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Gesundheit

«Schlafen kann ich, wenn ich tot bin» – bloss nicht!

29.01.2022
von Akvile Arlauskaite

Die immense Bedeutung des Schlafes für die physische und die psychische Gesundheit wird von vielen stark unterschätzt.

Und zwar so sehr, dass zwei Drittel der Erwachsenen in den Industrieländern nicht die empfohlenen acht Stunden schlafen. Die Folgen können gravierend sein. Die Studienlage hierzu ist so eindeutig, dass die WHO Schlafmangel inzwischen zu einer Epidemie erklärt hat.

Der natürliche Schlafrhythmus

Grundsätzlich wird der Schlafrhythmus von zwei Faktoren beeinflusst. Zum einen steigt mit jeder wachen Minute der sogenannte Schlafdruck und damit auch die Konzentration des chemischen Stoffes Adenosin im Gehirn an, wodurch man im Tagesverlauf müde wird. Nach einer Wachphase von 12 bis 16 Stunden ist der Schlafdruck am höchsten.

Zum anderen fungiert der zirkadiane Rhythmus als innere 24-Stunden-Uhr. Er sorgt dafür, dass man sich in Einklang mit dem Hell-Dunkel-Rhythmus des Tageslichts wach oder müde fühlt. Dies geschieht unter anderem durch die Ausschüttung von Melatonin in den Nachtstunden. Hierfür gibt der suprachiasmatische Nukleus, der Sitz der inneren Uhr im Gehirn, abends das Signal zur Produktion des Schlafhormons Melatonin in der Zirbeldrüse. Dies signalisiert dem Körper, dass es Nacht und somit an der Zeit ist, zu schlafen. Im Durchschnitt beträgt die Länge des biologischen Rhythmus beim Menschen 24 Stunden und 15 Minuten, also ungefähr einen Tag. Durch das Tageslicht wird die innere Uhr jeden Tag neu mit dem 24-Stunden-Rhythmus des Tages synchronisiert.

Schlafmangel durch genetische Veranlagung

Was ist nun der Grund für den weitverbreiteten Schlafmangel? Im Rahmen des zirkadianen Rhythmus variieren die Höhe- und Tiefpunkte der Leistungsfähigkeit je nach Individuum um einige Stunden. Hier unterscheidet Prof. Dr. med. Matthew Walker, Wissenschaftler und Professor für Neurowissenschaften und Psychologie an der University of California in Berkeley, zwischen drei genetisch determinierten Chronotypen. Ungefähr 40 Prozent aller Personen zählen zu den «Morgenmenschen». Sie schlafen abends früh ein, stehen morgens früh auf und erbringen in den Morgenstunden Höchstleistungen. Während weitere 30 Prozent der Bevölkerung «Abendmenschen» sind, liegen die restlichen 30 Prozent dazwischen, mit einer Tendenz zum Abend. Ihrem natürlichen Rhythmus zufolge würden Abendmenschen am liebsten spät einschlafen und spätmorgens oder am Nachmittag aufstehen. Da ihr Gehirn sich am Vormittag noch in einem schlafähnlichen Zustand befindet, sind sie erst am späten Nachmittag und frühen Abend besonders leistungsfähig. Dies liegt daran, dass der präfrontale Kortex dieser Gruppe – die Gehirnregion, die für die Steuerung komplexer und logischer Überlegungen zuständig ist – um diese Zeit noch blockiert ist.

Problematisch ist, dass Abendmenschen deshalb durch das moderne Arbeitssystem benachteiligt werden. Laut der Schlafforscherin Dr. Christine Blume von der Universität Basel müsste man gegen 22 Uhr ins Bett gehen, um morgens um 7 Uhr ausgeruht das Haus verlassen zu können. Jedoch können rund drei Viertel der Bevölkerung aufgrund ihres zirkadianen Rhythmus erst zwischen 22:30 und 01:00 Uhr gut einschlafen. Aufgrund festgelegter Arbeitszeiten werden Abendmenschen also in einen für sie unnatürlichen Schlafrhythmus der Morgenmenschen gezwungen: Sie müssen früh aufstehen, können aber nur spät einschlafen. Hierdurch sind sie weitaus häufiger von Schlafdefizit und den daraus resultierenden negativen gesundheitlichen Folgen betroffen, die im Folgenden dargelegt werden.

Folgen für die psychische Gesundheit

Nicht nur bringt bereits ein kleiner Mangel an Schlaf die Gefühlswelt durcheinander. Betroffene zeigen etwa häufig irrationale Emotionen, sind reizbar, schlecht gelaunt und leiden teilweise unter extremen Stimmungsschwankungen. Auch sind psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angsterkrankungen, Schizophrenie und Suizidalität eng mit dem Schlaf verknüpft. «So ist bei 90 Prozent depressiver Patient:innen auch der Schlaf betroffen. Eine Meta-Analyse fand heraus, dass eine Verbesserung des Schlafs auch die Symptomatik bei vielen dieser Erkrankungen positiv beeinflusst», so Dr. Blume.

