Bertrand Piccard ist ein Schweizer Entdecker, Umweltschützer und Pionier für nachhaltige Innovationen. Weltweit bekannt wurde er als Pilot von Solar Impulse 2, dem ersten und einzigen solarbetriebenen Flugzeug, das die Welt umrundete und damit das Potenzial sauberer Technologien demonstrierte. Er ist ebenfalls Initiator und Präsident der Stiftung Solar Impulse, die innovative Lösungen fördert, die sowohl rentabel als auch ökologisch nachhaltig sind. Diese Initiative überbrückt die Kluft zwischen Ökologie und Ökonomie und zeigt, dass nachhaltiges Wirtschaften nicht nur notwendig, sondern auch wirtschaftlich machbar ist.
Bertrand Piccard, der Trend geht immer mehr in Richtung nachhaltiges Wirtschaften. Was ist Ihrer Meinung nach der Schlüssel zu einem Gleichgewicht zwischen Ökonomie und Ökologie?
Zunächst müssen wir die wirtschaftliche Situation verstehen, in der wir uns heute befinden. Wir leben in einer quantitativen Wirtschaft, in der es darum geht, immer mehr zu immer niedrigeren Preisen zu produzieren und zu verkaufen, um die Konkurrenz auszustechen. Die Folgen sind niedrige Löhne und wachsende soziale Ungleichheiten, aber auch geringe Gewinnspannen und viel Abfall und Umweltverschmutzung. Dies ist nicht nur ein Umweltproblem, sondern auch ein soziales und wirtschaftliches Problem – ein System, von dem niemand profitiert.
Der Schlüssel zu einem Gleichgewicht zwischen Ökonomie und Ökologie ist der Übergang zu einer qualitativen Wirtschaft, in der wir weniger verkaufen, aber mehr Qualität haben. Mit diesem Ansatz können Unternehmen ihre Produkte zu einem höheren Preis anbieten und ihre Margen verbessern. Und die Konsument:innen können sich teurere Produkte leisten, weil sie sie seltener ersetzen müssen. Dies wirkt sich positiv auf die Wirtschaft, die Umwelt und die Gesellschaft aus.
Dies fördert innovative Geschäftsmodelle, insbesondere den Verkauf von Dienstleistungen anstelle von Produkten. Ein Beispiel dafür ist PragmaCharge, ein Unternehmen, das nicht die Elektro-Lkw, sondern die gefahrenen Kilometer verkauft. Das Unternehmen kümmert sich um die Fahrzeuge und die Ladestationen, während die Kunden nur für die gefahrenen Kilometer bezahlen. Langfristig ist das für die Kunden profitabler, da sie nicht die Betriebskosten tragen müssen. In einer qualitativen Wirtschaft gibt es viele Möglichkeiten für Unternehmen, durch umweltfreundliches Handeln Gewinne zu erzielen.
Welche Prinzipien müssen Organisationen und politische Entscheidungsträger annehmen, um nachhaltiges Management zu erreichen?
Organisationen und politische Entscheidungsträger sollten sich auf vier Schlüsselprinzipien konzentrieren: Vorrang des Gewinns vor den Einnahmen, Berücksichtigung der Gesamtbetriebskosten und nicht nur der Anfangsinvestitionen, Steigerung der Effizienz und Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkungen sozialer Probleme.
Erstens ist es von entscheidender Bedeutung, den Gewinn über die Einnahmen zu stellen. Die Konzentration auf den Gewinn und nicht nur auf die Steigerung der Einnahmen kann zu nachhaltigeren Geschäftspraktiken führen. Wenn z. B. die Hersteller von Mobiltelefonen verpflichtet würden, eine fünfjährige Garantie auf ihre Produkte zu gewähren, würden sie vielleicht weniger Geräte verkaufen, dafür aber zu höheren Preisen. Dies kann trotz eines geringeren Gesamtumsatzes zu einer höheren Rentabilität für das Unternehmen führen und ist auch für die Kunden erschwinglicher.
Zweitens ist es wichtig, die Gesamtbetriebskosten und nicht nur die Anfangsinvestition zu bewerten. Viele Unternehmen konzentrieren sich stark auf die Investitionskosten, während sie die langfristigen Betriebskosten unterschätzen. In einer nachhaltigen Wirtschaft können die Anfangsinvestitionen höher sein, aber die langfristigen Betriebskosteneinsparungen können dies ausgleichen. Nachhaltiges Management erfordert eine ganzheitliche Sichtweise, die sowohl kurz- als auch langfristige Auswirkungen berücksichtigt.
