Interview von Jessica Petz

Daniel Neuenschwander: «Das Universum ist so viel komplexer, als wir es uns vorstellen»

Als erster Schweizer Direktor bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA repräsentiert Daniel Neuenschwander nicht nur unser Land, sondern ist auch an den wichtigsten Entscheidungen des Raumfahrtsektors beteiligt. Aktuell arbeitet er an der Fertigstellung der Trägerrakete Ariane 6, deren Jungfernflug im nächsten Jahr stattfinden soll. Im Interview mit «Fokus» spricht er über die Herausforderungen des Raumtransports und den Wunsch, abseits der Erde leben zu können.

Als erster Schweizer Direktor bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA repräsentiert Daniel Neuenschwander nicht nur unser Land, sondern ist auch an den wichtigsten Entscheidungen des Raumfahrtsektors beteiligt. Aktuell arbeitet er an der Fertigstellung der Trägerrakete Ariane 6, deren Jungfernflug im nächsten Jahr stattfinden soll. Im Interview mit «Fokus» spricht er über die Herausforderungen des Raumtransports und den Wunsch, abseits der Erde leben zu können. 

Herr Daniel Neuenschwander, wie kam es zu Ihrer Leidenschaft für die Raumfahrt?

Schon als Kind war ich vom Sternenhimmel und den Weiten des Weltalls fasziniert. Ich wollte schon immer verstehen, warum es Planeten gibt und welche unterschiedlichen Eigenschaften diese haben. Dennoch bin ich nicht so schnell in die Raumfahrtsuppe gefallen, wie die meisten und habe in der Luftfahrt begonnen. Während meines Studiums hatte ich mit dem NASA Ames Research Center Kontakt. Das eine hat zum anderen geführt und heute sitze ich hier als Direktor des Raumtransports der ESA. Ich bin sehr glücklich, auf mittlerweile über 20 Jahre Raumfahrtaktivitäten in den unterschiedlichsten Bereichen zurückzuschauen.

Sie sind zuständig für den Raumtransportsektor. Was genau machen Sie dort? 

Kurz gesagt bereiten wir die Zukunft vor. Im Raumtransport der ESA sind wir zuständig für die Entwicklung neuer Raketen und zukunftsträchtiger Technologien. Meine persönliche Tätigkeit sind Verhandlungen mit der Industrie, sobald ein Programm beschlossen wurde. Bevor es nämlich zu einer endgültigen Entscheidung kommt, braucht es eine Genehmigung der 22 Mitgliedstaaten. Dementsprechend bin ich konstant in Kontakt sowohl mit den öffentlichen nationalen Agenturen und Behörden wie auch mit dem privaten Sektor. 

Daniel Neuenschwander

Daniel Neuenschwander

An welchen grossen Projekten arbeiten Sie aktuell? 

Momentan arbeiten wir an der Nachfolge unserer europäischen Trägerrakete Ariane 5: der Ariane 6. In der gleichen Weise haben wir am 13. Juli diesen Sommers Vega-C qualifiziert und arbeiten jetzt an der Markteinführung dieser. Das war für mich persönlich ein grosser Meilenstein, da ich das erste Mal in meiner Funktion eine neue Rakete qualifizieren durfte. Als drittes Grossprojekt haben wir die Space Riders. Dies ist eine kleine Raumfähre, die wir 2024 starten möchten. Neben den drei grossen Programmen gibt es auch die Technologieprogramme, wie das neue Flüssigtriebwerk Prometheus, das auf Sauerstoffmethan basieren soll. Insgesamt führen wir in der Direktion zurzeit 16 Programme parallel durch. 

Welche Informationen erhoffen Sie sich mit dem Start der Ariane 6 zu gewinnen?

Ariane 6 ist nicht dafür da, zusätzliche Informationen zu generieren. Ariane 6 wird uns den Zugang zum All sichern. Mit dieser Entwicklung wurde das Trägersystem technisch weiterentwickelt, damit zukünftig Europa als Weltraummacht über ihren eigenen Zugang zum All verfügt. Dadurch werden Programme ermöglicht, welche viele wichtige Daten für Bürger:innen erzeugen, die vom Alltag nicht mehr wegzudenken sind. 

