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Digitalisierung Innovation IT

Digitalisierung ohne IT-Fachkräfte – ein Ding der Unmöglichkeit

09.12.2021
von SMA

Deutschlands digitale Transformation wird durch den IT-Fachkräftemangel und durch fehlende Rechtssicherheit  bei dem Einsatz von externen IT-Spezialistinnen und -Spezialisten ausgebremst. Es braucht dringend klare und verlässliche Rahmenbedingungen, die einen schnellen, rechtssicheren und unbürokratischen Projekteinsatz von Selbständigen und Mitarbeitenden externer Dienstleister ermöglichen und auch Formen der heute notwendigen (agilen) Zusammenarbeit zulassen.

Adèl Holdampf Wendel

Adél Holdampf-Wendel, LL.M., Bereichsleiterin Arbeitsrecht und Arbeit 4.0, Bitkom e.V.

Die Coronakrise hat die Dringlichkeit der Digitalisierung aller Lebensbereiche einmal mehr vor Augen geführt. Ob in Wirtschaft, Verwaltung, Behörden und Wissenschaft, überall werden für Digitalisierungsvorhaben IT-Fachkräfte gesucht. Allerdings hat in Deutschland selbst während der Coronakrise der Mangel an IT-Fachkräften kaum nachgelassen. Laut einer repräsentativen Befragung des Digitalverbands Bitkom waren Ende 2020 quer durch alle Branchen 86 000 Stellen für IT-Expertinnen und -Experten frei. Sieben von zehn (70 Prozent) Unternehmen konstatierten einen Mangel an IT-Spezialistinnen und -Spezialisten.
Dieser IT-Fachkräftemangel wird zusätzlich durch schlechte rechtliche Rahmenbedingungen im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht für IT-Fachkräfte verschärft. Was genau ist das Problem? Im Zuge der digitalen Transformation entwickeln Unternehmen digitale Produkte, bauen neue Unternehmenseinheiten auf, erschließen innovative Geschäftsfelder und investieren damit unerlässlich in den Wirtschaftsstandort Deutschland. Dies erfordert zunehmend Flexibilität, Innovation und schnelle Anpassungen.

Insbesondere mit Blick auf komplexe und innovative Projekte im IT-Bereich haben sich agile Methoden wie Scrum oder Kanban längst durchgesetzt. Agilität bezeichnet die Fähigkeit von Unternehmen, schnell, effektiv und gewinnbringend auf sich ändernde Gegebenheiten reagieren zu können. Agile Teams erarbeiten sich in einem kreativen und innovativen Prozess ihre Aufgabenstellung selbst – und parallel sofort die Lösung. Durch die Vernetzung im agilen Team können die kollektiven Erfahrungen bei der Entscheidungsfindung und Problemlösung genutzt werden.

Mit Hilfe agiler Methoden tragen externe Spezialistinnen und Spezialisten ihr Know-how und ihr enormes Innovationspotential in die Unternehmen. Bei diesen Spezialistinnen handelt es sich um überdurchschnittlich bezahlte Berater, Entwicklerinnen oder andere Digitalisierungsexperten, die im Rahmen eines Werk- oder Dienstvertrags entweder als externe Selbständige oder als Mitarbeitende eines Dienstleistungsunternehmens tätig werden. Sie agieren wirtschaftlich mindestens auf Augenhöhe. Ihr Tätigwerden in agilen Projekten ist nicht vergleichbar mit schutzbedürftigen Beschäftigungsverhältnissen im Sinne sozialversicherungsrechtlicher Regelungen, deren Grundgedanke nicht in Frage gestellt wird.

Trotz dieses Umstands steht die deutsche Wirtschaft im agilen Projektgeschäft vor erheblichen Herausforderungen: Die derzeitige Rechtslage behindert moderne Arbeitsformen der Projektarbeit mit externen Spezialistinnen und Spezialisten massiv. Eine klare Trennlinie, was auf Basis eines Werk- beziehungsweise eines Dienstvertrags bei externen Dritten (also bei Selbstständigen oder Dienstleistungsunternehmen) beauftragt werden darf und was nur von eigenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Rahmen eines Arbeitsvertrags durchgeführt werden kann, ist nicht vorhanden. Des Weiteren besteht etwa bei einem arbeitsteiligen Zusammenwirken in gemischten Teams mittels agiler Methoden stets die Gefahr, dass die jeweilige Beauftragung von externen Spezialistinnen und Spezialisten im Fall einer behördlichen oder gerichtlichen Überprüfung als rechtswidrige Scheinselbständigkeit beziehungsweise verdeckte Arbeitnehmerüberlassung gewertet wird.

Auftraggeberinnen und Auftragnehmer benötigen daher dringend klare und verlässliche Rahmenbedingungen.

Dies birgt insbesondere für die beauftragenden Unternehmen erhebliche Risiken. Bei Scheinselbstständigkeit drohen unter anderem die Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge und der Lohnsteuer sowie die Strafbarkeit der Geschäftsführung. Zusätzlich drohen sowohl bei Scheinselbstständigkeit als auch bei der Feststellung einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung hohe Bußgelder, der Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen und Reputationsverlust.
Unternehmen können das aufgrund der Rechtsunsicherheit bestehende Risiko von Gesetzesverstößen nicht eingehen und müssen im Vorfeld präventive Maßnahmen ergreifen. So setzen sie sehr strenge interne Regelungen und Compliance-Vorgaben auf, die eine effiziente agile Zusammenarbeit mit dem Dienstleister beziehungsweise der Freelancerin verhindern. Manche Unternehmen verbieten schlichtweg den Einsatz von IT-Freelancern oder verlagern ihre agilen Projekte ins Ausland. Ein unkompliziertes, effizientes und kostengünstigeres Arbeiten ist also unter den aktuellen Rahmenbedingungen nicht möglich und es kommt nur beschränkt zum dringend benötigten Know-how-Transfer. Das verzögert die Entwicklung von Projekten und schwächt folglich die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen und damit den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Auftraggeberinnen und Auftragnehmer benötigen daher dringend klare und verlässliche Rahmenbedingungen, die einen schnellen, rechtssicheren und unbürokratischen Projekteinsatz von Selbständigen und Mitarbeitenden externer Dienstleister ermöglichen und auch Formen der heute notwendigen (agilen) Zusammenarbeit zulassen.

Der Gesetzgeber sollte beim sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigtenbegriff ansetzen und die Rechtssicherheit erhöhen, indem er Positivkriterien für die Selbstständigkeit im Gesetz festlegt, unter anderem eine hohe Verdienstgrenze, angemessene Altersvorsorge und die Erbringung von Leistungen mit besonderem Know-how. In diesem Zusammenhang bedarf es auch eine weiterreichende Reform des Statusfeststellungsverfahrens, die die oben genannten Positivkriterien für die Selbstständigkeit und die Besonderheiten agiler Arbeitsmethoden berücksichtigt.

Des Weiteren sollen IT-Fachkräfte und sonstige Hochqualifizierte, die als abhängige Beschäftigte über Dienstleister eingesetzt werden, vom Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) ausgenommen werden. Denn die Schutzzwecke des AÜG passen nicht bei hochqualifizierten und gutverdienenden Fachkräften. Zumindest soll aber im AÜG klargestellt werden, dass die zeitgemäßen Formen des kreativen oder komplexen Projektgeschäfts, inklusive der (agilen) Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden externer Dienstleister in gemischten Teams, nicht unter die Regelungen des Gesetzes fallen.

Text Adél Holdampf-Wendel, LL.M.

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