Schlafmangel schränkt das Lern- und Erinnerungsvermögen sowie die Fähigkeit, logisch zu denken, stark ein.

«Darüber hinaus werden durch genügend langes Schlafen bestimmte Stoffwechselprodukte wie beispielsweise das Adenosin, die sich im Laufe des Tages im Gehirn ansammeln, ausgeschwemmt. Dies führt zu einem erfrischten Gefühl am Morgen», fährt Dr. Blume fort. Besonders schnell machen sich die Folgen des Schlafmangels deshalb auf der kognitiven Leistungsfähigkeitsebene bemerkbar. Die Expertin erläutert: «Lässt man eine Gruppe betrunkener Proband:innen und eine mit 24 Stunden Schlafentzug einfache Reaktionszeitaufgaben lösen, zeigen sie in der Regel vergleichbare Leistungen.» Deshalb ist Autofahren unter Schlafmangel besonders gefährlich – schnell genug zu reagieren ist beinahe unmöglich. Nach Angaben von Prof. Dr. med. Walker geht ein Fünftel der Verkehrsunfälle in Deutschland auf die Erschöpfung der Fahrenden zurück.

Weiter schränkt Schlafmangel das Lern- und Erinnerungsvermögen sowie die Fähigkeit, logisch zu denken, stark ein. Über die Nacht werden neue Informationen aus Hippocampus, dem «Kurzspeicher» des Gehirns, in den «Langzeitspeicher» im Kortex übertragen und abgelegt. Nebst dieser Konsolidierung wird im Schlaf gleichzeitig «Platz» für Erinnerungen geschaffen, die am nächsten Tag neu hinzukommen. Ein Schlafdefizit kann diesen Vorgang schwächen und sogar die langfristige Speicherung von Informationen verhindern. Nicht zuletzt ist laut Prof. Dr. med. Walker bekannt, dass Alzheimer und Schlafstörungen sich gegenseitig begünstigen und die Betroffenen in eine Negativspirale zwingen.

Auswirkungen auf der physischen Ebene

Ebenso ist der Schlaf eng mit der physischen Gesundheit verknüpft. Schon wenige fehlende Stunden können nicht nur die Aktivität bestimmter Immunzellen stören, sondern auch das Mikrobiom im Darm schwächen, einen wichtigen Teil des Immunsystems. Insofern macht Schlafdefizit anfälliger für Erkrankungen. Um dies zu untersuchen, wurden in einer Studie gesunden Testpersonen Rhinoviren in die Nase gesprüht. Eine Gruppe hatte in der Woche zuvor ausreichend geschlafen, die andere nicht. Personen mit Schlafdefizit erkrankten daraufhin viel häufiger an einer Erkältung. Sind die Abwehrkräfte durch einen chronischen Schlafmangel geschwächt, so steigt gemäss Prof. Dr. med. Walker das Krebsrisiko um mehr als das Doppelte. Zudem steigen nach einer kurzen Nacht die Stresshormone Cortisol und Noradrenalin an. Diese treiben Blutdruck und -zucker sowie die Herzfrequenz in die Höhe und die Wahrscheinlichkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfällen sowie Herzinfarkten nimmt auf Dauer zu.

Weiter bringt Schlafmangel den Energiestoffwechsel aus dem Takt. Eine der Folgen ist ein erhöhter Appetit. Grund dafür: Im Schlafdefizit nimmt die Konzentration des Hormons Ghrelin zu, welches das Hungergefühl hervorruft. Gleichzeitig wird das Hormon Leptin, welches für das Sättigungsgefühl verantwortlich ist, unterdrückt. «Als Konsequenz haben die Betroffenen einen höheren BMI und ein grösseres Risiko für Adipositas», erklärt Dr. Blume. Zudem stehe Schlafmangel mit Insulinresistenz und damit mit einem erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes im Zusammenhang.

Betroffene nehmen den Mangel oft nicht wahr

In Anbetracht der aufgeführten Gesundheitsrisiken resümiert Prof. Dr. med. Walker, dass Personen, die zu wenig schlafen, kürzer leben. Besonders besorgniserregend sei die Tatsache, dass von chronischem Schlafmangel Betroffene sich häufig gar nicht bewusst sind, dass sie nicht ausreichend schlafen. Mit der Zeit gewöhnen sie sich an die daraus resultierende verminderte Leistungsfähigkeit und die gesundheitlichen Beschwerden. Dabei ist Schlaf dem Professor zufolge das allerbeste Mittel für die mentale und körperliche Gesundheit: Schläft man mindestens acht Stunden pro Tag, fühlt man sich energiegeladener, gesünder und glücklicher.

