barbara frei
Digitalisierung Industrie Interview

Barbara Frei über die digitale Transformation

06.01.2020
von SMA

Unternehmen aller Branchen und Grössen stehen vor der Herausforderung, die Digitalisierung zu meistern. Und trotz vermeintlich hoher Innovationskraft tun sich viele Industriebetriebe damit schwer. «Fokus Moderne Industrie» sprach mit Barbara Frei, Europachefin von Schneider Electric,  über digitale Hürden in Unternehmen, Innovation im Energiebereich – sowie die Wichtigkeit von Daten.

Barbara Frei, die Bilanz bezeichnete Sie im vergangenen Jahr als «wichtigste Schweizerin in der klassischen Industrie». Doch wie klassisch ist diese Industrie noch, angesichts der digitalen Transformation? 

Es findet in der Tat eine tiefgreifende Veränderung statt. Denn sowohl in der Diskret- als auch in der Prozessindustrie wird die Digitalisierung mehr und mehr zur einer der Kernkompetenzen für Unternehmen – und entscheidet massgeblich über deren zukünftige Wettbewerbsfähigkeit. Dieser Transformationsprozess geht mit der Veränderung oder Neuentwicklung von Geschäftsmodellen einher.

Was meinen Sie damit?

In vielen Köpfen wird «Digitalisierung» noch immer primär mit «Effizienzgewinn» gleichgesetzt. Doch dieses Verständnis greift zu kurz: Denn die digitale Transformation muss auch zu einem besseren Kundenerlebnis führen. Global agierende Grossunternehmen verfügen bereits über gute Ansätze und sind auf ihrer digitalen Reise deutlich vorangekommen. Doch ich sehe hier gerade für den Mittelstand grosses Potenzial. Die Veränderung kommt langsam ins Rollen.

Sie bekleiden bei Schneider Electric das Amt des «Executive Vice President Europe Operations». Das Unternehmen ist mit seinen Dienstleistungen in Bereichen wie Industrie-Automation, Gebäudetechnik sowie Energie einer der Haupttreiber der Industrie 4.0. Welche Themen beschäftigen Sie derzeit am meisten?

Dienstleitungen sind ein wichtiger Teil von Schneider – jedoch bieten wir auch ganzheitliche, teilweise recht weitreichende Lösungen für die von Ihnen genannten Bereiche an. Denn die «Industrie 4.0» hat uns gelehrt: Hardware, Software und Service müssen zu einer ganzheitlichen Lösung zusammenfliessen. Auch Bereiche wie industrielle Automation, Gebäudetechnik und Energie verschmelzen vermehrt und werden zukünftig immer weniger isoliert betrachtet. Dementsprechend fordern unsere Kunden übergreifende Lösungen. Das Fundament hierfür bildet unsere IoT-Architektur «EcoStruxure»: Sie überspannt alle genannten Bereiche und ist von maximaler Offenheit in Sachen Standards geprägt. Dadurch sind unsere Kunden in der Lage, den gesamten Lebenszyklus ihrer Produkte vom Design über die Programmierung und Inbetriebnahme bis hin zur Produktion und Wartung in der Software abzubilden – und so eine enorme Steigerung der Gesamteffizienz sicherzustellen.

Bereiche wie industrielle Automation, Gebäudetechnik und Energie verschmelzen vermehrt und werden zukünftig immer weniger isoliert betrachtet. Barbara Frei

Zudem adressieren wir mit «EcoStruxure» die wohl grösste Herausforderung für Unternehmen schlechthin: die effiziente Nutzung von gesammelten Daten. Denn nur etwa ein Prozent der vorhandenen Daten werden tatsächlich ausgewertet und genutzt. In Sachen «Tätigkeitsfelder» wiederum liegt mir persönlich das Thema «Energiemanagement» im Gebäudebereich sehr am Herzen: Wegen der rasanten Urbanisierung verbrauchen Städte heute rund 75 Prozent der weltweiten Energie. Hier besteht also ein hohes Einsparpotenzial – welches wir mit intelligenten Lösungen ausschöpfen möchten.

Als Europachefin von Schneider verfügen Sie über detaillierte Einblicke in die Märkte Deutschland, Schweiz und Österreich. Inwiefern unterscheiden sich die lokalen Industriesektoren?

Was die drei Länder gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass sie im industriellen Feld sehr stark aufgestellt sind. Aber natürlich bestehen auch Unterschiede, oder vielmehr Eigenheiten. So ist etwa Österreich ein Land des Mittelstandes – mit sehr innovativen Nischenplayern, die sich mit kundenzentrierten Lösungen die Weltmarktführerschaft erarbeitet haben. Ähnlich gestaltet sich der deutsche Markt mit seinen Hidden Champions in einigen Bereichen. Darüber hinaus verfügt Deutschland über klare Stärken in der Maschinenbaubranche. Die Schweiz hingegen ist gleichzeitig sowohl stark von Grossfirmen als auch von KMU geprägt – und gerade bei «Forschung und Entwicklung» dank der ETH sowie dem EPFL gut aufgestellt. In Sachen «Digitalisierung» sind bereits alle drei Märkte sehr weit.

