Das Thema Gewichtsabnahme beschäftigt die Gesellschaft seit langer Zeit. Für diejenigen, die abnehmen möchten, scheint Sport stets die beste Lösung zu sein. Doch reicht Sport allein aus, um dies zu erreichen? Gemeinsam mit Prof. Dr. Karsten Köhler und Dr. Christoph Höchsmann räumt «Fokus» mit Vorurteilen auf.
Joggende im Park, Leute in Fitnesszentren oder Diät-Shakes in der Apotheke – an jeder Ecke unseres Alltags begegnen wir der Thematik sowie der allfälligen Lösung: Abnehmen. Es gibt zwei verschiedene Arten von Leuten, die abnehmen möchten. Einerseits jene, die einem gewissen Ideal entsprechen wollen. Andererseits haben wir diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen schon nahezu verpflichtet sind, Gewicht zu verlieren. Ob man googlet, Freund:innen oder Bekannte fragt, Sport scheint der Weg hinaus zu sein. Doch für eine erfolgreiche Gewichtsabnahme reicht er allein nicht aus.
Gewichtszunahme trotz Sport
Für eine Studie aus den USA haben 81 Frauen mit einem erhöhten BMI drei Mal wöchentlich 30 Minuten Sport gemacht, und das 12 Wochen lang. Das Resultat ist überraschend: Keine der Teilnehmerinnen hat abgenommen, rund 55 haben sogar zugenommen.
Warum reicht Sport allein nicht aus? Dr. Höchsmann erklärt: «Es gibt mehrere Gründe. Grundsätzlich ist eine negative Energiebilanz nötig um abzunehmen, heisst es sollen auf lange Sicht mehr Kalorien verbrannt werden als dem Körper zugeführt werden. Sport trägt zum Erhalt der fettfreien Masse bei was bedeutet, dass nahezu 100% der Gewichtsreduktion aus Fettgewebe bestehen. Das ist aus gesundheitlicher Sicht natürlich durchaus positiv. Im Vergleich zu reinen Ernährungsinterventionen, bei denen der Gewichtsverlust zu ca. 25% aus fettfreier Masse besteht, dauert es aber gerade deshalb länger um dieselbe Menge an Gewicht nur durch Sport zu verlieren. Das liegt daran, dass Fettmasse energiedichter ist als fettfreie Masse und folglich mehr Kalorien verbrannt werden müssen um 1 kg Gewicht zu verlieren. Ein ganz wichtiger weiterer Grund, warum man durch Sport oft nur wenig oder gar kein Gewicht verliert, ist, dass es zu einer teils unbewussten kompensatorischer Erhöhung der Nahrungsaufnahme kommt.» Ausserdem seien die Fitnesstracker auch Teil des Problems, da bei der Anzeige der verbrauchten Kalorien häufig der tatsächliche Verbrauch überschätzt werde.
Körperliche Aktivität führt zu mehr Essen
So lautet der Titel einer neuen Studie aus Deutschland. Diese beschäftigt sich mit dem Phänomen, dass Leute, die Sport machen, danach mehr Essen als normalerweise. Die Studienteilnehmenden bestanden aus 23 Frauen und 18 Männern zwischen 19 und 29 Jahren. Die Proband:innen wurden nach dem Zufallsprinzip entweder einem 45-minütigen Training oder einer gleich langen Ruhepause zugewiesen. Im zweiten Teil der Studie wechselte jeweils die Tätigkeit. Die Auswertung zeigte, dass die Bewegung zu einem grösseren Anstieg der Nahrungsmenge verleitet, vor allem nach dem Training.
Warum isst man nach dem Sport mehr? Dr. Köhler begründet wie folgt: «Es sind die Hormone, die den Appetit anregen und stimulieren, die im Grunde genommen dazu führen, dass wir mehr essen wollen.» Ein weiterer Grund könnte evolutionär bedingt sein. Dr. Höchsmann erklärt eine der Theorien: «Der Mechanismus hat unsere Vorfahren in Mangelzeiten vor dem Verlust von Körper und vor allem Muskelmasse geschützt. So wurde sozusagen der Appetit erhöht, damit die Leute mehr gegessen haben, wenn sie mehr zur Verfügung hatten, um die Mangelzeiten überstehen zu können.»
