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Krankheit Gesundheit

Ein Kind mit Angelman-Syndrom

17.03.2022
von Melanie Cubela

Melanie Della Rossa ist die Mutter von Julia, einem Kind mit Angelman-Syndrom. «Fokus» schildert, welchen Einfluss diese Krankheit auf ihr Leben hat. 

«Eis Blüemli isch andersch und gliich ischs verwacht. Eis Stärndli isch andersch und gliich lüüchteds z`Nacht. Eusi Julia isch andersch, sie isch Blüemli und Stärn. Sie hett dopplet eus nötig, sie hett dopplet eus gärn.» Dies ist der Anfang des Zitates, welches Melanie Della Rossa auf Julias Website hinterlegt hat. Auf den ersten Blick scheint ihre Tochter ein gewöhnliches, glückliches Mädchen mitten im Teenie-Alter zu sein. Dadurch, dass sie das Angelman-Syndrom hat, kann sie sich zwar nicht sprachlich ausdrücken, strahlt jedoch mit einem Lächeln im Gesicht stets Glück aus. Nicht sprechen zu können, ist aber nur eines von vielen Hindernissen, welches Julia durch das Syndrom im Weg steht.

Die Diagnose

Das Leben von Melanie und Roman Della Rossa hat sich seit der Geburt ihres zweiten Kindes komplett verändert. Julia hat damals stundenlang Nacht für Nacht geschrien und nie mehr als drei bis vier Stunden geschlafen. Niemand wusste Rat. «Die ersten vier Jahre waren unvorstellbar anstrengend», erzählt Melanie. Vor der Diagnose musste sich das Ehepaar anhören, dass jedes Kind schlafen lernen kann und sie einfach zu wenig konsequent seien. «Ich habe lange den Fehler bei mir gesucht, bis ich erfuhr, dass sie behinderungsbedingt nicht schlafen kann und dass das nichts mit unserer Erziehung zu tun hat», weiss Melanie rückblickend. Die Diagnose ergab, dass ihr Kind das Angelman-Syndrom hat.

Das Angelman-Syndrom, auch Happy-Puppet-Syndrome genannt, ist eine seltene Genbesonderheit auf dem Chromosom 15. Die Betroffenen leiden unter einer starken Verzögerung der körperlichen, geistigen und sprachlichen Entwicklung, welche nur den Stand eines Kleinkindes erreicht. Menschen mit Angelman-Syndrom können sich selbst nicht versorgen und potenzielle Gefahren erkennen, dadurch sind sie lebenslang auf umfassende Hilfe und Unterstützung angewiesen. Dies bedeutet für Melanie und ihren Mann, dass sie lebenslang für Julia entscheiden werden müssen. «Wir werden dafür sorgen müssen, dass es ihr gut geht. Dies bedeutet auch, dass ich immer wieder Kompromisse schliessen muss und mein Herz zerreisst, wenn ich sie fremdbetreuen lassen muss, um selbst wieder Kraft zu bekommen», schildert Julias Mutter. 

Angelman-Syndrom

Das Leben mit dem Angelman-Syndrom

Julias Beeinträchtigung ist sehr ausgeprägt, aus diesem Grund lebt sie im Hier und Jetzt. Dadurch, dass sie nicht sprechen kann, lautiert sie. Laut Melanie sei dies manchmal fast schon ohrenbetäubend. «In solchen Momenten spüre ich Abneigung. Das trifft mich jeweils sehr und Julia tut mir leid, da sie keine andere Möglichkeit hat, auf sich aufmerksam zu machen. Nicht sprechen zu können, ist nebst Epilepsie eine der schlimmsten Merkmale des Angelman-Syndroms», erklärt Melanie. Trotz allen Umständen wirke Julia auf die Familie Della Rossa glücklich. «Sie ist gerne unterwegs und steckt mit ihrem Kichern wildfremde Menschen an. Sie zeigt uns, was im Leben wirklich wichtig ist», erzählt Melanie.

Julia selbst macht sich keine Sorgen über die Zukunft, dies übersteigt ihre Fähigkeiten. Auf die Frage, ob Julia selbst von ihrem Syndrom weiss, antwortet ihre Mutter wie folgt: «Wenn die Epilepsie sie einschränkt, sie Schmerzen hat oder sich unverstanden fühlt, reagiert sie frustriert, wird aggressiv oder zieht sich zurück. In solchen Momenten haben wir das Gefühl, dass sie realisiert, dass sie aufgrund ihrer Behinderung in ihrer Welt gefangen ist. Das ist schwer auszuhalten.»

