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Lifestyle Gesundheit

Toxische Positivität: Es gibt auch zu viel des Guten

13.10.2023
von Kevin Meier

Schlussendlich wollen wir doch alle dasselbe: unbeschwert und glücklich durchs Leben gehen. Zweifellos vereinfachen Optimismus und Harmonie das Leben, doch zu viel Positivität kann toxisch werden und ein ungesundes Ausmass annehmen.

«Good Vibes Only.» Vor allem auf den sozialen Medien zeigt sich ein Bild des Lebens ohne negative Seiten. Nicht, dass es diese nicht geben würde: Die unschönen Seiten werden aktiv vermieden und verborgen. Negative Emotionen und Gedanken erhalten keinen Raum oder deren Existenz wird ihnen sogar abgesprochen. Natürlich ist der Wunsch nach Konfliktfreiheit ein natürlicher, gerade in einer krisenbehafteten Welt wie der heutigen. Aber eine oberflächliche Sicht des guten Lebens trägt einen Namen: toxische Positivität, toxische Harmonie oder auch Harmoniesucht. Doch was ist so giftig daran?

Das Schöne der Positivität

Positivität und Optimismus sind selbstverständlich grundsätzlich gute Dinge. Zum Beispiel fand eine Studie der Boston University School of Medicine heraus, dass positiv eingestellte Menschen ihre Emotionen tatsächlich besser regulieren und einen angemesseneren Umgang mit Stress und schwierigen Lebenslagen zeigen. Eine systematische Metaanalyse von Rozanski et al. 2019 im JAMA Network Open legt sogar eine Verbindung zwischen Optimismus und einer höheren Zufriedenheit, weniger Herzerkrankungen sowie einer längeren Lebenserwartung. «Personen, die nicht depressiv sind, sehen die Dinge sowieso eher positiv verzerrt», ergänzte
Astrid Schütz, Professorin für Persönlichkeitspsychologie, gegenüber spektrum.de. Allerdings sollte man bei allem Optimismus auf folgenden Mythos nicht hereinfallen: Je mehr Positivität, desto besser.

Toxische Positivität

Toxisch wird Optimismus, wenn die positive Grundhaltung negative Emotionen verdrängt. Denn der ausschliessliche Fokus auf das Positive kann ein Individuum auf vielen Ebenen massiv einschränken. Zum Beispiel kann er zu überbordenden Optimismus führen, insbesondere in Kombination mit neoliberalen Ansichten. Wir alle kennen den Spruch: «Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied.» Viele dieser Sprüche verwendet man oft ohne böse Intentionen, um Mut zu machen. Das Gegenüber fühlt sich aber nicht ernst genommen oder Aussagen sorgen für Druck, da sie suggerieren, dass die alleinige Verantwortung für das persönliche Glück beim Individuum liegt. Faktoren wie Herkunft, finanzielle Möglichkeiten, Lebensbedingungen und körperliche Verfassung werden ausgeblendet.

In der Folge schiebt das Individuum Negatives zur Seite und unterdrückt schlechte Emotionen. Studien haben gezeigt, dass die Unterdrückung negativer Gefühle diese verstärkt. Denn die Verneinung eines Teils der eigenen Gefühlswelt sorgt für innere Spannungen – so erfährt das ganze körperliche System Stress. Hinzu kommt, dass eine Positivität betonende Gesellschaft eine Neigung zur Selbstoptimierung offenbart, bei der wir uns konstant selbst überwachen und disziplinieren. Die Vermeidung negativer Emotionen kann schlussendlich in einer Taubheit für alle Gefühlsregungen – auch für positive – enden. An die Stelle eines realitätsnahen Erlebens treten Perfektionismus, Effektivitätsstreben und Unzulänglichkeitsgefühle.

Harmoniesucht in Beziehungen

Toxische Positivität belastet allem voran zwischenmenschliche Beziehungen. Meist wird bei Liebes- und Familienbeziehungen der Begriff «toxische Harmonie» verwendet. Gemeint ist damit eine zwanghafte Vermeidung von Konfrontationen und Konfliktsituationen. Eine solche Verhaltensweise, die oft unbewusst an den Tag gelegt wird, um die Beziehung zu verbessern, vergrössert ironischerweise die soziale Distanz. Eine von Harmoniesucht geprägte Beziehung zeigt zum Beispiel folgende Anzeichen:

  • Es gibt keinen Streit im weitesten Sinne. Reibungspunkte und Diskussionen werden vermieden.
  • Es bestehen Tabuthemen, die man sich nicht wagt, anzusprechen. So zum Beispiel betreffend Lebensphilosophien und Politik.
  • Es herrscht eine Atmosphäre der Unsicherheit. Oftmals kann das Gegenüber die Aussagen nicht richtig einschätzen. War es ein Witz oder wurde Kritik geäussert?

Was die zwischenmenschliche Beziehung insbesondere belasten kann, sind die oben angesprochenen Plattitüden: «Es gibt Schlimmeres», «es gibt echte Probleme», «Sieh es positiv». Toxische Positivität dieser Art ist eine normale Reaktion auf unangenehme Situationen. Allgemeine Ratschläge sind in den seltensten Fällen wirklich hilfreich, entstehen aber oft aus dem Wunsch zu helfen. Meist ist aber gar keine schnelle Lösung gefragt. Manchmal reicht ein offenes Ohr aus, wenn Partner:innen oder Familienmitglieder ein Problem ansprechen.

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Wichtig ist jedoch, zwischen Gaslighting und toxischer Positivität in der Beziehung zu unterscheiden. Letzteres geschieht oft unabsichtlich und ist häufig den gesellschaftlichen Bedingungen geschuldet. Gaslighting – also die Verneinung des Realitätsempfindens des Gegenübers – ist ein Manipulationsversuch mit Absicht.

Wie kann man der Spirale entkommen?

Positivität hat zwar etwaige Vorteile, doch man sollte es eben nicht übertreiben. Vielmehr sollte man eine entspannte Grundhaltung mit einer Balance zwischen Optimismus und Pessimismus erreichen, um so unbeschwert wie möglich durchs Leben zu gehen, ohne einen Teil der Gefühlswelt zu unterdrücken. Tauchen Schwierigkeiten auf, egal ob im Privat- oder Berufsleben, sollten die damit verbundenen Gefühle erst einmal anerkannt und gefühlt werden, bevor man nach einer Lösung sucht. Das mag einfach klingen, setzt aber eine kontinuierliche Praxis von Achtsamkeit voraus. Vielen Menschen helfen beispielsweise Meditationsübungen, um Emotionen bewusst und wertungsfrei wahrzunehmen. Man muss nicht alles weglächeln und sich einer zwanghaft guten Laune hingeben. Ganz im Gegenteil: Werden alle Gefühle zugelassen und akzeptiert, lösen sie sich automatisch auf.

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