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Reisen

Bewusster Tourismus als Zukunftsmodell

02.07.2019
von Sybille Bruetsch-Prevot

Die Welt liegt uns zu Füssen: Grenzen lösen sich auf, die Mobilität steigt und der zunehmende Wohlstand erlaubt es Hinz und Kunz, ihre Reiseträume ausschweifend zu verwirklichen. Welche Auswirkungen hat dies auf den Tourismus in der Zukunft?

Jede Schweizerin, jeder Schweizer unternahm im Jahr 2017 durchschnittlich 3,3 Reisen mit Übernachtungen und zehn Tagesreisen, weiss das Bundesamt für Statistik. Knapp 70 Prozent der Reisen mit Übernachtungen führten ins Ausland, die Tagesreisen hingegen verbrachte die Schweizer Bevölkerung mehrheitlich im Inland. 

Sanfter Tourismus im Trend

Beim Ferienmachen wollen wir Neues kennenlernen, andere Kulturen authentisch wahrnehmen, an einsamen Stränden liegen. Doch das globale Reiseverhalten führt genau zum Gegenteil: zum Massentourismus. Nicht nur Touristen «leiden» unter den Folgen, sondern in erster Linie das bereiste Land selbst. Um die Tourismusinfrastruktur zu erstellen und zu erhalten, wird meist rücksichtslos mit der eigenen Kultur und Natur umgegangen. 

Diese Entwicklungen bergen Konfliktpotenzial. Die letzten versteckten Winkel der Welt werden erobert, die Reisedistanzen fressen Energie und je mehr sich die lokale Kultur dem Massentourismus anpasst, desto eher verkommt sie zur Inszenierung. bewusster Tourismus fördert die nachhaltige Nutzung von touristischen Gegebenheiten, den Respekt vor Traditionen und den schonenden Umgang mit Ressourcen. So steht «sanfter Tourismus» für einen umweltverträglichen Tourismus, bei dem vor allem ökologische Aspekte im Vordergrund stehen. 

Sinnvoll reisen

Laut Reiseexperten haben sich die Ansprüche ans Reisen in den vergangenen Jahren stark verändert. Reisende wünschen sich für ihre Ferienzeit immer öfters einen tieferen Sinn. So boomen beispielsweise Volunteering-Reisen oder Sprachreisen gerade bei der Generation Z, also bei Menschen, die nach 1995 geboren wurden. Diese bewusste Art von Austausch ermöglicht es, tiefer in andere Kulturen einzutauchen und hinterlässt einen wesentlich nachhaltigeren Eindruck von einem Land als der klassische Tourismus. «Ich habe Peru von einer ganz anderen Seite kennengelernt», erzählt beispielsweise Agnes. Die 50-Jährige hat sich eine mehrmonatige Auszeit gegönnt, als ihre Kinder ausgezogen waren. Beim Reisen durch Südamerika hat die gelernte Pflegefachfrau ein dreiwöchiges Volunteering in einem peruanischen Krankenhaus absolviert. «Es war nicht alles rosig in diesen drei Wochen», äussert sie rückblickend. Aber sie habe viel gelernt, vieles habe sie zum Nachdenken angeregt «und ich habe nette Menschen kennengelernt, zu denen ich heute noch Kontakt habe».

Volunteering-Reisen oder Sprachreisen boomen gerade bei der Generation Z

Parahotellerie nimmt zu

Sich tagsüber auf einem Sofa entspannen, in der eigenen Küche einen Tee aufsetzen – zunehmend machen es sich Gäste in Ferienwohnungen bequem. So registrierte die Schweizer Parahotellerie 2018 insgesamt 16,6 Millionen Logiernächte, was gegenüber 2017 einer Zunahme von über vier Prozent entspricht (Bundesamt für Statistik). Davon entfallen gut zwei Drittel auf inländische Reisende, ein Drittel auf ausländische. Hier machen europäische Touristen den grössten Teil aus. Die Genfersee-Region hat übrigens bei den Logiernächten die Nase vorn, gefolgt vom Espace Mittelland.

Gefahren aus dem Weg gehen

Menschen machen sich heute grundsätzlich mehr Gedanken zu Umweltthemen, das gilt auch für die schönste Zeit des Jahres. Nachhaltig und bewusst reisen ist im Tourismus-Trend. So boomen beispielsweise Über-Nacht-Zugreisen auch an Destinationen, für die bisher aus Zeit- und Budgetgründen das Flugzeug gewählt wurde. Länder, die bezüglich Menschenrechte, Gleichstellung und anderer sozialer Themen Negativschlagzeilen machen, werden vermehrt als Feriendestination gemieden. Ebenso Länder, die nicht sicher sind. Frauen, die alleine reisen, können ein Lied davon singen. Oder auch Homosexuelle – sie haben kaum das Verlangen, ihre Ferien in einem Land zu verbringen, in dem die Todesstrafe auf Homosexualität steht.

Total digital unterwegs

Je länger desto mehr haben klassische Reisekataloge ausgedient. Reisende erkundigen sich im Internet, wo wer welche Erfahrungen gemacht hat. Oder verlassen sich auf persönliche Tipps. Die Digitalisierung hat auch vor dem Tourismus keinen Halt gemacht. Schlüsselfertiger Zutritt ins Hotelzimmer per Smartphone und Gepäcktracking übers App sind längst Realität. 

Der digitale Wahn hat aber auch unzählige Schattenseiten. So gibt es Unbekanntes und Unentdecktes im Instagram-Zeitalter kaum noch. Wer sich im Verzasca-Tal in die kalten, glasklaren Fluten stürzt und ein Bild des idyllischen Plätzchens postet, löst eine Massentouristen- und Autowelle aus, die das Tessiner Bergdorf nicht mehr bewältigen kann. Touristen, die ein Delfinbaby in den Armen halten, um danach das perfekte Bild hochladen zu können, nehmen seinen Tod in Kauf. Und alle, die schon einmal zur vollen Stunde vor dem glitzernden Eiffelturm gestanden sind, wissen, dass man ihn vor lauter in die Luft gestreckter Smartphones und Tablets kaum mehr sieht – bewusster Tourismus geht anders.

Reisende der Zukunft

Wer auch immer wohin auch immer reist: Die Zukunft gehört dem langsamen Fair-Reisen. Genauso wie bewusste Konsumentinnen und Konsumenten Produkte aus fairem Handel bevorzugen, halten sie auch beim Reisen Augen und Ohren offen. Denn nur wer achtsam und ohne schlechtes Gewissen reist, tut Körper, Herz und Seele Gutes.

Text Sybille Brütsch-Prévôt

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