Interview von Jessica Petz

«Es braucht das Zusammenspiel der persönlichen Fahrzeuge und des ÖVs, damit der Verkehr funktioniert»

Merlin Ouboter brachte als einer der Söhne von Wim Ouboter den Microlino auf die Strassen der Schweiz. Mit einer Reichweite von bis zu 230 km zählt der Microlino zu den Vorreitern unter Leichtelektrofahrzeugen. Im Interview mit «Fokus» erzählt uns Merlin Ouboter wie es ist, zusammen mit seiner Familie ein Unternehmen zu führen und wie sich die Mobilität verändern wird. 

Merlin Ouboter brachte als einer der Söhne von Wim Ouboter den Microlino auf die Strassen der Schweiz. Mit einer Reichweite von bis zu 230 km zählt der Microlino zu den Vorreitern unter Leichtelektrofahrzeugen. Im Interview mit «Fokus» erzählt uns Merlin Ouboter wie es ist, zusammen mit seiner Familie ein Unternehmen zu führen und wie sich die Mobilität verändern wird. 

Merlin Ouboter <br>Co-Founder / CMO – Microlino AG

Merlin Ouboter
Co-Founder / CMO – Microlino AG

 

Merlin Ouboter, Sie sind als Kind bereits in das Familienunternehmen ihres Vaters reingerutscht. Wie fühlt es sich an, jetzt selbst eine wichtige Rolle im Unternehmen zu haben?

Das ist natürlich ein super Gefühl, da wir einen guten Zusammenhalt in der Familie haben. Da mein Bruder auch sehr stark involviert ist, macht es unheimlich Spass mitzuwirken.

Trotz allem fühlt es sich manchmal noch ein wenig unwirklich an, wenn man zurückblickt auf das, was wir die letzten Jahre erreicht haben. Es macht jedoch immensen Spass, an der Vorfront des Mobilitätswandels Entscheidungen zu treffen. 

Wie kam die Idee des Microlinos? 

Die ersten Schritte hat unser Vater Wim 1996 mit dem Micro Tretroller gemacht, die einen grossen Boom ausgelöst hatten. Dabei war es wichtig, sowohl die Qualität als auch den Aspekt der Innovation voranzutreiben. Dieses Mindset setzt sich durch die ganze Firmengeschichte durch. 2015 haben wir uns überlegt, wie die Zukunft der Mobilität aussehen wird. Wir haben uns die Frage gestellt, wie viel Auto man für die tägliche Mobilität wirklich braucht. Durch Zufall sind wir dann auf eine Studie gestossen, die gezeigt hat, dass im Schnitt nur 1,2 Personen im Fahrzeug sitzen, die eine tägliche Distanz von nur rund 35 km zurücklegen. Wir schlossen daraus, dass das normale Auto komplett überdimensioniert ist und durch seine Grösse und Gewicht viel zu viele Ressourcen verbraucht. Um eine Alternative zum klassischen Auto zu finden, haben wir uns auf die Suche nach einem neuartigen Konzept gemacht und sind in unserer Researchphase auf die Kabinenroller der 1950er-Jahre gestossen. An denen wir uns stark orientiert haben. Somit haben wir quasi etwas aus der Vergangenheit recycelt und modernisiert. Das Konzept der Kabinenroller ist zeitlos und funktioniert auch heute noch wunderbar. 

Was unterscheidet den Microlino von anderen Leichtelektrofahrzeugen?