Kommunikation trotz Angelman-Syndrom

Julias Sprachverständnis ist deutlich weiterentwickelt als ihre Fähigkeit, zu sprechen. Vor allem wiederholte und kurze Sätze versteht sie. An der Umsetzung des Gesagten jedoch, scheitere es oft an geistiger Bedingung oder aus mangelnder Einsicht. «Das grosse Problem ist, dass Julia sich nicht verbal äussern kann. Sie kann auch nicht nicken, den Kopf schütteln oder sich mit Gebärdensprache ausdrücken. Wir versuchen deshalb seit mehr als zehn Jahren, mit einem Talker ihre Kommunikationsmöglichkeiten zu verbessern. Es erfordert aber viel Geduld und Ressourcen, um ein Stück weiterzukommen», erzählt Melanie. 

Das Leben als Mutter eines «Angels»

Menschen mit Angelman-Syndrom entwickeln sich nur wenig im Verlauf des Lebens. Dies kann frustrierend sein. Denn egal, wie stark man sich als Elternteil bemüht, die Resultate bleiben gering. Auf die Frage, wie Melanie und ihr Mann die Kraft finden, weiterzumachen, erklärt Melanie: «Es ist die unendliche Liebe zu unserer Tochter, die stets hilft, weiter zu machen.» Julia zeigt mit ihrem Lachen und ihren Umarmungen, dass es sich lohnt, an sie zu glauben. Jeder Fortschritt, auch wenn er noch so klein ist, sei ein Stückchen mehr Selbstbestimmung in ihrem sonst hauptsächlich fremdbestimmten Leben. «Dafür kämpfen wir», sagt Melanie. 

Der wichtigste Faktor, welcher das Leben mit ihrem «Angel» erleichtert, sei die eigene Familie. «Wir haben das grosse Glück, dass Julias Bruder ihr sehr nahesteht und unsere Entscheide mit seinem grossen Herz unterstützt», betont Melanie. Ausserdem helfe es sehr, dass sie und Roman am gleichen Strang ziehen. Der Austausch mit anderen Familien des Angelman Vereins sei ebenfalls sehr wichtig, um sich nicht allein zu fühlen. 

«Eine weitere grosse Erleichterung ist der Assistenzbeitrag der IV. Damit können wir junge Menschen anstellen, die Julia in ihrem Alltag unterstützen, sie pflegen aber auch mit ihr Zug fahren oder in den Tierpark gehen. Ebenfalls entlasten und unterstützen uns die Schule und Wohngruppe Sonnenberg in Baar sehr. Zu wissen, dass Julia gut begleitet und aufgehoben ist, ist unendlich viel wert», sagt Melanie. Auf die Frage, was Melanie ihrer Tochter wünscht, antwortet sie, dass Julia immer von Menschen umgeben sein wird, die es gut mit ihr meinen. «Ich wünsche ihr, dass sie Liebe spürt. Lebenslang», fügt sie zum Schluss hinzu.

Melanie Della Rossa, was wünschen Sie sich von der Gesellschaft in Bezug auf den Umgang mit dem Angelman-Syndrom?

Ich wünsche mir von der Gesellschaft mehr Nähe, Offenheit, Verständnis und Demut für alle Menschen mit einer Behinderung. Und die Einsicht, dass Menschen wie Julia ebenso das Recht haben, ein schönes, erfülltes Leben zu führen. Wir alle sollten uns dafür einsetzen, dies zu ermöglichen.

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Angelman Verein Schweiz

Melanie Della Rossa ist Präsidentin und Mitgründerin des Angelman Vereins Schweiz. Seit 2013 informiert, berät und unterstützt der Verein Eltern, Angehörige und Freunde von Menschen mit dem Angelman-Syndrom. Ausserdem ist er eine Anlaufstelle für (neu-)betroffene Familien und interessierte Fachleute in medizinischen, therapeutischen und pädagogischen Berufen. Dabei verfolgt der Angelman Verein Schweiz das Ziel, den Austausch zwischen Forschung, Praxis und betroffenen Familien zu fördern.

Mehr Informationen auf angelman.ch

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