interdisziplinarität
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Interdisziplinarität wird im Berufsleben immer wichtiger

07.01.2022
von Akvile Arlauskaite

Interdisziplinäre Kompetenzen sind in aller Munde. Doch was bedeutet Interdisziplinarität eigentlich? Und welche Skills fallen in diesen Bereich? «Fokus» hat bei einer Expertin nachgefragt. 

Die Arbeitswelt befindet sich in einem enormen Wandel, der unter anderem von der Digitalisierung, neuen Arbeitsformen, komplexen Fragestellungen sowie Beschleunigungen verschiedener Art charakterisiert wird. Daraus resultiert eine grundlegende Veränderung der Anforderungen an alle Berufstätigen, weiss Michèle Rosenheck, Direktorin Laufbahnzentrum Zürich.

Interdisziplinäre und Future Skills – wo liegt der Unterschied?

Zunächst gilt es zu definieren, was unter den genannten Bezeichnungen zu verstehen ist. «Der Begriff ‹Interdisziplinarität› stammt aus dem wissenschaftlichen Bereich. In dessen Kontext werden komplexe Fragestellungen von mehreren Perspektiven, sprich Disziplinen, angegangen. Expert:innen aus verschiedenen Bereichen arbeiten im Team an einer Aufgabe, bei der das Denken und Handeln in Silos nicht ausreichend ist», erklärt Rosenheck.

Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit in einem interdisziplinären Team seien diverse Kompetenzen erforderlich, zunächst soziale und kommunikative Skills. Laut der Expertin sollte man in der Lage sein, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen und sich mit den Teammitgliedern aus anderen Disziplinen zu verständigen, sowie Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit mitbringen. Hinzu kommt die Fähigkeit der Wissensintegration: Neues Wissen aus anderen Disziplinen integrieren können, was Offenheit und Grundlagenverständnis für diese bedingt.

Interdisziplinären Fähigkeiten werden etwa durch kritisches und vernetztes Denken, Problemlösungskompetenz, Selbstmanagement sowie selbstverantwortetes Lernen ergänzt.

Der Begriff «Interdisziplinarität» werde oft stellvertretend für breiter gefasste «Future Skills» verwendet, merkt Rosenheck an. «Letzteres ist ein Sammelbegriff, der über die Interdisziplinarität hinausgeht. Darunter werden alle Kompetenzen subsumiert, die in der künftigen Arbeitswelt an Bedeutung gewinnen oder bereits gewonnen haben, häufig in Abgrenzung zum fachlichen Wissen.» In diesem Sinne werden die erwähnten interdisziplinären Fähigkeiten etwa durch kritisches und vernetztes Denken, Problemlösungskompetenz, Selbstmanagement sowie selbstverantwortetes Lernen ergänzt. Ein Teil davon sind sogenannte Meta- und Schlüsselkompetenzen, die gemäss Rosenheck auf beliebige Situationen oder Inhalte übertragbar sind. Beispiele hierfür sind unter anderem die Lernbereitschaft und -fähigkeit.

«Fokus» hat im Interview mit Michèle Rosenheck über die Vermittlung interdisziplinärer Skills in der Aus- und Weiterbildung sowie deren Bedeutung in der Arbeitswelt gesprochen.

Michèle Rosenheck

Michèle Rosenheck

Michèle Rosenheck, inwiefern haben sich die Kompetenzanforderungen an die Arbeitnehmenden in den letzten Jahrzehnten verändert?

Grundsätzlich steigen die Anforderungen durch die Digitalisierung sowie Automatisierung an und es gibt immer weniger Tätigkeitsbereiche für Geringqualifizierte. Auffällig ist die Verschiebung von Tätigkeiten und Anforderungen, die automatisiert oder durch KI übernommen werden können, hin zu solchen, die durchaus menschliche Kompetenzen fordern: Einfühlungsvermögen, Interpretieren von sowie Entscheiden in uneindeutigen Situationen, vernetztes Denken und Kreativität.

Oft werden Generalist:innen und Spezialist:innen einander gegenübergestellt. Ist das sinnvoll?

Nein, es braucht beides. Spezialist:innen, die kein Verständnis für die angrenzenden Disziplinen haben, sind kaum brauchbar, und umgekehrt sind Generalist:innen, die nicht über vertiefte spezifische Kompetenzen in einem Bereich verfügen, kaum gefragt. Im Laufe einer Berufslaufbahn wechseln sich die Entwicklungsthemen häufig ab: Nach einer Entwicklung von breiten Kompetenzen ist oft eine Spezialisierung sinnvoll und umgekehrt.

Wie können relevante Future Skills erfolgreich erlernt werden?

Deren Vermittlung ist anspruchsvoll. Es kann nicht einfach «Wissen eingetrichtert» oder auswendig gelernt werden. Vielmehr handelt es sich hierbei um Handlungskompetenzen. Das heisst, diese müssen zusätzlich zur Wissensaneignung durch Handlungen in realen Arbeits- oder Lebenssituationen, sprich regelmässiges Trainieren, entwickelt werden – kombiniert mit Reflexion des eigenen Lernens. Jede Situation im Alltag soll als Lerngelegenheit, eine kleine alltägliche Herausforderung, genutzt werden. Man holt sich hierbei Informationen zum Thema, wendet diese an, reflektiert sie und lernt aus den Fehlern. Stichwort: «Learning by doing».

Von welcher der genannten Fähigkeiten würde wohl jede:r Arbeitnehmende profitieren?

Entscheidend ist allem voran die Lernfähigkeit. Sie ist besonders wichtig, da sich das Fachwissen in fast allen Gebieten immer rascher entwickelt und die zuvor erworbenen Kenntnisse schnell veralten. Somit muss das Wissen fortwährend aktualisiert werden. Die meisten heute Arbeitstätigen erlebten jedoch eine Bildung im «alten» Bildungsverständnis. Wir müssen Lernen neu erlernen: Es sagt mir niemand mehr, was ich wie lernen soll. Vielmehr wird erwartet, dass ich aus eigenem Antrieb erkenne, was wichtig wird und wo ich Lücken habe. Man sollte wissen, wie man sich Relevantes aneignen kann, dies auch tun und dabei das eigene Lernen reflektieren und weiterentwickeln. Solch selbstverantwortetes Lernen findet sich bislang leider kaum im Weiterbildungsmarkt.

Wie erkennt man, ob bestimmte Kompetenzen bei einer Aus- oder Weiterbildung tatsächlich vermittelt werden?

Wird eine Kompetenz im Ausschrieb aufgeführt, sollte aufgezeigt werden, wie diese vermittelt wird und wie der Transfer des Gelernten in den Arbeitsalltag gefördert wird.

Das Angebot an Aus- und Weiterbildungen ist zahlreich. Welchen Ansatz empfehlen Sie bei einer Entscheidung?

Man sollte Informationsanlässe besuchen und Obiges erfragen. Zudem kann man sich Rat bei Absolvierenden einholen. Etwa, was sie vom Gelernten effektiv für ihren Berufsalltag brauchen konnten.

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