frau liest ein buch in hängematte
50+ Kultur Bildung

Lesend die Welt entdecken

08.04.2020
von Lars Meier

Wer aktuell nicht arbeiten kann, verfügt plötzlich über eine Unmenge an freier Zeit. Diese aber ausschliesslich zum Nichtstun zu verwenden, ist in Hinblick auf den normalen Alltag danach nicht empfehlenswert. Weshalb man in dieser Zeit nun öfter zu einem Buch greifen sollte.

«Bleiben Sie zu Hause!», lautet der aktuelle Appell an die Bevölkerung. Das heisst aber nicht, dass man dies als Grund nehmen sollte, den ganzen Tag nichts zu tun. Auch wenn man es sich zurzeit nicht vorstellen kann: Der Alltag, wie wir ihn kannten, wird eines Tages weitergehen. Wer die Zeit während des Ausnahmezustandes nicht optimal genutzt hat, läuft Gefahr, anschliessend Mühe mit dieser Umstellung zu haben.

Das heisst nicht, dass man sich dabei täglich mühsam mit Vokabeln von Fremdsprachen oder Kopfrechenaufgaben herumschlägt. Wichtig ist, dass man sich während dieser Zeit geistig fit hält. Das Erreichen dieses Ziel kann und soll auch Spass machen – zum Beispiel mit dem Griff zu einem Buch.

Vorteile des Lesens

Regelmässiges Lesen wartet mit vielen Vorteilen auf. Manche liegen auf der Hand: Durch die Beschäftigung mit Sprache trainiert man beispielsweise Rechtschreibung sowie Grammatik, zudem lässt Lesen den Wortschatz wachsen. Andere Vorteile sind vergleichsweise unbekannt: So profitiert auch das Gedächtnis vom zwingenden Merken der zahlreichen Informationen, weiterhin fördert man die Konzentrationsfähigkeit und lernt, sich auf nur eine Sache zu fokussieren. Ebenfalls profitiert die Kreativität von regelmässigem Lesen: Da in der Regel keine Bilder vorgegeben sind, sondern das Gehirn diese erst entstehen lassen muss, ist stets auf neue Kreativität gefragt: Wie sieht diese Figur aus? Welcher Anblick bietet sich den Charakteren, als sie auf diesem Berg stehen? Mit dem Hineinversetzen in Figuren wird last but not least auch das Empathievermögen positiv beeinflusst.

Wer die Zeit während des Ausnahmezustandes nicht optimal genutzt hat, läuft Gefahr, anschliessend Mühe mit dieser Umstellung zu haben.

Wohltuende Ablenkung

Abschliessend erfüllt Lesen ausserdem den vielleicht wichtigsten Vorteil überhaupt, nach dem wir uns in dieser Zeit sehnen: Ablenkung. Egal, ob Radio, TV oder Print: Jedes Medium berichtet vom Coronavirus, was zwar zweifellos informativ ist, aber auch stark verunsichern und Angst machen kann. Sobald man jedoch ein Buch aufschlägt, kann man diese Realität gedanklich beliebig lang verlassen. Weg von der Pandemie, rein in spannende, unbekannte Welten. Dem persönlichen Geschmack sind dabei keine Grenzen gesetzt, für jede Bücherratte oder für alle, die es noch werden wollen, lässt sich ein passendes Buch finden. Sei es ein packender Thriller, der einen Stunden in den Bann zieht oder eine Liebesgeschichte, welche romantische Gefühle der bitteren Realität weichen lässt.