Die häufigsten Fehler beim Versuch, abzunehmen
Laut Dr. Köhler ist einer der grössten Fehler, dass man die Erwartungen zu hoch setzt. «Beispielsweise erwartet man innerhalb von zwei, drei Wochen einen signifikanten Unterschied an Gewicht, was physiologisch gar nicht funktionieren würde.» Es sei vielen nicht bewusst, wie viel man mit Sport abnehmen kann.
Beispielsweise erwartet man innerhalb von zwei, drei Wochen einen signifikanten Unterschied an Gewicht, was physiologisch gar nicht funktionieren würde. Prof. Dr. Karsten Köhler
Dr. Köhler erklärt, dass bei einer halben Stunde körperlicher Betätigung in der Regel 200 bis 300 Kalorien verloren werden könnten. Würde man dies drei Mal die Woche ausführen, dann würde uns das etwa auf 600 Kalorien bringen. Rechnerisch entspricht dies 0,2 Kilogramm Gewichtsverlust. Dr. Köhler empfiehlt, sich ein halbes Kilo pro Woche vorzunehmen. Der häufigste Fehler bei einer Diät ist wiederum, dass diese in die Extreme geht und somit letztendlich nicht nachhaltig ist.
Die effektivste Methode, abzunehmen
«Die effektivste Methode ist eine Kombination aus Ernährungsumstellung beziehungsweise Reduktion der aufgenommenen Kalorienmenge und eine Erhöhung der körperlichen Aktivität», sagt Dr. Höchsmann. Die langfristige Reduktion der Kalorienmenge sei für die Gewichtsabnahme entscheidend, wohingegen die Erhöhung der körperlichen Aktivität den Erhalt der fettfreien Masse (Muskelmasse) fördere. Durch das erhöhte Aktivitätsniveau werde langfristig außerdem die Regulation des Energieumsatzes verbessert was zu einer Stabilisierung des Körpergewichts beitrage. Dadurch könne Sport vor Wiederzunahme an Gewicht schützen und dem bekannten Jojo-Effekt vorbeugen. Auf die Frage, welche Sportart sich am besten eignet, um eine Gewichtsabnahme zu erreichen, antwortet Dr. Höchsmann, dass es nicht auf die Sportart an sich ankomme, sondern, dass die negative Energiebilanz der entscheidende Faktor sei. Er erwähnt jedoch, dass die negative Energiebilanz durch Ausdauersport aufgrund des relativ höheren Kalorienverbrauchs pro Zeiteinheit oft einfacher zu erreichen sei als durch reine Kraftsportarten.
Sind Diätshakes die Lösung?
Abnehmshakes mit Vanille, Schokolade, Passionsfrucht, Erdbeere und unzähligen anderen Geschmacksrichtungen – mittlerweile ist die Auswahl an Anbietern enorm. So stellt sich umso mehr die Frage, ob diese überhaupt sinnvoll sind. Dr. Höchsmann betont erneut, dass es erst dann zu einem Gewichtsverlust käme, wenn die gesamte Kalorienbilanz negativ sei. Ob dies nun durch Abnehmshakes erfolgen würde oder nicht, spiele keine grosse Rolle.
Nur, weil man einen Abnehmshake trinkt, nimmt man nicht ab. Dr. Christoph Höchsmann
«Nur, weil man einen Abnehmshake trinkt, nimmt man nicht ab. Es geht letztendlich wieder darum, langfristig weniger Kalorien durch Nahrung zuzuführen als durch Grundumsatz, Alltagsaktivität und körperliche Aktivität (Sport) verbrannt werden. Manchen Menschen gelingt dies mit einem Shake einfacher.»
Mythen rund um das Thema Abnehmen
«Ein Mythos ist, dass Muskeln schwerer seien als Fett. Das ist eine Fehlvorstellung», stellt Dr. Köhler fest. Er erklärt sich diesen Mythos durch die Tatsache, dass man durch Sport langsamer abnimmt als durch eine Diät.
Der zweite Mythos ist jener, dass man durch den Aufbau von Muskeln wahnsinnig viel Energie verliere. Erhöhe man die Muskelmasse, könne man mehr Essen. Das sei deutlich geringer als man denkt. Dr. Köhler erklärt: «Pro Kilo Muskelmasse können wir etwa 13 Kalorien mehr verbrauchen und damit auch 13 Kalorien mehr essen. Also wenn man es schaffen würde, zehn Kilo Muskelmasse aufzubauen, dann wären das 130 Kalorien. Dies entspricht etwa einer Brotscheibe.»
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