Wie wir wissen soll die Ariane 6 deutlich weniger kosten als die Ariane 5. Ist es aufgrund der aktuellen Inflation überhaupt möglich, die Kosten so gering zu halten? 

Im Jahr 2014 entschieden wir uns, Ariane 6 und Vega-C zu entwickeln, mit dem klaren Ziel, die Kosten um 50 Prozent zu reduzieren. Da diese Entscheidung schon acht Jahre her ist, haben sich die Umstände geändert, und damit auch die Zahlen. Die aktuelle Inflation ist eine riesige Herausforderung für die Industrie und wir sind aktuell dabei, Lösungen zu entwickeln, um Prozesse zu erleichtern. Heute hat sich die Industrie zur Reduzierung der Kosten von 40 Prozent verpflichtet und wir setzen alles daran, dies zu erreichen.

Wie steht es um die Nachhaltigkeit der Ariane 6 im Vergleich zum Vorgängermodell? 

Hier gibt es einen grossen Unterschied zwischen Ariane 6 und Ariane 5. Bei Ariane 6 kann die Oberstufe zerstört werden, weshalb sie nicht einfach in der Umlaufbahn gelassen wird. Dies erlaubt auch zukünftigen Generationen diese Orbits zu nutzen, da nicht zusätzlicher Weltraumschrott herumfliegt.

Russland hat sich im Frühjahr von der ESA zurückgezogen. Welche Probleme kommen damit umher?

Bis zum 24. Februar 2022 hatten wir drei Raketen, die den europäischen Zugang zum All sichern: Ariane 5, Sojus und Vega. Die russische Sojus wurde sofort gestoppt.

Als wir entschieden hatten, Ariane 6 und Vega-C zu entwickeln, ging es auch darum, rein europäisch fliegen. Die Unabhängigkeit war ein ganz wichtiger Aspekt in der Entscheidung, damit wir auch die Industrie und Arbeitsplätze in Europa bewahren. Nun ist der Wegfall der Sojus schneller gekommen als wir erwartet hatten. Geplant waren noch fünf europäisch-institutionelle Missionen, die wir mit der Sojus starten wollten. Dafür brauchen wir jetzt kurzfristig Optionen. 

Tourismus ist eine Angelegenheit für Private.

Welche Faktoren spielen eine wichtige Rolle beim Raketenstart? Worauf muss man besonders achten? 

Wenn man sich für einen Weltraumbahnhof entscheidet, ist es wichtig, möglichst nah am Äquator zu liegen. Die Anfangsgeschwindigkeit ist am Äquator am grössten. So startet man gegen die Erdrotation und gewinnt sehr viel Energie. Zudem ist es wichtig, dass der Standort ausserhalb von Erdbebenregionen und Hurricanes liegt. Dementsprechend liegt unsere europäische Weltraumbasis in Französisch-Guyana, da dieser Standort all diese Bedingungen erfüllt. Beim Wetter liegt der Hauptpunkt mit Abstand bei den Höhenwinden. Nicht weil die Raketen Probleme mit dem Wind haben – dazu sind sie zu leistungsstark. Wenn jedoch aus Sicherheitsgründen Raketen zerstört werden müssen, muss sichergestellt werden, dass bewohnte Gebiete geschützt werden können. 

Der Weltraumtourismus boomt. Wie sieht die Zukunft der Raumfahrten aus und welche Kompetenzen werden verlangt? 

Unsere Hauptaufgabe liegt darin, die Industrie auf der technologischen Ebene zu begleiten und somit neue Entwicklungen zu testen und voranzutreiben. Es ist wichtig, den kontinuierlichen Zugang für Europa zu arrangieren und standzuhalten – dies ist nämlich aktuell noch nicht gegeben und stellt eine Voraussetzung für die Bestehung des europäischen Raums dar. Ich glaube nicht, dass es in unserer Verantwortung liegt, den Tourismus weiterzuentwickeln. Tourismus ist eine Angelegenheit für Private. 