Fremdsprachenkenntnisse ohne Büffeln auffrischen 

Wer zudem Fremdsprachenkenntnisse auffrischen möchte, ist mit einem Buch ebenfalls gut beraten. Eine packende Geschichte stellt dabei die ideale Motivation dar, Seite um Seite in kürzester Zeit umzublättern. Dabei ist es zentral, dem Geschehenen folgen zu können, statt jedes einzelne unbekannte Wort nachzuschlagen, was ansonsten die Leselust schnell wieder vertreiben kann. Das Sprachniveau stellt dabei einen groben Indikator für die Wahl der Lektüre dar; bei niedrigen Sprachniveaus sind folglich kürzere Werke eine gute Wahl. Ebenfalls gibt es für Leserinnen und Leser, die zu einem fremdsprachigen Buch greifen, sogenannte «Easy Readers». Dabei handelt es sich um Literatur, welche für fremdsprachige Leserinnen und Leser gekürzt und vereinfacht wurde, sodass diese ebenfalls mühelos in den Genuss davon kommen. Im Handel findet sich ein breites Angebot von zeitlosen Klassikern bis hin zur zurzeit beliebtesten Jugendliteratur.

«Ich lese nicht» – warum denn nicht? 

Es existieren zwar zahlreiche Erhebungen zum tatsächlichen Leseverhalten; wieso jemand hingegen nicht liest, bleibt aber oft im Dunkeln. Die Gründe variieren dabei von Fall zu Fall, oft ist der ausschlaggebende Punkt, dass das Freizeitverhalten im Jugendalter anderweitig gefestigt wurde und deswegen Kinder von Eltern, die nicht lesen, später ebenfalls nicht lesen. Ein weiterer Grund für Mütter und Väter, wieder einmal ihren Kindern aus einem Buch vorzulesen. Dabei kommen nicht nur die bereits genannten Vorteile zum Tragen, zusätzlich wird dabei auch der Familienzusammenhalt gestärkt.

Es ist wichtig, für die Zeit danach geistig fit und gewappnet zu bleiben. Der Weg dahin muss aber alles andere als steinig und schwer sein – ein Griff ins Bücherregal genügt bereits vollkommen.

Dass bei vielen Schweizer Schülerinnen und Schülern bezüglich der Leselust noch Luft nach oben besteht, belegt auch ein Blick in die aktuellste PISA-Studie, bei welcher der Fokus auf der Lesekompetenz lag: Von 79 teilnehmenden Staaten schaffte es die Schweiz lediglich auf den Platz 27. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass dem nicht immer so war: 2012 wurde beispielsweise hierzulande bezüglich der Lesekompetenz der vorläufige Spitzenwert erreicht, seitdem hat er stetig abgenommen. Während die Schweiz vor acht Jahren zudem beim Lesen mit 509 Punkten noch 13 Punkte über dem OECD-Durchschnitt lag, liegt sie in der aktuellsten Studie von 2019 sogar drei Punkte darunter.

Lesen bedeutet nicht automatisch Einsamkeit

Das Empfinden von Einsamkeit beim Lesen ist zudem ein weiterer oft genannter Grund, weshalb man sich lieber anderen Aktivitäten zuwendet. Alleinstehenden bieten sich aber neue Möglichkeiten: Im Internet finden sich beispielsweise zahlreiche Foren zum Austausch mit Gleichgesinnten, wer sich lieber Face-To-Face sieht, gründet vielleicht sogar einen kleinen Buchclub – mit Austausch per Skype oder Ähnlichem, versteht sich. Dies kann zugleich dem Bedürfnis nach aktuell fehlenden Strukturen und Regelmässigkeiten entgegenwirken.

Die Zeit danach

Niemand verlangt, dass man, sobald der gewohnte Alltag wieder seinen Lauf nimmt, eine neue Fremdsprache fehlerfrei spricht oder die wichtigsten Werke der Weltliteratur zitieren kann. Ebenso soll sich niemand diese schon genug herausfordernde Zeit noch zusätzlich erschweren müssen. Aber es ist wichtig, für die Zeit danach geistig fit und gewappnet zu bleiben. Der Weg dahin muss aber alles andere als steinig und schwer sein – ein Griff ins Bücherregal genügt bereits vollkommen.

Text Lars Gabriel Meier

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Vorheriger Artikel Jeder fünfte Mensch ist hochsensibel – auch ich?
Nächster Artikel Stephan Schmidlin: «Mit der Bildhauerei werde ich alt»