Der deutschen Jugend geht es schlecht. Zu diesem erschütternden Schluss gelangt, wer sich mit aktuellen Untersuchungen auseinandersetzt. Während die psychische Gesundheit vieler junger Menschen schon vor der Pandemie litt, hat die Corona-Zeit dieses Problem nochmals massiv verschärft.
Die Lage ist ernst: Laut eines Berichts von Unicef sei der mentale Gesundheitszustand von deutschen Jugendlichen schon vor der Covid-19-Pandemie alarmierend gewesen. Damals wiesen fast 18 Prozent der Kinder und Jugendlichen psychische Auffälligkeiten auf. Etwa 15 Prozent von ihnen litten unter Angstsymptomen, während zehn Prozent depressive Symptome zeigten. Diese Zahlen verdeutlichen die bereits bestehenden Herausforderungen im Bereich der psychischen Gesundheit junger Menschen. Ein Jahr nach Beginn der Pandemie hatte sich die Situation weiter verschlechtert. Fast jedes dritte Kind litt unter psychischen Auffälligkeiten.
Zu Beginn dieses Jahres erklärten die Bundesministerien für Familie und Gesundheit in Bezug auf einen Bericht einer interministeriellen Arbeitsgruppe, dass immer noch 73 Prozent der Jugendlichen psychisch belastet sind. Besonders betroffen seien gemäß Bundesfamilienministerin Lisa Paus Kinder aus ärmeren Familien, der Nachwuchs von alleinerziehenden Eltern sowie Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund. Auch junge Menschen, die in beengten Verhältnissen aufwachsen oder Eltern mit psychischen Problemen haben, seien einem erhöhten Risiko für mentale Erkrankungen ausgesetzt.
Keine Prio
Der Grund dafür, dass die Pandemie-Zeit den jungen Menschen derart zugesetzt hat, sehen Fachleute in der Tatsache begründet, dass den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen in dieser Zeit kaum Beachtung geschenkt wurde. Die Jugend genoss keine Priorität, ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit und Unsicherheit machte sich breit.
Die Bundesregierung anerkennt die Dringlichkeit der Situation und betont die Notwendigkeit, junge Menschen bei der Bewältigung der psychischen und psychosozialen Belastungen zu unterstützen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) unterstrich in einem Statement die Bedeutung eines schnelleren Zugangs zur therapeutischen Versorgung. Dies würde es den betroffenen Jugendlichen ermöglichen, rechtzeitig die Unterstützung und Behandlung zu erhalten, die sie benötigen.
Die interministerielle Arbeitsgruppe empfiehlt außerdem den Ausbau schulpsychologischer Dienste. Ab dem kommenden Schuljahr sollen Mental Health Coaches an Schulen tätig sein, um bei Fragen zur mentalen Gesundheit sowie bei akuten psychischen Krisen Unterstützung zu bieten. Sie werden Kindern und Jugendlichen bei Sorgen und Problemen zur Seite stehen und in akuten Krisen eine erste psychische Hilfe erbringen. Es sei von entscheidender Bedeutung, dass sowohl das Bildungssystem als auch das Gesundheitswesen zusammenarbeiten, um eine umfassende Unterstützung für junge Menschen mit psychischen Problemen zu gewährleisten. Frühzeitige Interventionen, leichterer Zugang zu Therapien sowie eine verbesserte psychosoziale Unterstützung könnten dazu beitragen, die psychische Gesundheit der deutschen Jugendlichen zu verbessern und langfristige Auswirkungen zu minimieren.
Langes Warten auf Therapieplatz
Die genannten Maßnahmen sind sinnvoll. Doch diese in die Praxis umzusetzen, gestaltet sich schwierig, wie ein ZDF-Beitrag vom Januar dieses Jahres offenbart: Denn wer bei Ängsten oder Depressionen Hilfe sucht, findet oft keinen Therapieplatz; seit Jahren sei das der Fall. Dabei hatte die Ampel versprochen, mehr Kapazitäten zu schaffen, wird im Beitrag betont. Darin kommt auch Guido Neumann zu Wort, Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche in Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern. Früher habe er zwei bis drei Anfragen pro Woche bekommen, inzwischen seien es bis zu zehn. Viele seiner Patientinnen und Patienten litten unter Angststörungen oder Depressionen. Während Corona hätten fehlende Sozialkontakte sowie zunehmende familiäre Konflikte diese Probleme verstärkt. Besonders prekär: Laut Neumann können sich psychische Erkrankungen, die nicht therapiert werden, chronifizieren. Guido Neumann kann seine Behandlungen über die Krankenkasse abrechnen. Wer keinen Platz bei einem Therapeuten mit Kassensitz findet, müsste Therapiestunden privat bezahlen – doch viele Betroffene können sich das nicht leisten.
Im Schnitt warten Betroffene derzeit knapp fünf Monate auf einen Therapieplatz (Stand: anfangs 2023). Die Regierung hatte versprochen, Wartezeiten zu reformieren. Bisher hat sich in diesem Bereich gemäß ZDF-Beitrag nichts getan. Dass ihre Bedürfnisse keine Priorität genießen, sind sich junge Menschen zumindest bereits gewohnt.
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