Interview von Kevin Meier

Andri Ragettli: Dank positivem Mindset und Disziplin auf bestem Weg zurück auf die Piste

Nach einer schweren Knieverletzung beeindruckt der Freestyle-Skifahrer Andri Ragettli mit seinem unerbittlichen Kampf zurück zu seinem gewohnten Leistungsniveau. Im Interview mit «Fokus» erzählt er, woher seine Inspiration, sein Durchhaltevermögen und seine Freude kommen. 

Nach einer schweren Knieverletzung beeindruckt der Freestyle-Skifahrer Andri Ragettli mit seinem unerbittlichen Kampf zurück zu seinem gewohnten Leistungsniveau. Im Interview mit «Fokus» erzählt er, woher seine Inspiration, sein Durchhaltevermögen und seine Freude kommen. 

Andri Ragettli, Sie erlitten Anfang Jahr eine schwere Knieverletzung, die Genesung nahm viel Mühe in Anspruch. Wie hat Sie diese Zeit verändert?

Vom Weltmeister, der gerade noch um Doppelgold kämpfte, zum verletzen Knie in wenigen Sekunden war hart. Zum Glück habe ich vor dieser Verletzung gelernt, immer wieder nach vorne zu schauen, mich der Situation anzupassen und mir neue Ziele zu setzen. Ich habe schon wenige Tage nach dem Vorfall meinen Mut wiedergefunden, war in besten Händen und fokussierte mich auf meine Reha. Alles andere war zweite Priorität. Dabei hatte ich einen strengen Alltag. Viele dachten: «Ja, jetzt hat er viel Zeit.» Ich war aber froh, stets an etwas arbeiten zu können, da die Reha und all meine anderen Projekte viel Zeit in Anspruch nahmen. Mir ist wichtig, dass ich verschiedene Projekte am Laufen habe, so habe ich mehrere Standbeine, obwohl der Sport klar mein Fokus ist.

Wie raffen Sie sich nach einer Niederlage wieder auf?

Positives Denken ist alles. Ich habe nach dem Sturz immer positiv gedacht und die Anweisungen meines Arztes zu 100 Prozent umgesetzt. Da bin ich mittlerweile Perfektionist, weil ich aus einer früheren Verletzung gelernt habe, dass es Zeit braucht und man einfach stillhalten muss. Das ist für jemanden wie mich nicht einfach – aber wenn ich ein Ziel habe, dann ordne ich dem alles andere unter. Somit gibt es aber wieder neue Möglichkeiten, beispielsweise mehr Zeit zum Lesen, Planen von künftigen Projekten und Ähnliches. So wird mir dann doch nie langweilig (lacht).

Zur Motivation lesen Sie gerne Selbsthilfe-Literatur. Welches Buch hat Sie besonders beeindruckt?

Da gibt es viele. Eines meiner Lieblingsbücher ist «Can’t Hurt Me» von David Goggins. 

Was möchten Sie dieses Jahr noch erreichen?

Erste Priorität hat, dass ich gesund und fit zurückkehren und wieder an der Spitze mitfahren kann. Ich bin überzeugt, dass es so sein wird, auch wenn es ein harter Weg ist.

Was hilft Ihnen dabei, sich Ziele zu setzen?

Ich schreibe sie auf, mache mir Gedanken darüber und visualisiere sie. Ein wichtiger Schritt ist, das Chaos im Kopf zu entwirren und einen Plan zu erstellen: Was will ich erreichen und was muss ich dafür tun? 

Das hilft und alle können das ausprobieren, beispielsweise mit einem Visual-Board. Nach einem Jahr sieht man schnell, welche Dinge man umsetzen konnte, obwohl man sie zu Beginn kaum für möglich gehalten hat. Das macht stolz!

Wie schaffen Sie es, über lange Zeit diszipliniert und fokussiert zu bleiben, ohne die Freude am Tun zu verlieren?

Ich bin so motiviert, weil nach einem erreichten Ziel bereits die nächste Idee entsteht. Es geht mir besser, wenn ich zielbewusst durchs Leben schreite. Eine Zielsetzung durch harte Arbeit zu erreichen, macht mich stolz und glücklich. Es lohnt sich auch, für beschwerliche Ziele zu kämpfen. Trotzdem steht die Freude an oberster Stelle. Schwierige Momente voller Zweifel gibt es zwar manchmal. Gerade in diesen ist es aber wichtig, diszipliniert weiterzuarbeiten und an sich zu glauben. Es geht nicht immer steil bergauf, es gibt überall einmal Rückschläge.

Zu wem schauen Sie auf?

Zu meinen Vorbildern gehört Cristiano Ronaldo wegen seiner harten Arbeit. Er gibt mehr für seinen Traum als andere; er arbeitet unermüdlich und strebt nach Perfektion. Das inspiriert mich! Er wirkt authentisch und versteckt seinen Ehrgeiz nicht. Ein weiteres grosses Vorbild ist Roger Federer. Ich mag seine Bodenständigkeit und Klasse. Er lässt sich von niemandem etwas sagen. Er hat Kritisierenden mit Taten schon so oft «den Mund gestopft». Und wie erwähnt, der Ex-Navy-Seal David Goggins. Ich möchte einmal mental so stark sein wie er. Ein unaufhaltbares Mindset – das will ich mir auch erarbeiten!

Welche Sportart möchten Sie noch ausprobieren?

Ich liebe Sport sehr, daher bin ich für alles zu haben. Letztens habe ich versucht, auf einer Slackline über den Caumasee zu laufen. Keine Chance, obwohl ich das gut kann. Das muss ich noch üben (lacht). Aber ich würde auch sehr gerne wieder mal surfen gehen. 

Worin sind Sie richtig schlecht?

Kochen. Ich habe einfach keine Lust, meine Zeit dafür aufzuwenden. Deshalb kann ich es nicht. Ich würde aber behaupten, dass ich nur schlecht in Dingen bin, die mich nicht interessieren. Sonst würde ich alles geben, um es zu lernen und gut zu werden. Ein Privatkoch für gesundes, vegetarisches Essen – das wäre mein Traum!

Was würden Sie Jugendlichen raten, die noch nicht wissen, was sie in ihrem Leben verfolgen möchten?

Sucht euch jemanden, der euch inspiriert. Seien es grosse Geschwister, Sportler:innen oder Künstler:innen, egal wer. Schaut euch genau an, was diese Person macht. Vielleicht gibt es sogar Bücher über das Vorbild. Ich wusste früher auch nicht, wie mein Weg aussehen wird, nur, dass ich Profi werden wollte. Durch verschiedene Sportbiografien konnte ich schon viel lernen. Es bereichert mich, von all diesen Menschen mit mehr Erfahrung, das Beste rauspicken zu können. Mein Ratschlag ist also, sich inspirieren lassen und zeigen, dass man dasselbe erreichen kann. Aber immer mit dem Wissen im Hinterkopf, dass jeder Weg anders ist und man niemanden kopieren muss. Auch wenn das Ziel zunächst grössenwahnsinnig erscheint: Es in Etappen runterbrechen und eines nach dem anderen erreichen. Rückblickend wird man sehen, was man erreicht hat und ist motiviert, den nächsten Abschnitt zu meistern. Let’s go!

 

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Bild Gian Ragettli

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02.11.2021
von Kevin Meier
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