Interview von Evgenia Kostoglacis

Anne Kissner: Nicht nur für den Körper, sondern auch für die geistige Leistung

Anne Kissner, Fitness-Guru auf YouTube und Anwältin im normalen Alltag,  erzählt über ihre Beziehung zum Sport und wie sie selbst gesund und munter bleibt.

Anne Kissner, Fitness-Guru auf YouTube und Anwältin im normalen Alltag,  erzählt über ihre Beziehung zum Sport und wie sie selbst gesund und munter bleibt.

Frau Anne Kissner, was bedeutet «Gesundheit» für Sie persönlich?

Sich im eigenen Körper wohlzufühlen und schmerzfrei Sport in den Alltag integrieren zu können.

Und die mentale Gesundheit?

Der Kopf ist der grösste Motivator für die Leistungserbringung und damit auch für die körperliche Gesundheit. Leider kann dieser aber ganz ungewollt zu unserer grössten Stolperfalle werden. Ich denke, dass wir uns alle manchmal aus den falschen Gründen in den Sport stürzen. Sei es wegen eines Ideals, welchem wir hinterherlaufen oder dem Drang nach Anerkennung. Dabei sollte körperliche Gesundheit nicht nur primär den Körper unterstützen, sondern einen gesunden Ausgleich schaffen. Die mentale Gesundheit muss also mindestens genauso stark gefördert und beachtet werden. Für mich ist ein mental gesunder Mensch jemand, der Ziele verfolgt, aber auch akzeptiert, wenn etwas nicht gleich klappt.

Anne KissnerUnd wie hält sich die mentale Gesundheit als Anwältin? Schliesslich erleben viele, die im Rechtswesen tätig sind, häufig Burnouts oder leiden später unter Depressionen.

Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Ich selber hatte das ein oder andere Erlebnis als Anwältin, das mich nachts schweissgebadet aufschrecken liess. Zudem steigt der Druck als Neuling immens. Der Beruf ist zwar sehr spannend aber auch besonders stressig. Darauf kann niemand vorbereitet werden, weil jede:r anders mit Stress umgeht. Dass am Ende echte Menschen alle Hoffnung auf eine:n setzen und Vorgesetzte nicht viel Zeit für Anfängerfehler haben, ist Teil vom Erwachsenwerden in diesem Beruf.

Hatten Sie in diesem Sinne schon mit mentalen Problemen zu kämpfen?

Wer Jura studiert, weiss, dass mentale Probleme zum Alltag gehören. Man lernt mindestens ein komplettes Jahr täglich mit fünfstündigen Probeklausuren jeden Samstag für zwei Wochen, die alles im Leben entscheiden. Ich werde niemals den Moment vergessen, als ich per Telefon mein bestandenes Examen mitgeteilt bekommen habe. Ich habe angefangen, hemmungslos zu weinen. Dies war mit einer der prägendsten Momente meines Lebens.

Bei solch harten Umständen gehört Selbstliebe sicherlich auch zur mentalen Gesundheit?

Natürlich. Meine Form der Selbstliebe hat sich in den letzten 15 Jahren sehr gewandelt. Mit Anfang zwanzig lief ich einem Idealkörper hinterher, der weder zu mir passte, noch erreichbar war. Heute habe ich gelernt, meinen Körper für seine tagtäglichen Leistungen zu belohnen und nicht zu bestrafen. Selbstliebe heisst für mich aber trotzdem, dass man an sich arbeiten und körperliche Ziele verfolgen darf. Ich habe Zeiten, da geniesse ich etwas mehr Ruhe und Momente, in denen ich härter an meiner körperlichen Form arbeite. Die Selbstliebe kann also durchaus mit Leistung verbunden werden, solange die Gründe keine toxischen sind.

Kommen wir zu Ihrer Karriere als Sportskanone. Sie beschreiben sich selbst auf Instagram als Fitness Lover. Wie ist diese Liebe zum Sport entstanden?

Die Liebe ist durch eigene Erfahrung gekommen. Mein Vater hat mich in jungen Jahren schon immer sportlich motivieren wollen. Erst durch mein langes Jurastudium und das viele Sitzen am Schreibtisch habe ich erkannt, dass Sport zu meinem Alltag gehören muss. Und damit meine ich nicht, um körperlich fit zu sein, sondern um geistige Leistung abzurufen. Während meines gesamten Studiums habe ich keinen einzigen Sportschuh besessen. Bei jeder Prüfung habe ich mich vor Angst und Druck fast in den Wahnsinn getrieben. Erst als ich im Referendariat war und Sport für mich als Ausgleich entdeckte, kam auch die Gelassenheit. Heute weiss ich, dass der Mensch für Körper und Geist verschiedene Belastungen braucht, um ausgeglichen existieren zu können.

