holz-wolkenkratzer sydney
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Das magische Baumhaus

13.07.2022
von Rüdiger Schmidt-Sodingen

Grüne Häuser sind auf dem Vormarsch. Ein wegweisendes Beispiel ist der ausgerechnet in New York erdachte, 180 Meter hohe Holzwolkenkratzer von Sydney.

Nein, der New Yorker Wolkenkratzer auf der 270 Park Avenue, zuletzt als JP Morgan Headquarters bekannt, musste nicht wegen der umstrittenen Werbefigur Joe Camel abgerissen werden, die hier in der Suite 10B der Firma Artworks ein vorübergehendes Zuhause fand. Verschiedene Illustratoren wie die Kalifornierin Joann Daley schickten ihre Airbrush-Gemälde an diese Adresse, wo sie dann weiter zu den Werbeagenturen und Druckereien geleitet wurden.

Holz-Wolkenkratzer Sydney Sicht auf den Bahnhof

„Die hängenden Gärten von Sydney“ sollen im Jahr 2025 fertiggestellt werden. Bild: SHoP architects

Darunter auch das besagte Werbemaskottchen Joe Camel, das wegen seiner Beliebtheit bei Kindern im Juli 1997 schnellstmöglich zu Grabe getragen werden musste. 2019 begann der Abbruch des Gebäudes, das damit als höchster abgerissener Wolkenkratzer der Welt noch ein letztes Mal Geschichte schrieb. Zugleich unkten die ersten Städteplaner, vor allem außerhalb New Yorks, das sei es jetzt wohl gewesen mit den Hochhäusern. Nur Glas und Stahl und Energiefressen – das könne kaum die Zukunft sein.  

Das Hochhaus ist zurück

Jetzt aber entdecken Architekt:innen und Städteplaner:innen die Höhen und Hochhäuser neu. In Amsterdam konnte man unlängst über die Dächer spazieren und sich dabei eine neue Sicht auf die Stadt und ihre Möglichkeiten erlaufen, in München wird seit geraumer Zeit darüber diskutiert, doch endlich Hochhäuser im Stadtbild zuzulassen.

Keine Frage, das Hochhaus ist zurück – und damit auch das Konzept der Groß- oder besser Hochstadt, das von einigen Speckgürteln schon abgeschrieben wurde. Aber sind oder waren die kleinen Vorstadthäuschen im Grünen wirklich die Zukunft? Oder waren sie nicht eher das Wohnmodell einer untergegangenen Zeit, wie es Niklas Maak bereits 2014 in seinem Buch »Wohnkomplex« beschrieb? 

Holz-Wolkenkratzer Sydney seitliche Sicht

Die neue Firmenzentrale von Altlassian in Sydney soll zum höchsten Hybrid-Holzgebäude der Welt aufragen. Bild: SHoP architects

Bauen müsse neu gedacht werden, schrieb Maak und forderte ein Bauen »jenseits von Vorstadteinöde und Apartmentriegel«. Dass Maak drei Jahre später gemeinsam mit der Künstlerin Leanne Shapton »Durch Manhattan« wanderte, war wohl kein Zufall.

Denn New York, die Stadt, die niemals schläft, die vom Moloch der 1970er zum Reichen-Ghetto wurde, die von Touristen bewundert und von Terroristen attackiert wurde, erfindet sich und die Welt wieder einmal neu. An die Stelle des JP Morgan Hauses kommt ein noch höherer Wolkenkratzer, und am Broadway, im elften Stock des 1913 erbauten Woolworth Buildings, das vor hundert Jahren als achtes Weltwunder galt, wird an den grünen Wolkenkratzern der Zukunft geschraubt. Das dort ansässige Architektenbüro SHoP plant vertikal und grün. Und hat für »Down Under« ein grünes Weltwunder designt. 

Der höchste Hybrid-Holzturm der Welt

Bis 2025 lässt die Londoner Softwarefirma Atlassian am Hauptbahnhof von Sydney ein 40 Stockwerke umfassendes Holz-Hochhaus errichten, den höchsten Hybrid-Holzturm der Welt. 180 Meter wird der grüne Wolkenkratzer hoch werden und das »Green« bis aufs Dach tragen. Die Mitarbeitenden sollen buchstäblich von Natur umgeben sein – auch von echten Bäumen, Büschen und Gräsern, die jedes Geschoss natürlich begrünen. Eigentlich arbeiten sie dann auch nicht mehr in Büros, sondern in Gartenanlagen, die sich Meter für Meter von unten nach oben unters Dach schlängeln, wo das Hochhaus sich dann öffnet und in den Himmel und die Umgebung blickt.

Holz-Wolkenkratzer Sydney Innenansicht in den hängenden Gärten

Die offenen Gartenflächen sind der Schlüssel zur außergewöhnlichen ökologischen Innovation des Turms und zur Verringerung des ökologischen Fußabdrucks. Bild: SHoP architects

Ninotschka Titchkosky, CEO der australischen Baufirma BVN, will mit dem Projekt das Bauen nicht nur verändern, sondern revolutionieren. »Ja, wir wollen Maßstäbe setzen«, sagt sie ArchitectureAU. Das, was bislang in Beton und Stahl gegossen wurde, solle komplett in einem anderen Licht erscheinen. Zur nachhaltigen Baustrategie gehört auch, dass das Hochhaus keine verbrannte Erde sprich abgerissene Häuser hinterlässt. Vielmehr baut es sich tatsächlich, fast wie ein lebendiges Wesen, über einem bereits bestehenden Hostel und einem Paketzentrum neu auf. 

Ein grünes Weltwunder

Die Architektenfirma vom Broadway beschreibt ihren Designplan so: »Der Turm ist in sechs diskrete, aber miteinander verbundene Lebensräume unterteilt. Jeder vierstöckige Lebensraum ist eine freistehende Massivholzkonstruktion, die von einem effizienten Stahl-Exoskelett getragen wird. Auf jeder Ebene befindet sich eine natürlich belüftete Zone, ähnlich einem Garten im Freien.« Die offenen Gartenflächen seien der Schlüssel zur nachhaltigen Innovation und dem verringerten ökologischen Fußabdruck des Turms. Die bedienbaren Fassadenelemente nutzten das gemäßigte Klima Sydneys und ermöglichten es, größtenteils ohne Klimaanlage auszukommen. 

Nur die Stützstruktur wird also Stahl und Beton aufweisen, der Rest wird aus Sperrholz und weiteren natürlichen Materialien sein. Umgeben wird das wegweisende »Green Building« von Glas mit PV-Paneelen und Schattenrollos, die den gesamten Energiebedarf des Hauses decken und gleichzeitig in den Mittagsstunden für angenehme Temperaturen sorgen. Im Gegensatz zum Blick auf die alten Beton-Wolkenkratzer, in denen sich als einziges Lebenszeichen immer nur die Wolken spiegelten, wird man vor dem Baumhaus von Sydney stehen und wie in einen hochgezogenen Park blicken. Während man als Tourist hochschaut, wird vielleicht jemand vorbeikommen und sagen: »Sie müssen sich das so vorstellen: Das Ding lebt.«

Text Rüdiger Schmidt-Sodingen
Bilder SHoP Architects

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