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Energie

Die Zukunft der Städte ist grün

19.10.2022
von Julia Ischer

Der Begriff «Grüne Stadt» ist momentan in aller Munde. Bilder diverser Zukunftsvorstellungen davon werden in den Medien immer präsenter. Inwieweit können diese aber auch Realität werden? Und wie wird eine Stadt überhaupt grün?

Bilder von mit Bäumen und Büschen übersäten Balkonen an Hochhäusern oder von Strassen, auf denen nur Elektroautos fahren, sieht man immer häufiger. Ob unsere Schweizer Städte bald auch so aussehen, steht aber noch in den Sternen. Um diesen Weg einzuschlagen, braucht es nämlich einige Veränderungen – nicht nur in der Denkweise.

Zusammenhänge erkennen

«Um grüner zu werden, ist es entscheidend, dass eine Stadt sich als das zusammenhängende Ökosystem begreift, welches es tatsächlich ist», sagt die Zukunftsforscherin Senem Wicki. Jede Aktion zeigt Einfluss auf eine andere Aktion, die wiederum eine nächste Handlung erfordert. Die gebaute Umwelt beeinflusst beispielsweise die Hitzeentwicklung im öffentlichen Raum, welche sich dann auf die Aufenthaltsdauer der Menschen auswirkt. Dadurch verändert sich das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung, welches dadurch über zukünftige Infrastrukturen entscheidet.

Ein solches Begreifen kann laut Wicki aber auch Ambivalenzen und Konflikte sichtbar machen: Man muss sich entscheiden, ob man das Wasser nun zum Kühlen einsetzen möchte oder nicht doch besser spart. 

Städte müssen experimentieren

Ein allgemeines Wundermittel, um nachhaltiger zu werden, gibt es der Forscherin zufolge für Städte aber nicht. Ortsspezifische Strukturen, Klimazone, Ökonomie und Identität spielen eine grosse Rolle, um Lösungen zu finden, wie eine Stadt umweltfreundlicher werden kann. Für Lugano kann der Plan also ein ganz anderer sein als für Bern. Es muss systematisch ausprobiert, beobachtet und angepasst werden, um die passenden Massnahmen hin zu mehr Nachhaltigkeit zu finden und umzusetzen. 

«Ausserdem sieht nicht jede Massnahme grün aus: Auch ein Anreizprogramm zur Förderung des Weiter- statt Neubauens kann grün und somit nachhaltig sein, obwohl damit kein einziger Baum gepflanzt wurde», fügt Wicki hinzu. 

Die Politik hat die Hebel in der Hand

Wie so oft sind es hauptsächlich die Politik und die Verwaltung, die etwas bewirken können. Dabei ist es wichtig zu erkennen, dass Regulationen nicht immer verhindern, sondern auch antreiben können. Oft schon wurden durch Verbote und Regeln Innovationen gefördert. Wickis Beispiele dafür sind die verkehrsberuhigenden Superblocks in Barcelona oder Kopenhagens Abfallstrategie: In der spanischen Grossstadt werden die Gebäude höher gebaut, dafür müssen je zehn Prozent des Baugrunds für öffentliche Parks, Einrichtungen und günstigen Wohnraum zur Verfügung gestellt werden. Dänemarks Hauptstadt verbindet Erholung mit Abfallverbrennung, indem man auf der Verbrennungsanlage Skifahren kann. Zudem sollen bis 2024 70 Prozent des städtischen Abfalls im Kreislauf wiederverwendet werden.

Der Schlüssel sind die Bewohner:innen

Um eine Stadt wirklich nachhaltig und grün zu gestalten, muss vor allem auf die Einwohner:innen gesetzt werden. Laut Wicki muss es einfach und vor allem cool sein, sich nachhaltig zu verhalten und lokal, saisonal sowie ressourcenschonend zu leben. Die Bürger:innen brauchen dafür auch Spielraum, um selbst aktiv werden zu können. «Lokale, selbstverwaltete Gartengemeinschaften machen nicht nur die städtische Erde fruchtbar und Gärtner:innen oder Spaziergänger:innen glücklich, sondern stärken auch das lokale Netzwerk», meint die Zukunftsforscherin.

Slums als Vorbild

Obwohl Slums rund um Metropolen ein eher negatives Bild hervorrufen, sind sie «unfreiwillige Vorreiter in Sachen Sparsamkeit und Umgang mit beschränkten Ressourcen», meint die Expertin. Slums haben Erfahrung im Umgang mit dem extrem dichten Aufeinanderwohnen und seit den 1990er-Jahren wird mit dezentralen, selbstverwalteten Ansätzen experimentiert. Erkenntnisse daraus seien auch in westlichen Städten in der Diskussion über mehr Nachhaltigkeit hilfreich. Dazu betont Wicki, dass der Westen von den schnell wachsenden Städten in Afrika und Asien viel lernen könne. Zum einen den Umgang mit der Ressourcenknappheit. Zum anderen die Kunst der Improvisation: Da die Welt immer unvorhersehbarer wird, gewinnt diese an Wichtigkeit.

Extremvorstellungen der grünen Zukunft

Nicht nur die vielen verschiedenen Zusammenhänge und wachsende Komplexität in Städten, sondern auch die oft unvorhersehbaren Veränderungen im Kontext machen Wicki zufolge unflexible, langfristige Detailpläne ungeeignet als Mittel, um die Zukunft zu gestalten. Hilfreicher sind motivierende Bilder und Geschichten einer wünschenswerten Zukunft, die Raum lassen für Aneignung und Interpretation.

Wie die Expertin aber betont, hat sich vor allem in den letzten zwei Jahren gezeigt, wie anpassungsfähig die Menschen sind. Wir konnten unser Verhalten von einem Tag auf den anderen ändern. Die schon oft auf Bildern gesehenen Ideen und Fantasien werden zwar wahrscheinlich nicht genau so Realität, eine nachhaltige und grüne Stadt an sich muss aber keine Utopie bleiben.

Schweizer Städte und ihre spezifischen Stärken 

Jede Stadt hat ihre Eigenheiten und Stärken, so auch in der Schweiz. «So kann Basel beispielsweise seinen Forschungsgeist einsetzen und seine neuen Areale als städtebauliche Experimentierflächen nutzen. Zug kann mithilfe seiner innovativen Technologiefirmen Lösungen für eine lebenswerte Innenstadt suchen und Locarno kann seine Naturnähe ins Spiel bringen», so Wicki. Jede Stadt in der Schweiz hat also ihr Potenzial, um eine grüne Stadt zu werden. Dieses muss nur genutzt werden.

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