Und wie oft gehen Sie dieser Liebe nach?

Ich treibe in der Regel fünf Tage in der Woche Sport. Dabei wechsele ich gerne zwischen meinen Home-Workouts, Yoga und Laufen ab.

Was davon machen Sie am liebsten?

Ich mag gerade die Kombination. Ein sportlich aktiver Mensch sollte sich verschieden fördern. Ich mache Fitness, weil ich fit sein möchte und nicht nur schön. Meine eigenen Home-Workouts liebe ich, weil sie so vielseitig sind. Laufen wiederum fordert mich anders heraus – sei es durch die Kontinuität oder durch die Dauer. Und vor etwa drei Jahren habe ich Yoga für mich entdeckt. Ich hätte nie geglaubt, wie herausfordernd es für Körper und Geist ist.

Wenn wir gerade beim Stichwort «herausfordernd» sind. Gibt es einen Fitnessstil, den Sie als besonders herausfordernd empfinden?

Die Trainingseinheiten mit dem eigenen Körpergewicht finde ich mit am härtesten. Wenn man dies mit einem HIIT, also einem hochintensiven Intervalltraining verbindet, kommt man körperlich in kürzester Zeit an die eigenen Grenzen.

Jede Veränderung braucht Zeit und jede sportliche Herausforderung seine Nährstoffe. Anne Kissner

Gönnt sich die Sportskanone im Urlaub vielleicht eine kleine Pause vom Sport?

Auch im Urlaub mache ich Sport, weil es für mich keine Bestrafung ist, sondern Teil meines Lebens. Natürlich gibt es bei mir auch Rest-Days. Und das nicht nur, um meinem Körper Erholung zu gewähren – sondern weil ich manchmal auch einfach gerne faul bin (lacht).

Kommen wir zum Thema Ernährung. Was ist Ihrer Meinung nach wichtiger: Ernährung oder Sport?

Es geht hier nicht um Ernährung versus Sport. Die Balance und Beständigkeit machen es aus. Viele Menschen ändern ihren Ernährungsstil, nachdem sie die Motivation überkommt. Extrem gesund, kalorienarm, proteinreich – für genau fünf Tage. Danach kommt die Ungeduld und man fragt sich, wieso der Körper, in dem man jahrelang gelebt hat, sich nicht schon über Nacht verändert hat. Jede Veränderung braucht Zeit und jede sportliche Herausforderung seine Nährstoffe. Wenn man beispielsweise mehr selbst kocht, weniger unnötiges Öl ins Essen kippt und zweimal Sport in der Woche treibt, bewirkt es auf lange Sicht so viel mehr als kurzzeitige Crashdiäten oder krasse Sportprogramme.

Und wie sieht denn Ihr typischer Ernährungsalltag aus?

Zum Frühstück gibt es Müsli aus Haferflocken, Rosinen, Mandeln und Hafermilch oder gekochtes Porridge mit Beeren und Mandeln. Zum Mittagessen nehmen wir meistens Left-Overs vom Vortag zu uns. Dies kann ein Eintopf, Reis mit Ei oder Gemüse sein. Wenn ich Zeit habe, gibt es aber auch einmal eine Bowl mit Quinoa, Rohkost und Tofu. Das Abendessen variiert von gesunden Klassikern wie Kartoffeln mit Ei und Spinat bis hin zu Sushi oder auch mal einer köstlichen Pizza. Schlussendlich kommt es darauf an, was man regelmässig konsumiert. Einmal die Woche ist Pizza sicherlich nicht ungesund, so ist aber auch ein Salat alle paar Tage nicht der Retter jeder schlechten Ernährung.

Heute sind Sie eine der erfolgreichsten Fitness-YouTuberinnen im deutschen Raum. Woran liegt dies Ihrer Meinung nach?

Ich weiss es manchmal selbst nicht genau. Viele sagen, es liegt daran, dass ich eben Anne bin, mit allen Ecken und Kanten. Ich bin – das meine ich zumindest – meiner Message und meinen Prinzipien immer treu geblieben. Im Kern bin ich immer noch die bodenständige Anne, die vor acht Jahren mit Youtube als Hobby angefangen hat. Anne, die im alten Jogginganzug, ungeschminkt und verzottelten Haaren Gassi geht, ihre Meinung sagt, wenn sie etwas als unfair oder falsch empfindet und kein Fünf-Sterne-Hotel braucht, um den Urlaub zu geniessen.

Bilder zVg

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29.01.2022
von Evgenia Kostoglacis
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