Der Microlino ist so gesehen kein richtiges Auto, sondern eine Mischung aus Motorrad und Auto. Das spiegelt sich auch in der Zulassung wider – das Fahrzeug hat ein Motorradkennzeichen, dennoch muss man einen Autoführerschein besitzen, um dieses zu fahren. Was uns besonders macht, ist, dass wir der erste Hersteller sind, der eine selbsttragende Karosserie in die Struktur des Fahrzeugs eingeführt hat. Dies bietet die Vorteile einer höheren Sicherheit und Steifigkeit – das war uns besonders wichtig, sodass wir die Qualität höher ansetzen konnten. Oft werden Leichtelektrofahrzeuge nämlich als «fahrender Joghurtbecher» betitelt, da viel Plastik verbaut wird. Dem wollten wir uns bewusst entgegenstellen und hochwertige Materialien verwenden. Unsere Seitenteile und die Tür bestehen aus Stahl und Aluminium, wie man es vom «normalen» Auto kennt. Dies wertet die Verarbeitung auf. Der Microlino ist etwas mehr Auto als Motorrad! (lacht)

Sie leiten zusammen mit Ihrer Familie das Unternehmen. Ist es schwer, mit seinen engsten Familienmitgliedern wichtige Entscheidungen zu treffen? 

Wir kennen das bei uns nicht anders, da wir in ein Familienunternehmen reingewachsen sind. Ich bin Jahrgang 1995 und mein Bruder 1994, das heisst, dass wir gerade in der Gründungsgeschichte mit dabei gewesen waren und immer alles mitbekommen haben. Wir haben schon als Kinder die ersten Versuche in Richtung Selbstständigkeit gemacht (lacht). Als wir um die zwölf Jahre alt waren, waren Freestyle-Tricks im Skatepark sehr beliebt, weshalb auch viele mit den Scootern ihr Glück versuchen wollten. So haben wir unsere Scooter verstärkt, da diese für Tricks nicht ausgelegt waren. Dann haben wir Umbaukits in der ganzen Nachbarschaft angeboten und auch kaputte Scooter repariert. Das war ein super Geschäftsmodell, denn wir nahmen die ganzen Ersatzteile immer gratis aus der Werkstatt mit und konnten unsere Umbaukits also zu unschlagbaren Preisen anbieten. Bis unser Vater eines Tages meinte, dass es langsam zu grosse Ausmasse angenommen hatte und er uns die Ersatzteile verrechnete. Da wurde uns schnell bewusst, dass unser Business-Case mit den Preisen nicht mehr funktionierte – aber Spass gemacht hat es allemal! (lacht)

Ich denke, dass das Thema Micromobility in Zukunft wichtiger wird, da die Nachfrage stetig ansteigt. Merlin Ouboter

Momentan profitieren Elektroautos durch das CO2-Pooling in der Flottenemissionsberechnung, warum ist der Microlino davon ausgeschlossen? 

CO2-Flotten-Pooling ist europäisch genormt – ganze Herstellerflotten von Fahrzeugen werden bewertet. Es gibt Automarken, die einen Teil Verbrenner und einen Teil Elektrofahrzeuge herstellen. Diese Autos werden zusammengerechnet und ein Schnitt wird berechnet. Fällt der Schnitt über die zugelassene Norm, werden Strafzahlungen fällig und man muss einen Ausgleich zahlen. Um die zu belohnen, die den Wert einhalten und auch massiv darunter sind, hat man eine Art Umweltzertifikatshandel eingeführt. Unternehmen, die nur Elektroautos herstellen, profitieren, indem sie Zertifikate an andere Hersteller verkaufen und so ihr Unternehmen mitfinanzieren können. Und das passiert in der Realität auch – da gehen sehr hohe Beträge in Millionenhöhe über den Tisch. Wir können gar nicht davon profitieren, da unsere Fahrzeugkategorie davon ausgeschlossen wird, obwohl unser Fahrzeug im Vergleich zu einem normalen E-Auto nur einen Drittel des Footprint hat. Für Newcomer wie uns wäre dies ein riesiger Vorteil, da es extrem schwierig ist, sich im Markt zu etablieren.                                               

Ist der Microlino attraktiver für Tessiner:innen, weil dort die Strassen so eng sind, statt für Leute aus dem Kanton Zürich? 

