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Bildung

Die Karriereleiter führt nicht nur nach oben

14.10.2022
von Kevin Meier

Hören Menschen den Begriff «Karriere», taucht oftmals das Bild des klassischen Weges nach oben in den Köpfen auf. Für lange Zeit galt der Aufstieg hin zu mehr Führungsverantwortung, meist innerhalb derselben Unternehmung, als das Karrieremodell schlechthin. «Fokus» hat bei der Karriere-Coach und Expertin für Arbeitsintegration, Denise Eberhard, nachgefragt, inwiefern der gesellschaftliche Wandel Karrieremodelle beeinflusst.

Denise Eberhard, Karriere-Coach und Expertin für Arbeitsintegration

Denise Eberhard
Karriere-Coach und Expertin für Arbeitsintegration

Denise Eberhard, der Aufstieg durch Seniorität galt als das einzig wahre Karrieremodell. Ist dies noch immer der Fall?

Klassisch unterteilte man die Karrieremodelle in Führungs-, Fach- und Projektlaufbahn. Der Weg über die Seniorität war geprägt von langer Betriebszugehörigkeit – beispielsweise vom Lernenden bis zur Führungskraft. Das gehört heute zur seltenen Ausnahme. Denn der Arbeitsmarkt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Der Wandel wurde in den letzten zwei bis drei Jahren beschleunigt und derzeit herrscht in vielen Branchen ein Fachkräftemangel. Die verschiedenen Generationen stellen zudem unterschiedliche Ansprüche an die Arbeitgeber:innen. Bei den Millennials und der Generation Z ist eine erhöhte Wechselwilligkeit bekannt. Die jüngeren Arbeitnehmer:innen streben die bisherigen Karrierewege nicht mehr an und regelmässige Arbeitgeberwechsel gehören für sie zur Normalität.

Wie wichtig ist in Ihrer Erfahrung das Karrieremodell basierend auf dem Aufstieg heute?

Die angesprochenen Arbeitnehmer:innen streben schon früh danach, Verantwortung zu übernehmen. In innovativen Unternehmen mit flachen Hierarchien ist das gut möglich. Mitarbeitende, welche die Karriereleiter erklimmen möchten, können in einem Unternehmen mit flachen Hierarchien jedoch am falschen Platz sein. Weil diese Firmen auf steile Hierarchien verzichten, haben sie oftmals Mühe, die besten Arbeitnehmer:innen zu halten. Deshalb sollte die Zielsetzung einer jeden Mitarbeiter:in mit der jeweiligen Unternehmensstruktur entsprechend übereinstimmen.

Welche anderen Karrieremodelle stellen weitere Möglichkeiten dar?

Ich beobachte eine interessante Entwicklung zu Portfolio- und Bogenkarrieren. Bei der Portfoliokarriere geht es darum, mehrere Jobs im beruflichen Kerngebiet zu kombinieren – gleichzeitig oder in kurzen Zeitabschnitten hintereinander. Die Portfoliokarriere kann beispielsweise in der IT-Branche aufgebaut werden, als Berater:in mit zeitlich befristeten Projekten oder für mehrere Unternehmen. Dieses Karrieremodell bietet einerseits viel Abwechslung, Flexibilität, mehrere Einnahmequellen und einen möglichen Übergang zur Selbstständigkeit. Andererseits stehen dem ebenso Nachteile wie schlechte Planbarkeit, höheres Risiko, grössere Schwankungen sowie wenige Aufstiegsmöglichkeiten gegenüber.

Die Bogenkarriere beinhaltet eine schrittweise Reduktion an Verantwortung sowie auch an Arbeitsvolumen. Dies kann bereits Mitte des Erwerbslebens beginnen. Die Gründe dafür sind sehr individuell, etwa um sich anderen Dingen im Leben zu widmen. Es ist zunehmend das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung spürbar: beispielsweise mehr Zeit für die Familie, neue Projekte und weiteres. Einige Arbeitgeber:innen bieten dafür flexible Arbeitsmodelle an. Bei der Bogenkarriere sind die Arbeitnehmer:innen dabei als Mentor:innen im Unternehmen engagiert und fördern die Entwicklung jüngerer Mitarbeitenden. Oftmals ist das langfristige Ziel der Bogenkarriere über das Pensionsalter mit einem reduzierten Pensum weiterzuarbeiten.

Inwiefern kann ein Quereinstieg als Karrierestrategie angesehen werden?

Einem Quereinstieg geht eine grundlegende berufliche Neuorientierung voraus. Aktuell sprechen wir aufgrund des Fachkräftemangels von einem Arbeitnehmermarkt. In der Vergangenheit war ein Quereinstieg oder selbst ein Branchenwechsel schwierig bis fast unmöglich. In den letzten zwei bis drei Jahren hat sich der Zugang geöffnet und bietet gute Umstiegsmöglichkeiten. So kann ein Quereinstieg als mittel- bis langfristige Karrierestrategie betrachtet werden.

Wie kann man herausfinden, welches Karrieremodell persönlich am besten passt? 

In solchen Belangen kann es zuweilen schwierig sein, die notwendige Klarheit zu erreichen. Unterstützung von aussen, wie zum Beispiel von Karriere-Coaches, kann eine Übersicht bieten, Potenziale aufzeigen und Selbstvertrauen schenken. 

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Die häufigsten Karrieremodelle

Führungslaufbahn: Die klassische Karriereleiter durch die Hierarchie zu mehr Führungs- und Budgetverantwortung und fokussiert auf Leistung und Autoritätsstufen. Eine Führungslaufbahn ist nicht gezwungenermassen auf ein Unternehmen beschränkt. Durch die Verbreitung von flacheren, schlankeren Führungsprozessen haben die Aufstiegsmöglichkeiten abgenommen.

Fachlaufbahn: Auf diesem Karrierepfad können ebenfalls Führungsverantwortlichkeiten steigen. Der Fokus liegt allerdings auf dem Einsatz von Fachwissen und erweiterten Handlungsspielräumen. Beispiele dafür sind Positionen in den Bereichen Research & Development. Durch Lean Management gewinnt dieses Laufbahnmodell stellenweise an Bedeutung.

Projektlaufbahn: Die Projektkarriere vereint zu einem gewissen Grad Führungs- und Fachkompetenzen in einem. Verantwortung wird zeitweise übernommen, während die Komplexität der Projekte zunimmt.

Portfoliokarriere: Eine auf dem Portfolio basierte Laufbahn baut auf unterschiedlichen, kurzzeitigen Jobs auf, oft in mehreren Unternehmen. Es werden nicht die traditionellen Entwicklungsstufen eines Berufes durchschritten.

Bogenkarriere: In der üblichen Vorstellung einer Karriere steigen beispielsweise Verantwortung und Pensum bis zur Pensionierung kontinuierlich an. In einer Bogenkarriere werden schon Jahre vor der Rente das Arbeitspensum reduziert oder gewisse Verantwortlichkeiten abgegeben. 

Eine Antwort zu “Die Karriereleiter führt nicht nur nach oben”

  1. Yvonne W. sagt:

    Vielen Dank für diesen informativen und interessanten Artikel.

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