Drittens ist die Steigerung der Effizienz von entscheidender Bedeutung. Organisationen sollten danach streben, bessere Produkte und Dienstleistungen mit weniger Ressourceneinsatz zu produzieren. Dies senkt nicht nur die Kosten, sondern minimiert auch die Umweltbelastung und trägt somit zur Nachhaltigkeit bei.
Schliesslich ist es wichtig, neben der moralischen Dimension auch die wirtschaftlichen Auswirkungen sozialer Fragen zu berücksichtigen. Aus ökonomischer Sicht wirkt sich Armut negativ auf die Rentabilität aus. Die Bewältigung sozialer Probleme wie Armut kann zu einer stabilen und wohlhabenden Wirtschaft führen, was sowohl den Unternehmen als auch der Gesellschaft als Ganzes zugutekommt. Nachhaltiges Management erfordert die Einbeziehung sozialer Erwägungen in wirtschaftliche Strategien.
Die Welt ist heute oft fragmentiert: Die Industrie konzentriert sich nur auf den Profit, die Umweltschützer:innen nur auf die Umwelt, die Linke nur auf soziale Fragen und die Rechte nur auf die wirtschaftliche Entwicklung. – Bertrand Piccard, Schweizer Entdecker, Umweltschützer und Pionier für nachhaltige Innovationen
Welches sind die grössten Herausforderungen für Unternehmen bei der Einführung nachhaltiger Praktiken und wie können sie überwunden werden?
Eine der grössten Herausforderungen ist die Wettbewerbsverzerrung. Viele Unternehmen konzentrieren sich auf kurzfristige Gewinne, wodurch diejenigen, die die Gesamtbetriebskosten berücksichtigen, einen Wettbewerbsnachteil erleiden.
Ich glaube, dass die Regierungen bei der Lösung dieses Problems eine entscheidende Rolle spielen müssen. Sie können dazu beitragen, Verzerrungen zu beseitigen, indem sie Vorschriften einführen, die Nachhaltigkeit, eine qualitativ hochwertige Wirtschaft und grössere Effizienz fördern. Der derzeitige Rechtsrahmen lässt häufig Ineffizienz, Umweltverschmutzung und kurzfristiges Denken zu, was von einigen Unternehmen ausgenutzt wird. Die Regierungen sollten die Einführung der neuesten und effizientesten Systeme, Verfahren und Technologien durchsetzen, um sicherzustellen, dass alle Unternehmen nachhaltig arbeiten.
Marktregulierungen werden aber von vielen nicht gerne gesehen…
Manche argumentieren gegen staatliche Regulierung, dass wir in einem freien Markt arbeiten, aber das ist nicht ganz richtig. Der Wettbewerb wird verzerrt, weil externe Effekte nicht in die Kosten eingerechnet werden. Unternehmen, die CO2 ausstossen, haben oft niedrigere Betriebskosten, während die Allgemeinheit und die öffentlichen Dienste die finanziellen und ökologischen Folgen tragen. Das ist ungerecht, da die Last der Bewältigung dieser Probleme auf andere abgewälzt wird.
In einem wirklich freien Markt müssen für alle Teilnehmer die gleichen Regeln gelten. Derzeit sind die Regeln nicht einheitlich, was zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen führt. So ist beispielsweise die Abholzung von Wäldern in Europa verboten, während die Einfuhr von Produkten aus der Abholzung in anderen Ländern weiterhin legal ist, was den Wettbewerb weiter verzerrt. Die EU geht dieses Problem an, indem sie eine CO₂-Steuer an der Grenze einführt. Diese zwingt ausländische Hersteller, die gleichen Umweltstandards einzuhalten oder eine Steuer zu bezahlen.
Das Ziel ist nicht mehr zu regulieren, sondern eine moderne und effizientere Regulierung zu schaffen, die für Fairness und Nachhaltigkeit auf dem Markt sorgt.
Wie sehen Sie die Rolle der Technologie in diesem Wandel?
Es wird oft gesagt, dass neue Technologien uns retten werden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dies oft als Ausrede benutzt wird, um nicht schon heute mit dem Wandel zu beginnen. Ich glaube nicht, dass wir neue Technologien brauchen. Wir haben bereits viele, um die Umwelt zu schützen und Gewinne zu erwirtschaften.