Das ist auf jeden Fall eine spannende Überlegung (lacht). Für Menschen aus dem Tessin wäre das natürlich ein grosser Vorteil. Ich denke, das ist auch für Italien eine gute Alternative, da gerade viele Altstädte nicht für grosse Autos gebaut sind und es dann Sinn macht, auf Autos in Grösse des Microlinos umzusteigen. In der Realität ist es natürlich so, dass viele Menschen, die direkt in der Stadt wohnen, gar kein Auto mehr besitzen, da das ÖV-Netz dort gut funktioniert. Jene, die ein wenig ausserhalb wohnen, sind eher auf ein Auto angewiesen.

Welche Features fanden Sie für das Auto besonders wichtig? 

Abgesehen vom Konzept war es mir sehr wichtig, dass man das Auto an einer normalen Haushaltssteckdose aufladen kann und dann nur vier Stunden für eine Vollladung warten muss. Ein weiteres cooles Feature ist die Fronttüre, denn sie ermöglicht einem den Microlino durch seine kompakte Grösse querzuparken und direkt vorne auf den Gehsteig auszusteigen. So passen gleich drei Microlinos nebeneinander auf einen Parkplatz. Ein wichtiges Anliegen war ebenso, dass wir nicht zu viele Features einbauen: Was ist wirklich notwendig? Was benötigen die Kund:innen wirklich? Das Innenleben sollte so minimalistisch wie möglich gestaltet sein. Daher haben wir auch keine fest verbaute Musikanlage, sondern einen portablen Bluetooth-Speaker, den man auch mal mit an den See nehmen kann und so Platz spart. 

Wie sehen Sie die Zukunft Ihres kleinen Flitzers? 

Ich denke, dass das Thema Micromobility in Zukunft wichtiger wird, da die Nachfrage stetig ansteigt. Dazu zähle ich alle Fahrzeuge, die unter 750 kg wiegen. Da gehört ein Microlino dazu, aber auch ein Lastenfahrrad oder E-Scooter. Diese Fahrzeugkonzepte werden in den nächsten Jahren einen riesigen Boom erleben und werden nicht mehr aus dem Stadtbild wegzudenken sein. In urbanen Regionen müssen wir nachhaltigere, kleinere und platzsparende Mobilitätsformen fördern. Der öffentliche Verkehr ist zwar wichtig, aber wir müssen von der Auffassung wegkommen, dass der ÖV alles ersetzen kann – das funktioniert nicht. Nur auf eine Mobilitätsform zu setzen, ist unmöglich. Es braucht das Zusammenspiel der individuellen Mobilität und des ÖVs, damit der Mobilitätswandel funktioniert. 

Wie schneidet der Microlino in Bezug auf die Nachhaltigkeit verglichen mit anderen Elektroautos ab? 

Der Microlino verbraucht auf 100 km rund 60 Prozent weniger Energie und produziert weniger als die Hälfte der CO2-Emissionen in der Produktion als ein herkömmliches Elektroauto. Dies liegt hauptsächlich am Gewicht des Microlinos und der Grösse der Batterie. Je schwerer und grösser das Auto, desto grösser die Batterie, die verwendet werden muss, um die Reichweiten zu erzielen. Der Microlino hat einen Verbrauch von 7 kWh auf 100 km; im Vergleich, ein Elektro-SUV liegt bei gleicher Strecke bei mindestens 19 kWh. In der Schweiz liegen wir energietechnisch auf 100 km sogar noch unter dem Zugfahren, da liegt man bei rund 9 bis 11 kWh. Effizienter gehts eigentlich nur noch zu Fuss oder mit dem Trottinett.

Was sind Ihre persönlichen Ziele für die Zukunft? 

Definitiv in der Micromobilitybranche zu wachsen und auch den Microlino über die Europagrenzen hinaus zu bringen. Es wird sicher auch nicht nur beim Microlino bleiben, da wir schon einige Ideen für Produkte haben, die wir produzieren möchten. Ein normales Auto planen wir nicht zu bauen, aber ähnliche Fahrzeugtypen wie der Microlino – auch wenn wir nicht grösser werden. 

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04.03.2023
von Jessica Petz
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