Interview von SMA

Mirjam Staub-Bisang: «Der Wandel ist angekommen»

Die Chefin von Blackrock Schweiz erklärt im Interview, was im laufenden Jahr auf Anlegerinnen und Anleger zukommt.

Die Finanzmärkte befinden sich in Aufruhr. «Fokus Finance» sprach mit Mirjam Staub-Bisang, Länderchefin von BlackRock Schweiz, über die Gründe dafür sowie die Auswirkungen auf Anlegerinnen und Anleger.  Dabei erfuhren wir auch, warum die heutigen Unsicherheitsfaktoren zwar eine nachhaltige Wirtschaft  kurzfristig hemmen – ihre Etablierung aber letztlich begünstigen dürften.

Mirjam Staub-Bisang

Mirjam Staub-Bisang
Länderchefin BlackRock Schweiz

Mirjam Staub-Bisang, Sie stehen in der Schweiz dem grössten Vermögensverwalter der Welt vor und sind gleichzeitig als Senior Advisor für «Sustainable Investing» tätig. Welche Themen bestimmen aktuell Ihren Alltag?

Die Nachhaltigkeit ist sicherlich ein durchgehendes Thema für mich – obschon dieser wichtige Bereich derzeit von vielfältigen makroökonomischen Herausforderungen überschattet wird. Der Konflikt in der Ukraine, die Lage an den Energiemärkten sowie die anhaltende Inflation sind derzeit sicherlich «Top of the Agenda». Die daraus entstehenden Unsicherheiten manifestieren sich unter anderem in Form von volatilen Finanzmärkten. Das stellt sowohl Investor:innen als auch Vermögensverwalter vor die Frage der Auswirkungen dieser Entwicklungen auf Portfolios.

Gibt es dazu bereits eine schlüssige Antwort?

Eine allgemeingültige Antwort existiert nicht, vielmehr müssen wir in Szenarien denken. Aktuell sind alle Augen auf die Inflationszahlen gerichtet: Werden diese schnell abflachen oder weiterhin relativ hoch bleiben? Die Antwort darauf bestimmt die Erwartungen an die Zinspolitik der Zentralbanken. Schaffen wir ein «Soft Landing» oder ist mit einer Rezession zu rechnen? Diese und viele weitere Fragestellungen müssen wir uns vor Augen halten. Es herrscht wenig Konsens, entsprechend ist zu erwarten, dass die derzeitige Volatilität an den Märkten anhalten dürfte. Ich denke nicht, dass sich die Inflation – weder in Europa, noch in den USA – in diesem Jahr wieder auf die von den Zentralbanken angestrebten zwei Prozent einpendeln wird. Von über neun Prozent auf rund vier Prozent zu kommen, dürfte deutlich einfacher sein als die Inflation auf unter drei Prozent zu senken.

Also eine herausfordernde Zeit für Anleger:innen?

Ja, aber nicht ausschliesslich. Die grossen, strukturellen Veränderungen rund um die «drei Ds» Demografie, Dekarbonisierung und Deglobalisierung und die damit einhergehenden Unsicherheiten sind eine Tatsache. Doch gleichzeitig kann ein anspruchsvolles Marktumfeld aus Anlegersicht durchaus spannend sein. Für Anleger:innen, die zukunftsgerichtet sowie in Szenarien denken, dürften sich interessante Investitionschancen eröffnen. Alternative Anlageklassen, Hedgefunds sowie Privatmarktanlagen sind nur einige der Möglichkeiten. Und dann natürlich Anlagen, die von der Transition zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft profitieren.

Heute fliessen deutlich mehr Investitionen in nachhaltige Anlagen. Mirjam Staub-Bisang

Sie haben eingangs die Nachhaltigkeits-thematik erwähnt. Diese hat in der gesell-schaftlichen Wahrnehmung deutlich an Relevanz gewonnen. Wie wirkt sich dies auf den Finanzsektor aus?