Barbara Frei ist Executive Vice President Europe Operations bei Schneider Electric.

Barbara Frei ist Executive Vice President Europe Operations bei Schneider Electric.

Die Digitalisierung braucht Fachkräfte. Doch in der Schweiz wird ein eklatanter Fachkräftemangel an MEM- / IT-Fachleuten prognostiziert. Wie erleben Sie dies bei Schneider?

Der Wettbewerb verschärft sich ganz klar. Dies, weil immer mehr Unternehmen als Nachfrager auf den IT- Arbeitsmarkt drängen, die nicht unbedingt direkt aus der Industrie stammen, sondern zum Beispiel aus Handel und Service. Aus diesem Grund legen wir grossen Wert auf die Aus- und Weiterbildung unserer Mitarbeitenden, etwa im Bereich «Data Analytics». Zudem arbeiten wir intensiv daran, nicht nur als im B2B-Sektor tätiges Unternehmen gesehen zu werden, sondern auch als «Consumer Brand».

Genügt das, um die Auswirkungen des Fachkräftemangels auszugleichen?

Nein, aber wir setzen auf verschiedenen Ebenen an. Etwa indem wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern. In der Schweiz müssen sich Eltern oft entscheiden: «Gehe ich arbeiten oder betreue ich das Kind – oder gehe ich arbeiten, um das Kind betreuen zu lassen?» Diese Crux wollen wir auflösen. Darum ermöglichen wir es unseren gutausgebildeten Mitarbeitenden auch, Führungspositionen in Teilzeit zu bekleiden. Wir sind der Ansicht, dass Flexibilität bei der Arbeit der Schlüssel zum Erfolg darstellt, um uns von unseren Mitbewerbern zu differenzieren. Mit unserer «Flex@Work»-Initiative schaffen wir Raum für persönliche Freiheit, zum Beispiel indem wir digitale Infrastrukturen für virtuelles Arbeiten zur Verfügung stellen. Gleichzeitig müssen wir uns breiter aufstellen, was die gesuchten Profile am Arbeitsmarkt angeht. Bei Schneider leben wir in einer Lernkultur und sollten darum die Möglichkeit bieten, gewisse Skills nicht direkt mitbringen zu müssen, sondern sich diese «On the job» aneignen zu können.

Schneider unterstützt diverse Branchen und Unternehmen bei ihrer digitalen Transformation. Wie gehen Sie in Ihrem Unternehmen dabei konkret vor? 

Wir fokussieren auf eine nachhaltige Digitalisierung auf dem Weg hin zur Lieferkette 4.0. Aus diesem Grund hat Schneider Electric bisher neun «Smart Factories» gegründet – in den USA, Mexiko, China, Frankreich, Indien, Indonesien sowie auf den Philippinen. Unser Ziel: durch Innovation und Digitalisierung unsere eigene Geschäftstätigkeit zu verbessern und nachhaltiger zu gestalten. Unter anderem wollen wir bis zum Jahr 2025 CO2-neutral sein. Die Digitalisierung hilft uns entscheidend dabei, indem wir unsere Supply Chain optimieren. Und weil wir stark mit Partnern aus unterschiedlichen Industrien zusammenarbeiten, versuchen wir immer Entwicklungsmodelle zu finden, von denen unsere Distributoren, Zuhändler und Technologiepartner ebenfalls profitieren. Das bedeutet, dass wir positiven Einfluss auf unser gesamtes Ecosystem nehmen.

Welche Themen werden Sie in der nahen Zukunft beschäftigen?

Vereinfacht gesagt, beginnt unser Geschäft dort, wo Energie verbraucht wird, bzw. eingespart werden kann. Eine unserer primären Aufgaben besteht also darin, auch künftig durch Forschung und Entwicklung sowie «Mergers and Aquisitions» neue Technologien und neues Know-how zu gewinnen, um uns für diese Einsatzfelder perfekt zu rüsten. So können wir prioritäre Themen angehen, wie etwa intelligentes Energiemanagement in Verbindung mit der Erreichung weltweiter Klimaziele. Die Erreichung solcher Ziele ist sehr vielschichtig: Wie gesagt, spielen intelligente Softwarelösungen eine Rolle. Doch auch Themenfelder wie Daten, Edgecomputing und Rechenzentren haben für uns einen hohen Stellenwert. Zudem benötigen wir politische Rahmenbedingungen, die die Erreichung solcher Ziele zulassen. Man kann die Komplexität der Dinge also erahnen. Im Übrigen leben immer noch 1,3 Milliarden Menschen weltweit ohne Zugang zu Energie – und damit ohne Lebensqualität und, viel schlimmer, ohne Aussicht auf Bildung. Auch hier sehen wir einen klaren Auftrag, unseren Teil zur Verbesserung der Situation beizutragen.

Interview SMA  
Bilder Schneider Electric

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