So schläft es sich besser

Um Schlafmangel zu verhindern, rät Prof. Dr. med. Walker, sich an einen regelmässigen Schlafplan zu halten – jeweils zur gleichen Zeit ins Bett zu gehen und aufzustehen. «Man soll sich aber erst hinlegen, wenn man wirklich müde ist und innert 20 Minuten einschlafen kann», fügt Dr. Blume hinzu. Regelmässige Zubettgehrituale wie Entspannungsübungen, Lesen, ein heisses Bad oder eine Tasse Tee helfen, auf die Nacht einzustimmen. Weiter sind eine komfortable Matratze und ein passendes Kopfkissen ein Muss. Wichtig ist, dass das Schlafzimmer dunkel und eher kühl ist, idealerweise zwischen 16 und 18 °C. Letzteres hilft dabei, die Kerntemperatur des Körpers zu senken, wodurch die Melatoninausschüttung angeregt wird. Zudem sollten Koffein und Alkohol abends gemieden werden. Auch wenn Letzteres entspannt und dadurch das Einschlafen fördern kann, sorgen Spirituosen für Schlafunterbrechungen und vermindern insgesamt die Schlafqualität. Ausserdem unterdrücken sie auch die für das Lern- und Erinnerungsvermögen besonders wichtige REM-Schlafphase.

Natürliches Licht ist der wichtigste Zeitgeber für den zirkadianen Rhythmus.

Doch bereits während des Tages kann man die Schlafqualität beeinflussen. Nach vier Uhr nachmittags sollte man auf Nickerchen verzichten. Diese können nämlich dazu führen, dass man am Abend schlechter einschläft. Dr. Blume fügt hinzu: «Die letzte Hauptmahlzeit sollte man spätestens zwei bis drei Stunden vor dem Zubettgehen zu sich nehmen, denn mit vollem Magen schläft es sich nicht gut. Weiter ist Bewegung von grosser Bedeutung, gerade in Zeiten von Homeoffice.» Prof. Dr. med. Walker empfiehlt, für guten Schlaf täglich mindestens eine halbe Stunde körperlich aktiv zu sein. «Ein kurzer Spaziergang ist der ideale Start in den Tag. Dabei setzt man sich auch direkt am Morgen dem Sonnenlicht aus», so Dr. Blume.

Im Allgemeinen ist es laut der Schlafforscherin unerlässlich, am Tag genügend natürliches Licht zu bekommen, denn dieses ist der wichtigste Zeitgeber für den zirkadianen Rhythmus. «Vor allem, weil wir in unserem modernen Alltag generell zu wenig Tageslicht abbekommen. Schliesslich arbeiten die meisten in geschlossenen Räumen.» Studien zeigen, dass man bei ausreichend Tageslicht schneller ein- und länger durchschläft sowie insgesamt bessere Schlafqualität geniesst. «Gleichzeitig sollte man starke künstliche Lichtquellen, insbesondere LED, abends besonders meiden. Diese bringen die innere Uhr durcheinander, machen uns wach und können somit das Einschlafen erschweren», ergänzt Dr. Blume. Tatsächlich können künstliche Lichtquellen gemäss Prof. Dr. med. Walker unsere innere Uhr um zwei bis drei Stunden zurückdrehen, was zu einem schweren Schlafdefizit führen kann.

«Blaues Licht ist böse» – Wahrheit oder Mythos?

Gemäss Dr. Blume ist der zirkadiane Rhythmus gegenüber dem kurzwelligen, sogenannten «blauen» Licht besonders sensibel. Linsen oder Brillen mit Blaulichtfilter sollten dem Abhilfe verschaffen und das angeblich schädliche Licht herausfiltern. Um die Wirkung solcher Produkte auf Schlaf und den zirkadianen Rhythmus zu untersuchen, wurde in Basel eine Studie mit Personen durchgeführt, die sich zuvor einer Graue-Star-Operation unterzogen hatten. Eine Gruppe trug Linsen mit einem UV-Filter, die andere erhielt Linsen mit einem zusätzlichen Blaulichtfilter. Die Forschenden kamen zum Schluss, dass der Blaulichtfilter sich negativ auf die Schlafqualität auswirkt.

«Am Abend kann ein Blaulichtfilter in Brillen oder Bildschirmen durchaus sinnvoll sein, nicht jedoch tagsüber», lautet das Urteil von Dr. Blume. «Das blaue Licht ist genau der Anteil des Sonnenlichts, welches der inneren Uhr Orientierung gibt.» Man müsse vom Mythos «blaues Licht ist generell böse», wegkommen und sich der Tatsache bewusst werden, dass eine gesunde Lichtumgebung möglichst viel natürliches Tageslicht und möglichst wenig Licht am Abend beinhaltet, resümiert die Schlafforscherin.

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