Deshalb konzentriert sich die Stiftung Solar Impulse auf bestehende Technologien, die meisten davon sind nicht einmal Hightech. Zum Beispiel kann ein System in einer Fabrik, das die Wärme aus den Schornsteinen zurückgewinnt und in die Fabrik zurückleitet, die Energiekosten und die Emissionen erheblich reduzieren. Oder Abfälle werden nicht mehr auf Deponien gelagert, sondern zu Baustoffen wie Beton oder Ziegeln weiterverarbeitet.
Woher kam die Inspiration für die Stiftung Solar Impulse?
Die Idee entstand durch meine Erfahrungen bei der Weltumrundung mit Solar Impulse 2. Die Diskrepanz zwischen diesem leisen, mit sauberer Energie betriebenen Flugzeug und der weitverbreiteten Ressourcenverschwendung und Umweltverschmutzung im Rest der Welt war offensichtlich. Viele der Systeme, auf die wir uns heute verlassen, wurden zu Beginn des Erdölzeitalters entwickelt und wir haben uns daran gewöhnt, mit ineffizienten und verschwenderischen Produkten und Dienstleistungen zu leben, deren Modernisierung überfällig ist.
Die Stiftung Solar Impulse hat sich zum Ziel gesetzt, moderne und effiziente Lösungen zu finden und zu fördern. Seit dem Start der Initiative 2016 haben wir mehr als 1600 Lösungen identifiziert, die sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoll sind und Sektoren wie Wasser, Energie, Bau und Abfallwirtschaft abdecken. Unsere Aufgabe ist es, diese Lösungen zu fördern.
Wie hat Ihr Hintergrund als Psychiater Ihre Sichtweise auf das Thema beeinflusst?
Mein Hintergrund als Psychiater hat mir ein tiefes Verständnis für menschliches Verhalten vermittelt. Das gibt mir eine einzigartige Perspektive auf die Herausforderungen, vor denen wir heute stehen. Eine der wichtigsten Beobachtungen, die ich gemacht habe, ist der starke Widerstand der Menschen gegen Veränderungen und die Angst vor dem Unbekannten. Diese Mentalität trägt zu vielen der Probleme bei, mit denen wir uns konfrontiert sehen, da die Menschen es oft vorziehen, in ihrer Komfortzone zu bleiben. Praktiken, die vor 60 Jahren funktioniert haben, sind angesichts des Bevölkerungswachstums und der ökologischen Herausforderungen von heute nicht mehr angemessen.
Um einen sinnvollen Wandel herbeizuführen, ist es wichtig, die Vorteile hervorzuheben und aufzuzeigen, wie sie unser Leben verbessern können. Nachhaltigkeit wird derzeit oft als etwas dargestellt, das teuer ist und Opfer erfordert. Dadurch entsteht der falsche Eindruck, dass das Streben nach Nachhaltigkeit Individuen dazu zwingt, auf Komfort zu verzichten und Unternehmen dazu, auf Gewinne zu verzichten. Das ist aber nicht der Fall. Wir müssen unsere Sichtweise ändern und uns mehr auf Lösungen als auf Probleme konzentrieren. Nachhaltige Praktiken können unmittelbare Vorteile bringen – nicht nur für künftige Generationen – und sie eröffnen neue Geschäftsmöglichkeiten, die langfristig profitabler sind. Wir müssen uns nicht zwischen einer nachhaltigen Umwelt und einer florierenden Wirtschaft entscheiden, wir können beides haben.
Was ist die wertvollste Lektion, die Sie auf Ihrer Reise zur Förderung der Nachhaltigkeit gelernt haben?
Es ist wichtig, realistisch und nicht idealistisch zu sein. Unser Ziel sollte es sein, greifbare Ergebnisse zu erzielen. Die Welt ist heute oft fragmentiert: Die Industrie konzentriert sich nur auf den Profit, die Umweltschützer:innen nur auf die Umwelt, die Linke nur auf soziale Fragen und die Rechte nur auf die wirtschaftliche Entwicklung. Dieser fragmentierte Ansatz ist jedoch unrealistisch. Es bringt nichts, isoliert zu arbeiten oder mit anderen Ansichten zu streiten. Wenn wir zusammenarbeiten, können wir viel mehr erreichen.
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