Insbesondere in den letzten fünf Jahren konnten wir hier eine enorme Beschleunigung beobachten. Ein zentraler Treiber dafür ist das Pariser Klimaabkommen. Im Nachgang dazu verpflichteten sich viele Staaten zu einem «Netto Null 2050»-Ziel. Dieses Bekenntnis befeuerte Investitionen in die klimaneutrale Energieproduktion, während sich gleichzeitig Unternehmen aller Branchen mit Emissions- und Ressourcenfragen auseinanderzusetzen begannen. Industriespezifische Absenkungspfade wurden definiert und Unternehmen begaben sich auf ihre individuelle «Dekarbonisierungsreise», um unternehmensspezifische Klimaziele zu erreichen. In diesem Zusammenhang wurde auch die Perspektive erweitert: Es wird nicht mehr nur jedes Unternehmen in Bezug auf eigene CO2-Emissionen in Produktion und Energieverbrauch betrachtet, sondern auch die gesamte Wertschöpfungskette berücksichtigt und ausgewertet. Jedes Unternehmen zieht einen ganzen Schweif von Zulieferern mit sich, die ebenfalls hinsichtlich ihrer CO2-Bilanz im Wettbewerb stehen und um die Gunst der Kunden mit ambitionierten Dekarbonisierungszielen buhlen. Die Realwirtschaft handelt also – gleichsam wie Akteure im Finanzmarkt. So fliessen heute deutlich mehr Investitionen in nachhaltige Anlagen, sprich in Unternehmen, die sich der Nachhaltigkeit verpflichtet haben, darunter von institutionellen Investoren wie Pensionskassen und Versicherungen, aber auch von vielen Privatanleger:innen. Diese Kapitalflüsse sind nicht zu unterschätzen. Bei BlackRock haben wir beobachtet, dass im letzten Jahr die Mehrheit der Neugeldzuflüsse in Europa in nachhaltige Investitionsstrategien floss. Man darf also mit Fug und Recht festhalten: Der Wandel ist angekommen.

Green- und Sustainable-Investing werden aktuell auch von vielen Finanzinstituten in den Vordergrund gerückt. Gleichzeitig mehrt sich die Kritik des «Greenwashings».

Das ist leider so. Darum ist es enorm wichtig, dass sich Standards und Regulierungen etablieren. Auf Unternehmensebene etwa existieren heute immer noch unterschiedliche Transparenz- und Reportingstandards bezüglich Nachhaltigkeitsrisiken. Firmen, die ein entsprechendes Nachhaltigkeitsrating erhalten möchten, sind angehalten, ihre Klimarisiken zu analysieren und diese transparent zu dokumentieren. Diese Informationen müssen dann potenziellen Investor:innen zur Verfügung gestellt werden. Dadurch entsteht Vergleichbarkeit. Eine belastbare Datengrundlage ist für das Vertrauen in nachhaltige Anlagen absolut elementar. Darum begrüssen wir es, dass die Regulierungen in Bezug auf die Berichterstattung zu Nachhaltigkeitskennzahlen von Unternehmen, aber auch von Anlageprodukten, die wiederum auf diesen Zahlen basiert, strenger geworden sind.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Im EU-Raum gilt etwa die «Sustainable Finance Disclosure Regulation» (SFDR), welche einheitliche Nachhaltigkeitsstandards für Fondsprodukte fordert. In der Schweiz wird diesbezüglich noch auf das Selbstregulierungsprinzip gesetzt, doch ein Anlehnen an die EU-Richtlinien ist für die hiesigen Marktteilnehmer angezeigt – insbesondere für alle mit internationalem Geschäft. Richtlinien wie SFDR und entsprechende Kategorisierungen sind hilfreich, um Finanzprodukte vergleichbar zu machen und Transparenz zu schaffen. Man muss jedoch betonen, dass die Aufgabe von Finanzunternehmen nicht darin besteht, mittels ihrer Kapitalkraft eine de facto Regulierung zu schaffen und damit Unternehmen vorzugeben, wie sie sich hinsichtlich Nachhaltigkeit zu verhalten haben. Als Investorin bin ich der Ansicht, dass wir vor allem um eine gute Datenqualität bezüglich ESG-Kriterien besorgt sein müssen, da diese ESG-Daten, wie gesagt, überhaupt erst das Fundament für Vergleichbarkeit von Unternehmen und Finanzprodukten bilden.

Eine belastbare Datengrundlage ist für das Vertrauen in nachhaltige Anlagen absolut elementar.Mirjam Staub-Bisang

Inwiefern hat sich BlackRock als Unternehmen der Nachhaltigkeit verpflichtet?

