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Kinder

Erziehungsstil: Erziehung ist ein Kinderspiel

18.11.2023
von Calvin Huber

Heutzutage können mithilfe des Internets aus den Erfahrungen unzähliger Familien oder aus der Forschung. renommierter Entwicklungspsychologinnen und -psychologen Ratschläge und Tipps zur Erziehung eines Kindes gesammelt werden. Trotz all dieser Hilfestellungen scheint es dennoch nicht einfacher geworden zu sein, einem Kind eine gute Erziehung auf den Weg zu geben. Was ist das Problem bei solchen Ratschlägen? 

Betrachtet man die Forschung der Entwicklungspsychologinnen und -psychologen der letzten 50 Jahre, lassen sich folgende Erkenntnisse aufzeigen: Da jedes Kind eine unterschiedliche Erziehung geniesst und benötigt, kann kein vollständig einheitliches Muster bewiesen werden. Um sich trotzdem einen Überblick verschaffen zu können und vergleichbare Experimente durchführen zu können, hat sich eine Unterteilung in Erziehungsstile etabliert. Am bekanntesten sind hier die Unterteilungen von Diana Baumrind und jene von Kurt Lewin. Baumrind entwickelte aus ihrer Forschung ein Modell mit vier solcher Erziehungsstile: autoritär, autoritativ, vernachlässigend und verwöhnend. Die Stile unterscheiden sich an ihrem Ausmass an Lenkung und Emotionalität. 

Lenkung bezieht sich hier darauf, wie viel Einfluss Eltern auf ihr Kind ausüben, Emotionalität darauf, wie viel emotionale Aufmerksamkeit sie ihrem Kind schenken. Der autoritäre Stil ist eine Mischung von hoher Lenkung und wenig emotionaler Aufmerksamkeit. Ein vernachlässigender Stil ist eine Mischung aus geringer Lenkung und geringer Aufmerksamkeit. Ein verwöhnender Stil setzt sich aus geringer Aufmerksamkeit und Lenkung und ein autoritativer Stil aus hoher Lenkung und Aufmerksamkeit zusammen. 

Das Modell nach Lewin unterscheidet dagegen nur drei Stile: autokratisch, demokratisch und laissez-faire. Auch nutzt Lewin Definitionen und nicht Achsen, um seine Stile zu unterscheiden. Nach ihm zeichnet sich ein autokratischer Stil durch eine grosse Einflussnahme und umfangreiche Vorgaben der Eltern auf das Kind aus. Ein demokratischer Stil zeichnet sich durch gemeinsam getroffene Entscheidungen zwischen den Eltern und dem Kind aus. Laissez-faire-Eltern nehmen keinen Einfluss und bieten keine Informationen, ohne vorher danach gefragt zu werden.

Der «beste» Erziehungsstil?

Mithilfe dieser Modelle konnten Experimente und Untersuchungen durchgeführt werden. Baumrind untersuchte die Einflüsse ihrer Erziehungsstile auf die Entwicklung von Kindern im Vorschulalter. Die Ergebnisse: Ein Kind, welches hauptsächlich unter einem autoritären Stil aufgezogen wurde, war weniger zufrieden, misstrauisch und eher zurückgezogen. Ein Kind unter dem verwöhnenden oder vernachlässigenden Stil zeigte ein geringes Mass an Selbstvertrauen, Selbstkontrolle und Explorativität. Ein Kind, welches autoritativ erzogen wurde, war hingegen selbstbewusst, genoss ein hohes Mass an Selbstkontrolle und Explorativität und war zufriedener mit sich selbst. Baumrind kam folglich zum Schluss, dass der autoritative Erziehungsstil für ein Kind im Vorschulalter der beste sei. 

Weiter wurden die Einflüsse dieser Stile von einer anderen Forschungsgruppe auf Jugendliche untersucht. Es wurden die Bereiche Schulorientierung, Delinquenz, somatische Symptome und akademische Leistung als Faktoren definiert. Auch hier zeigten Jugendliche, welche unter dem autoritativen Stil aufgezogen wurden, bessere Leistungen. Eindeutige Nachteile in diesen Bereichen hatten Jugendliche, welche unter dem vernachlässigenden Stil erzogen wurde. Für die beiden anderen Stile konnten nur gemischte Ergebnisse beobachtet werden. Somit könnte man auch hier sagen, dass der autoritative Erziehungsstil am meisten Vorteile für ein Kind bietet. 

Diese Aussage kann jedoch, sobald man auch unterschiedliche Kulturen in der Erziehung miteinbezieht, nicht mehr bestätigt werden. Die Nachteile des autoritären Stils lassen sich nicht mehr klar nachweisen, sobald man die gleichen Untersuchungen bei Kindern und Jugendlichen durchführt, die nicht aus einem euroamerikanischen Haushalt stammen. So kann zum Beispiel die Beobachtung, dass der autoritäre Stil zu einer schlechteren schulischen Leistung führt, nicht bei Kindern aus einem chinesisch-amerikanischen Haushalt erkannt werden. Somit wurde in den letzten Jahren alternative Modelle für unterschiedliche Kulturen erarbeitet, welche mehr mit der Realität übereinstimmen. 

Ein weiteres Problem des Modells nach Baumrind ist, dass die einzelnen Stile nicht präzise genug differenzieren. Laut einer Studie von Sylvia Liebenwein und Sabina Weiss erziehen 60 Prozent der deutschen Bevölkerung ihre Kinder auf autoritative oder auf demokratische Weise. Vergleicht man aber die befragten Familien untereinander, lassen sich grosse Unterschiede in Lebensstilen, Werthaltungen und sozioökonomischer Situation beobachten. Dies führt dazu, dass, obwohl der «vorteilhafte» Erziehungsstil angewandt wird, das Kind trotzdem nicht die Eigenschaften aufweist, die es laut der zuvor beschriebenen Beobachtungen und Befragungen haben sollte.

Eigene Wege beschreiten

Die Erkenntnisse, welche aus den Studien der Entwicklungspsychologinnen und -psychologen stammen, sind somit mit einer gewissen Vorsicht zu geniessen. Ein Kind nur unter dem autoritativen Stil zu erziehen, ist laut vielen Lehrbüchern die optimale Vorgehensweise. Aber oft wird diese Aussage ohne jegliche Erklärung oder ohne eine Anpassung an den aktuellen Kontext der Gesellschaft und Familiensituation gegeben. Wichtig ist zu verstehen, dass alle Erziehungsstile ihre Berechtigung haben, wenn man sie als Leitfaden für das erzieherische Handeln in gewissen Situationen betrachtet. Gewisse Situationen benötigen ein autoritäres Vorgehen, während andere ein vernachlässigendes Vorgehen erlauben. Kindererziehung ist immer noch so einzigartig wie das Kind und die Eltern selbst. Laut Sigrid Tschöpe-Scheffler ist deshalb die beste Methode einer erfolgreichen Kindererziehung, sich selbst als Eltern zu hinterfragen und zu beobachten und daraus eigene Schlüsse und Wege in der Erziehung zu finden. 

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