- und Ergotherapie helfen. Häufig ist das Sozialverhalten der Betroffenen gestört, sodass die Reflexion über Reaktionen auf bestimmte Situationen sehr hilfreich sein kann. Bei der Ergotherapie steht die Handlungsfähigkeit der Individuen im Vordergrund. Die Betroffenen sollen herausfinden, wie sie an Probleme herangehen können, um sie selbst zu lösen.

Grundsätzlich ist es wichtig, dass sich die Betroffenen und ihr näheres Umfeld der Begleiterscheinungen und Risiken einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung bewusst sind. Lernschwierigkeiten, Ängste, Depressionen, Konzentrationsschwäche, Unaufmerksamkeit und auch Suchterkrankungen sind häufige Begleiterscheinungen, die Betroffene zusätzlich einschränken. Je früher die Diagnose gestellt wird, desto höher ist die Chance, dass die Betroffenen doch noch lernen, ihr hohes Potenzial auszuschöpfen und zu einem erfüllten Leben finden.

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Es gibt drei Typen von AD(H)S

In 60 Prozent der Fälle macht sich bei den Betroffenen ein Mischtyp aus Impulsivität und Unaufmerksamkeit bemerkbar. In 30 Prozent der Fälle fällt die impulsive Hyperaktivität weg – die Betroffenen werden häufig als Träumer:innen wahrgenommen. Allerdings findet sich auch bei ihnen eine innere Hyperaktivität, die sich in vermehrtem nonverbalen Nachdenken äussert. In 10 Prozent der Fälle liegt eine reine Impulsivität vor, die sich typischerweise bereits im Kindergarten zeigt.

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