Seit mehr als 200 Jahren dauert die Neutralität der Schweiz an. Das System hat sich bewährt und darf ohne Übertreibung als Erfolgsmodell bezeichnet werden. Diesen Status quo nötigenfalls auch mit Waffengewalt zu verteidigen, ist die Aufgabe der Schweizer Armee. Doch an der Rolle der Schweizer Streitkräfte und vor allem an deren Kosten scheiden sich oft die Geister.
Die Schweiz gilt heute als eines der friedlichsten Länder der Welt. Doch der Weg hin zur heutigen Neutralität war ein blutiger: Seinen Anfang nahm die Entwicklung 1515, als ein eidgenössisches Heer auf dem Schlachtfeld von Marignano von Frankreich vernichtend geschlagen wurde. Dieser Moment markierte das Ende der aggressiven eidgenössischen Grossmachtpolitik. Der mit Frankreich vereinbarte Frieden von 1516 bildete anschliessend für Jahrhunderte ein vertragliches Fundament für die aussenpolitische Zurückhaltung der Schweiz. Später, zum Ende des 18. Jahrhunderts, war das Territorium der Eidgenossenschaft zum Schlachtfeld europäischer Grossmächte geworden, weswegen sich die Schweizer 1815 an der Bekämpfung von Napoleons Truppen beteiligten. Bei diesen Auseinandersetzungen handelte es sich um die letzten militärischen Aktionen der Schweiz ausserhalb der Landesgrenzen. Die europäischen Mächte in Paris anerkannten im Nachgang die immerwährende Neutralität der Schweiz – und garantieren die Unverletzlichkeit ihres Territoriums.
Bis heute bildet die bewaffnete Neutralität der Schweiz einen zentralen Pfeiler der nationalen Identität und Aussenpolitik des Landes. Diese Position erlaubt es der Schweiz, in internationalen Konflikten neutral zu bleiben, während sie gleichzeitig mit ihrer Milizarmee eine eigene Verteidigungsfähigkeit aufrechterhält. Im Kontext einer sich ständig verändernden geopolitischen Landschaft, insbesondere angesichts der neuen Bedrohungslage durch den Ukrainekonflikt, stellt sich nun mehr denn je die Frage, wie diese bewaffnete Neutralität weiterhin nachhaltig und sinnvoll umgesetzt werden kann. Denn der Angriff Russlands auf die Ukraine hat deutlich gemacht, dass territoriale Auseinandersetzungen zwischen Staaten nicht der Vergangenheit angehören. Das Szenario, dass künftig ausschliesslich «Cyberwarfare» betrieben wird, ist nicht eingetreten. Darüber hinaus legt der Konflikt in Europa die Tatsache offen, dass auch neutrale Länder indirekte Auswirkungen von Kampfhandlungen zu spüren bekommen, sei es durch Flüchtlingsströme oder Veränderungen in den Handelsbeziehungen.
Nicht nur kämpfen
Was bedeutet diese verändere Ausgangslage für die Schweiz und insbesondere ihre Armee? Ihr primärer Auftrag besteht darin, das Land gegen einen militärischen Angriff zu schützen sowie die zivilen Behörden bei Naturkatastrophen oder bei Gefährdungen der inneren Sicherheit zu unterstützen. Ferner leistet sie Beiträge zur Friedensförderung im internationalen Rahmen. Trotz ihrer Neutralität pflegt die Schweiz also enge Beziehungen zu anderen europäischen Ländern. Sie ist unter anderem Mitglied in verschiedenen internationalen Organisationen und nimmt an Partnerschaftsprogrammen wie der Partnerschaft für den Frieden (PfP) der NATO teil.
Bis heute bildet die bewaffnete Neutralität der Schweiz einen zentralen Pfeiler der nationalen Identität und Aussenpolitik des Landes.
Fachleute betonen, dass die neutrale Schweiz innerhalb dieser Partnerschaften die Rolle eines verlässlichen Partners einnehmen muss, insbesondere angesichts des Kriegs in Europa. Das bedeutet in der Folge, dass die entsprechenden Investitionen in die Modernisierung der Armee zu tätigen sind und die Einsatzbereitschaft des Heeres erhöht werden muss. Kritiker dieses Ansatzes werfen die hohen Investitionskosten dieses Vorhabens in die Waagschale, da zum Beispiel moderne Luft- und Bodensysteme enorme Kosten im mehrstelligen Millionen- oder gar Milliardenbereich verursachen. Hierzu wird wiederum das Gegenargument ins Feld geführt, dass die Armee als Institution nicht nur der Landesverteidigung dient, sondern auch bei grossen Sport- und kulturellen Events zum Einsatz kommt sowie bei der Katastrophenhilfe unterstützt. Daher sei es in mehrfacher Hinsicht im nationalen Interesse, die militärischen Verbände einsatzfähig zu halten. Darüber hinaus stellten Rüstungsindustrie sowie der militärische Betrieb gerade in Randregionen der Schweiz einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar.
Wie geht es konkret weiter? Der Bundesrat will die Schlagkraft der Armee in den nächsten Jahren und Jahrzehnten erhöhen. Von 2027 bis 2030 erfolgt die Auslieferung der Kampfflugzeuge F-35A und des Systems der bodengestützten Luftverteidigung «Patriot». Nebst dem Luftraum soll künftig auch die Cyberverteidigung eine wichtige Rolle bei der Weiterentwicklung der Armee spielen. Gleiches gilt für die Bodentruppen, die gemäss Bund in den kommenden anderthalb Jahrzehnten modernisiert werden müssen. Dadurch sollen die Fähigkeiten der Armee stärker auf das hybride Konfliktbild ausgerichtet werden, sowohl zur Unterstützung der zivilen Behörden als auch zur Verteidigung in einem bewaffneten Konflikt. Zu diesem Zweck hat das Parlament im Juni 2022 beschlossen, die Armeeausgaben per diesem Jahr schrittweise zu erhöhen, sodass diese spätestens bis 2030 mindestens ein Prozent des Bruttoinlandproduktes betragen.
Schreibe einen Kommentar