Wir setzen uns seit einigen Jahren stark mit Nachhaltigkeit auseinander, definieren Ziele sowie Massnahmen und messen den Fortschritt. Dank effektiver Massnahmen konnten wir bereits im Jahr 2020 die Klimaneutralität bezüglich unserer Geschäftstätigkeit erreichen. Allerdings hat unser grösster Klima-Impact nicht mit unserer eigenen Infrastruktur zu tun, in Branchen mit industrieller Tätigkeit fällt diese wesentlich stärker ins Gewicht. Unser Hebel in puncto Klima liegt als grösster Vermögensverwalter der Welt in unserer Anlagetätigkeit. Da können wir deutlich mehr bewirken, sei es, indem wir in Unternehmen investieren, die innovative Lösungen im Hinblick auf die Klimaneutralität finanzieren oder indem wir im Dialog mit Unternehmen Transparenz hinsichtlich Klimarisiken und Massnahmen zur Reduktion derselben fordern. Unsere Kundschaft erwartet natürlich von uns, dass wir eine maximierte, risikoadjustierte Rendite erzielen – dies ist und bleibt auch unsere treuhänderische Priorität. Und da für uns Klimarisiken auch ein Anlagerisiko ist, geniesst dieses Thema enorme Relevanz bei uns. Transparenz und Messbarkeit sowie darauf basierend die angestrebte Vergleichbarkeit von Unternehmen hinsichtlich Klimarisiken ist elementar und nicht zuletzt auch ein attraktiver Anreiz für einzelne Unternehmen und ganze Sektoren, potenzielle Investments durch unsere Kundschaft zu fördern. Ganz nach dem Motto: «What gets measured, gets managed.»

Sie haben bereits den Ukraine-Konflikt sowie die Angst vor einer Energiekrise angesprochen. Hemmt diese Unsicherheit die Entwicklung einer nachhaltigen Wirtschaft?

Angesichts der anhaltenden Energiekrise wurde wieder vermehrt auf fossile Brennstoffe gesetzt und in Europa wurden zum Beispiel Kohlekraftwerke als Alternative zu preiswertem russischem Erdgas hochgefahren. Darum ja – kurzfristig hemmen die derzeitigen Geschehnisse das Etablieren einer kohlenstoffarmen Wirtschaft. Doch langfristig dürften sich dieselben Faktoren eher beschleunigend auswirken: Der Westen will unabhängig von russischem Erdöl und -gas werden und die hohen Energiepreise machen Projekte für erneuerbare Energien attraktiver. Wenn wir uns die Entwicklung langfristig vor Augen führen, ist der Pfad vorgegeben: Nachhaltigkeit in der Realwirtschaft wie in der Finanzbranche ist der einzig gangbare Weg in die Zukunft.

Wie können Anleger:innen dazu beitragen, Nachhaltigkeit zu fördern?

«The trend is your friend»: Mit nachhaltigen Anlagen, welche die Klimarisiken berücksichtigen, dürfte man auch mit Blick auf die langfristige, risikoadjustierte Rendite gut bedient sein. Wer einen Schritt weitergehen und beispielsweise sicherstellen möchte, dass die eigenen Mittel die Transition zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft beschleunigen, kann spezifische klimafördernde Investitionen tätigen. Hier bieten sich etwa Projekte der Kreislaufwirtschaft oder Klimatechnologien an.

Worauf muss man sich aus Finanzsicht für das eben angebrochene Jahr 2023 einstellen?

Dieses Jahr wird von der Inflation, der Zinsentwicklung sowie von den Massnahmen der Zentralbanken bestimmt werden. Diese Faktoren werden sich auch direkt auf die Renditen auswirken. Schauen wir etwas genauer hin, zeigt sich, dass die gegenwärtig zu beobachtende Inflation in Europa offenbar stärker von Angebotsverknappung getrieben wird als in den USA. Es ist nicht auszuschliessen, sogar wahrscheinlich, dass die europäische Inflationsrate, die derzeit klar oberhalb der amerikanischen steht, wieder unter die US-Rate zurückfällt. Deshalb spricht vieles dafür, dass auch die Europäische Zentralbank als erste den Fuss von der Zinsbremse nimmt. Gleichzeitig denke ich, dass uns die Volatilität an den Kapitalmärkten noch einige Zeit begleiten wird, was seinerseits eine Herausforderung darstellt. Allerdings darf man auch nicht vergessen: Insbesondere im inflationären Umfeld sollte man investieren. Ich bin überzeugt, dass sich auch 2023 interessante Anlagechancen bieten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

28.02.2023
von SMA
Vorheriger Artikel Sind Immobilienanlagen noch immer ein sicherer Anlage-Hafen?
Nächster Artikel «Es braucht das Zusammenspiel der persönlichen Fahrzeuge und des ÖVs, damit der Verkehr funktioniert»