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Ein Hoch auf die Hormone

17.06.2023
von Rüdiger Schmidt-Sodingen

Immer mehr Frauen entscheiden sich gegen die Pille und die kontinuierliche Einnahme künstlicher Hormone. Was bedeutet das für die Gesundheit und das Wohlbefinden?

Der Kampf um die Hormone begann sicher nicht erst in den 1960er-Jahren. Aber die sich verändernde Rolle der Frau, die sexuelle Befreiung und die Gleichberechtigung wurden in dieser Zeit erstmals öffentlich diskutiert und nicht zuletzt auch von Männern wie selbstverständlich in Bezug zum weiblichen Körper gesetzt. Analog zum angeblich immer fitten Körper der Männer sollte auch der weibliche Körper möglichst dauerhaft funktionieren. In ihrem Artikel »Die ältere Frau und die Hormone«, der 2018 im Wissenschaftsmagazin Uni Nova der Universität Basel erschien, zeigte Irène Dietschi anhand eines Treffens mit dem Gynäkologieprofessor und langjährigen Chef der Basler Frauenklinik Johannes Bitzer noch einmal die zwei entscheidenden Ereignisse in der Hormonforschung und damit auch Frauenmedizin der letzten 60 Jahre auf.

Hormontherapie – oder nicht?

1963 propagierte der Frauenarzt Robert A. Wilson in seinem Bestseller »Feminine Forever« die Hormonersatztherapie, die heute nur Hormontherapie heißt. Sie, so Wilson überschwänglich, sei die perfekte Lösung für alle Frauen an der Schwelle zur Menopause. Denn der weibliche Körper sei im Alter eben fehlerhaft – und so müsse man die fehlenden Hormone von außen in ihn hineingeben, um ihn weiter weiblich und funktionsfähig zu halten. Die Folge: Millionen Frauen schluckten wie selbstverständlich Hormone.

1991 dann plötzlich die Kehrtwende. Die 600 Millionen Dollar teure Studie der Women’s Health Initiative folgerte anhand der Daten von 160 000 Frauen, dass Wilsons Hormontherapie keineswegs Herz und Kreislauf schütze, sondern im Gegenteil zu vermehrten Todesfällen und auch Brustkrebs führe. Dass unter den Probandinnen vor allem ältere Frauen um die 60 waren, die die Menopause bereits hinter sich hatten und offenbar bereits an Arteriosklerose litten, fiel zunächst unter den Tisch.

Mittlerweile pegelt sich die Einstellung zur Einnahme von Hormonen in der Mitte ein, denn »die Menopause«, so Bitzer, »markiert den Zeitpunkt, ab dem hormonell bedingte Erkrankungen zunehmen.« Herz-Kreislauf-Erkrankungen stünden dabei ganz oben, denn das die Blutgefäße schützende Östrogen falle weg. Bitzer plädiert folglich für eine gezielte Hormontherapie, die nur ein Baustein sei, um Beschwerden frühzeitig zu lindern. Er verweist auch auf die Psyche, die eine entscheidende Rolle spiele, um im Alter glücklich zu sein.

Dem Zyklus positiv begegnen

Die Psyche scheint überhaupt wichtiger zu werden, denn auch jüngere Frauen entscheiden sich heute oftmals gezielt gegen die Pille. Der abrupte Zufuhrstopp nicht-körpereigener Hormone führt zu einer Rückkehr der natürlichen Hormonschwankungen und trotz vorübergehender Nebenwirkungen wie fettiger Haut offenbar zu einem anderen, besseren Gesundheitsverständnis.

Die Gemütsverfassung, das körperliche Wohlergehen und das Sexualverhalten variieren am stärksten im Verlauf des Menstruationszyklus, während das Schlaf- und Bewegungsverhalten konstant bleiben.

Wie wichtig der menstruelle Zyklus im Hinblick auf die Gesundheit ist, zeigten 2021 Emma Pierson, Tim Althoff, Daniel Thomas, Paula Hillard und Jure Leskovec in ihrer in Nature Human Behaviour veröffentlichten Studie »Tägliche, wöchentliche, saisonale und Menstruationszyklen in Stimmung, Verhalten und Vitalfunktionen von Frauen«. Aus mittels einer App dokumentierten 241 Millionen Beobachtungen von 3,3 Millionen Frauen in 109 Ländern konnte das Autorenteam folgern: »Von den täglichen, wöchentlichen, saisonalen und Menstruationszyklen hatte der Menstruationszyklus die größten Einflüsse auf Stimmung, Verhalten und Vitalfunktionen.« Die Gemütsverfassung, das körperliche Wohlergehen und das Sexualverhalten variierten am stärksten im Verlauf des Menstruationszyklus, während das Schlaf- und Bewegungsverhalten konstant blieb.

Wichtige Fragen, die sich aus der Studie ergeben: Warum werden Aspekte zum Gemütszustand, zur Ruheherzfrequenz oder auch zum Gewicht bei Frauen nicht endlich auch im Hinblick des menstruellen Zyklus besser erforscht und dann entsprechend behandelt? Oder anders gefragt: Wer sagt eigentlich, dass ein »Feminine Forever«, wie es Wilson in den 1960er-Jahren nannte, darin besteht, den Körper und damit auch die Psyche immer im Gleichgewicht und in einem non-menstruellen Zyklus zu halten und natürliche Veränderungen, zunächst die der Menstruation, später dann die der Wechseljahre, durch ein »Forever Fit« zu ersetzen?

Eigene Wege finden, um mit Hormonschwankungen umzugehen

Bitzer und andere Gynäkologinnen und Gynäkologen raten deshalb zu natürlichen Aktionen, um Hormonumstellungen oder -defizite auszuhebeln: mehr Sport treiben, mehr Hautpflege, gezielt die Leber entgiften. Die Pille halte Stimmungen zwar konstanter, könne aber auch positive Stimmungen ausbremsen. Auch die Männer sind gefragt, aktiv das Wohlbefinden der Frauen zu unterstützen, indem sie Verhütung als ihren Job verstehen und Gefühls- und andere Schwankungen endlich wieder als natürlich und damit auch attraktiv ansehen.

Summa summarum gibt es noch einiges zu tun, um Gesundheitsfragen von Frauen gezielt mit den Eigenschaften und Folgen des menstruellen Zyklus zu erörtern und zu klären. Wie die weibliche Gesundheit ohne hormonelle »Stop-and-gos« von außen in unserer modernen Zeit aussehen könnte – diese Frage könnte eine der spannendsten Fragen der Medizin und noch wichtiger jeder einzelnen Frau werden.

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