Bisher waren nur Amerikaner auf dem Mond. Wann haben die Europäer:innen endlich die Möglichkeit? 

Für Europa ist es nur eine Frage der Zeit, bis es so weit ist. Wir haben eine Partnerschaft mit der NASA und sind am Mondprogramm der Artemis beteiligt. Die ESA baut das European Service Module , welches auch in naher Zukunft europäischen Astronaut:innen den Transfer zum Mond ermöglichen soll. Ich hoffe natürlich, dass es so schnell wie möglich passieren wird. 2023 werden wir eine wichtige Entscheidung treffen, welche uns wahrscheinlich mehr Antworten bringen kann zu einer eigenen Kapazität. 

Ich weiss nicht, wie man glauben kann, es gäbe kein anderes Leben abseits unserer Erde.

Wie schädlich ist die Raumfahrt allgemein für das Klima?  

Wir müssen uns natürlich in der aktuellen Situation verantwortungsvoll positionieren, weswegen wir uns zum Ziel gesetzt haben, bis 2030 unsere CO₂-Emissionen um mindestens 50 Prozent zu reduzieren. Grundsätzlich sind die durch die Raumfahrt entstandenen Emissionen in absoluten Zahlen sehr klein im Vergleich mit anderen Sektoren. Trotzdem arbeiten wir mit Hochdruck daran, zukünftige Technologien umweltfreundlich zu gestalten. Wenn man sich den ganzen Lebenszyklus einer Rakete anschaut, sind Rohmaterialien, Produktion und Infrastrukturen auf der Erde die Hauptpunkte, wo man ansetzen muss. Der Start ist nur ein kleiner Anteil der Emissionen, dieser macht in der Wertschöpfungskette nur etwa drei Prozent aus. 

Hypothetisch gesehen: Wenn alle technischen Mittel gegeben wären, gäbe es einen Ort oder Planeten, den Sie am liebsten besuchen würden?  

Definitiv Exoplanete – diese faszinieren mich besonders, weil dort Leben möglich sein kann zu ähnlichen Bedingungen wie auf der Erde. Auf einem dieser würde ich gerne leben, da dies ganz spannende Orte sind. Ich glaube, die Menschheit hat da durchaus Potenzial, neue erdähnliche Planeten zu entdecken und eines Tages auf verschiedenen zu leben. Aber das Wichtigste ist natürlich der Transport – das ist die grosse Herausforderung. Bis dahin gilt es, unseren «kleinen blauen Kugel» namens Erde eine nachhaltige Perspektive zu geben.

Ist der Gedanke, es gäbe Leben auf anderen Planeten, verwerflich? 

Ich weiss nicht, wie man glauben kann, es gäbe kein anderes Leben abseits unserer Erde, wenn man die Dimensionen des Alls betrachtet. Es gibt ganz sicher andere Lebensformen, ausserhalb von dem, was wir heute kennen und uns vorstellen. Und diese zu finden, wäre ein unfassbarer Erfolg für die Menschheit. Wenn ich eines gelernt habe in der Raumfahrt, dann ist es sicherlich, dass das Universum so viel komplexer ist, als wir es uns vorstellen. Ich betrachte dies mit viel Demut.

Smart
fact

Zur Person

Daniel Neuenschwander ist Direktor bei der Europäischen Raumfahrt Agentur ESA. Den grössten Teil seiner beruflichen Laufbahn hat der Westschweizer der Luft- und Raumfahrtbranche gewidmet und stärkt die Schweiz und ihre Präsenz in einer der wichtigsten internationalen Organisationen. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

14.10.2022
von Jessica Petz
Vorheriger Artikel Unternehmen im Wandel
Nächster Artikel Die Karriereleiter führt nicht nur nach oben