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Innovation Sicherheit

Technologischer Fortschritt erhöht die Verkehrssicherheit

15.10.2021
von Kevin Meier

Die Vision ist klar: Die Technologie soll in Zukunft voll automatisiert die Fahraufgabe übernehmen. Bis dahin muss man sich mit Fahrassistenten zufriedengeben, die Komfort und Verkehrssicherheit erhöhen sollen. Aber heisst automatisiert tatsächlich auch sicherer?

Im Jahr 2020 ereigneten sich im Schweizer Strassenverkehr laut Bundesamt für Statistik BFS rund 16 900 Unfälle. Für 227 Menschen endeten die Vorfälle tödlich. Über einen längeren Zeitraum betrachtet, bestätigt sich der Trend abnehmender Verkehrsunfälle. Seit den 1970er-Jahren lässt sich eine kontinuierliche Abnahme feststellen. Zurückführen kann man dies einerseits auf rechtliche und erzieherische Ursachen als auch auf die fortschreitende Technologie sowie bessere Infrastrukturen. «Um den Verkehr allgemein sicherer zu gestalten oder zumindest auf diesem Niveau zu halten, müssen wir auf die Triade aus Mensch, Fahrzeug und Infrastruktur achten», erklärt Markus Deublein, BFU-Experte für automatisiertes Fahren. Hier kann man ansetzen, um die Schweizer Strassen noch sicherer zu machen, denn bei Fussgänger:innen und Fahrradfahrenden steigt die Inzidenz von Unfällen.

Was bedeutet Automatisierung eines Fahrzeugs?

Die Beratungsstelle für Unfallverhütung BFU orientiert sich, wie viele Institutionen, an der Einteilung der Automatisierungsstufen der SAE International. Die sechsstufige Skala reicht von konventionell und assistiert über Teil- und bedingte Automatisierung bis hoch und voll automatisiert. Bei den heutigen Fahrerassistenzsystemen handelt es sich um Automationen bis einschliesslich der Stufe zwei. Deublein konkretisiert die Einteilung: «Es sind Systeme, die kontinuierlich die Fahraufgabe unterstützen und auch Teile derselben übernehmen. Allerdings müssen die Fahrzeuglenkenden weiterhin die Überwachung wahrnehmen und konzentriert bleiben.» 

Ziele der Assistenten

Fahrerassistenzsysteme können auch nach deren Zweck eingeteilt werden. Eine erste Gruppe sind die warnenden Systeme. Das Fahrzeug ist mit Sensorik ausgestattet, die Gefahrensituationen erkennt und die Lenkenden durch Signaltöne oder Warnlampen darauf aufmerksam macht. Diese Systeme übernehmen jedoch keine Teile der Fahraufgabe; die Handlungsverantwortung bleibt bei den Fahrer:innen. Eine zweite Gruppe stellen die aktiven Sicherheitssysteme dar. Unauffällig im Hintergrund laufend, greifen diese nur punktuell bei akuten Gefahren ein. Zu dieser Kategorie zählt beispielsweise der Notbremsassistent. Dazu kommt noch die Gruppe der komfortorientierten Systeme, die das Fahren angenehmer machen sollen. Sie übernehmen beispielsweise Teile der Lenkführung oder des Abstandhaltens.

Verkehrssicherheit im Stau

Bequemes Fahren mit Risiken

Komfortorientierte Systeme wie Spurhaltesysteme sind aber skeptisch zu sehen, da sie das Unfallpotenzial erhöhen können. Denn wenn Teile der Fahraufgabe nicht mehr von den Fahrenden selbst übernommen werden müssen, kann das zu Unachtsamkeit verleiten. «Der Mensch ist durch das System unterfordert, was zu mangelnder Aufmerksamkeit führen kann», erklärt Deublein. Insbesondere wenn dann Situationen aufkommen, in denen eine schnelle Reaktion erforderlich ist, sind sich die Lenkenden der Verhältnisse nicht bewusst. Deublein äussert weitere Bedenken: «Wir sehen grosse Risiken im Hinblick auf falsche Anwendungen, wenn diese Systeme zweckentfremdet werden.» Es gibt Wege, die Systeme fahren zu lassen, während die Fahrer:innen Nebentätigkeiten nachgehen. Kritische Situationen können dann kaum noch antizipiert und vermieden werden.

Erhöhung der Sicherheit durch Assistenten

Hinter aktiven Sicherheitssystemen verbirgt sich hingegen einiges Potenzial, die Verkehrssicherheit zu erhöhen. «Die Notbremsassistenten gelten als die vielversprechendsten Systeme. Je stärker derartige Systeme in der allgemeinen Fahrzeugflotte verbreitet sind, desto grösser ist der Nutzen für die Verkehrssicherheit», führt Deublein aus. Die Auswirkung auf die Sicherheit von Schweizer Strassen in genauen Zahlen auszudrücken, gestaltet sich jedoch schwierig, da Studien im Ausland nur bedingt aussagekräftig sind und sich die Technologie rasant entwickelt. Trotzdem wagt Deublein eine vorsichtige Stellungnahme: «Innerorts sind die häufigsten Konfliktsituationen zwischen Autos und Velos oder Fussgänger:innen. Hier zeigt unser Bericht über Notbremsassistenten, dass sie ein Unfallvermeidungspotenzial von bis zu 50 Prozent entfalten.» Gerade in diesem Bereich der schwächsten Verkehrsteilnehmenden, deren Unfallrate seit Jahren steigt, ist dieses Potenzial nicht zu vernachlässigen.

Blindes Vertrauen 

Fahrzeugassistenzsysteme sind keineswegs nur Gimmicks. Es ist also nicht ratsam, sie spontan einmal auszuprobieren. Besonders bei Sicherheitssystemen ist wichtig, dass man sich mit den Funktionen und dem Betriebsbereich befasst. Denn das Autounternehmen selbst konzipiert die Assistenten für einen genau definierten Einsatzbereich. Obwohl die Systeme von sich aus bereits möglichst viele Risiken ausschliessen, kann es ausserhalb des Betriebsbereiches zu gefährlichen Situationen kommen. Dies wird von Deublein bestätigt: «Man muss sich im Klaren sein, dass ein Fahrassistenzsystem Grenzen hat und diese berücksichtigen.»

Innovationen im Schwerverkehr

Der Eindruck, dass Sicherheitssysteme vor allem für den Privatverkehr gedacht sind, täuscht. Das Gegenteil ist der Fall. Die Verbreitung der Systeme ist im Schwerverkehr bereits weiter fortgeschritten. Beispielsweise ist der Notbremsassistent in der EU für neu zugelassene Lkw über acht Tonnen verpflichtend. Das derzeitige Problem im Schwerverkehr ist, dass die Systeme zwar eingebaut sind, jedoch von den Fahrenden oftmals ausgeschaltet werden. «Die Systeme sind wertvoll, aber wie kann man verhindern, dass sie deaktiviert werden?», präzisiert Deublein. Ausserdem dreht sich die Diskussion im Lastverkehr vor allem um Abbiegeassistenten, die den toten Winkel überwachen. Diese sollen in der EU ab 2022 bei neuen Lkw-Fahrzeugtypen Pflicht sein, ab 2024 für alle Neuzulassungen im Schwerverkehr.

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