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Gesellschaft

6 Punkte für Inklusion und Unabhängigkeit

04.01.2023
von Julia Ischer

Die Brailleschrift ist die erfolgreichste und effektivste Blindenschrift der Welt. Indem sie eine selbstständige Kommunikation ermöglicht, fördert die Schrift die soziale sowie berufliche Inklusion blinder und sehbehinderter Menschen und ist dadurch von enormem Wert für solche Personen.

Einer Studie des Schweizerischen Zentralvereins für das Blindenwesen zufolge gibt es in der Schweiz aktuell etwa 377 000 sehbehinderte Personen, 50 000 davon sind komplett blind. Das macht rund vier Prozent aller Schweizer Einwohner:innen aus. Weltweit gesehen sind 39 Millionen Personen blind und 253 Millionen sehbehindert. Diese Menschen, wie auch viele andere mit einer Beeinträchtigung, leben laut verschiedener Statistiken häufiger in Armut, sind öfter von Gewalt betroffen und erhalten weniger Zugang zu Gesundheitsversorgung oder Wissen. Um ihnen eine breitere Teilhabe am Leben zu ermöglichen, wird deshalb seit fast 200 Jahren vieles in Brailleschrift geschrieben.

Wer hat es erfunden?

Der Name der Schrift stammt von ihrem Erfinder: Louis Braille. 1809 wurde er im französischen Dorf Coupvray als Kind eines Sattlers geboren. Aufgrund einer Stichverletzung und darauffolgenden Entzündungen an beiden Augen erblindete er im Alter von nur drei Jahren. Seine Eltern wollten ihm trotzdem den Zugang zu Bildung gewähren und 1819 erhielt er ein Stipendium für das Pariser Blindeninstitut, der ersten Blindenschule weltweit. Dort lernte Braille einerseits die Relief-Blindenschrift, andererseits die von Charles Barbier für das Militär entstandene «Nachtschrift». Diese versuchte er zu vereinfachen und so entwickelte er mit nur 16 Jahren 1825 die heute bekannte Brailleschrift.

Der Aufbau der Schrift

Die Grundform des Systems besteht aus sechs Punkten – zwei in der Breite mal drei in der Höhe. Dadurch ergeben sich 64 verschiedene Kombinationsmöglichkeiten, mit denen unter Verwendung eines oder mehrerer der sechs Punkte einzelne Buchstaben, Zeichen und Zahlen dargestellt werden können. Die Schrift ist universal anwendbar. Zusätzlich gibt es spezielle Punktschriften für Musiknoten, mathematische und chemische Formeln oder sogar Strickmuster. Daneben existiert die Vollschrift, die etwas Platz spart und ein schnelleres Lesen ermöglicht. Hierbei werden häufige Laute und Buchstabengruppen wie beispielsweise «sch» mit speziellen Braillezeichen versehen.

Brailleschrift lesen und schreiben

Um in Braille schreiben zu können, benutzte man zu Beginn eine Blindenschrift-Schreibtafel. Dabei legte man ein dickes Papier zwischen zwei Platten, wobei die obere gitterförmige Aussparungen für die einzelnen Buchstaben und die untere sechs Vertiefungen für die Punkte der Buchstaben hat. So wurden dann die einzelnen Buchstaben mithilfe eines spitzen Metallstichels in das Papier eingeprägt. Heutzutage ist eine Blindenschriftmaschine oder ein Blindenschriftdrucker gang und gäbe. Erstere besteht aus sechs Tasten für die sechs Punkte und einer Leertaste. Pro Buchstabe werden alle dafür benötigten Tasten gleichzeitig gedrückt. Der Drucker presst die Vertiefungen für die Buchstaben Zeile für Zeile ins Papier.

Brailleschriftmaschine

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Um zu lesen, nutzen Blinde und sehbehinderte Personen ihren Tastsinn. Sie fahren mit dem Zeigefinger der rechten Hand über die Punktezeile, lesen so die einzelnen Buchstaben und fügen sie zu Wörtern und Sätzen zusammen. Der Zeigefinger der linken Hand beginnt dabei schon mit der Zeile unterhalb, die rechte schliesst dann zu ihr auf. So können sich die Personen gut auf dem Blatt und zwischen den einzelnen Zeilen orientieren. Erfahrene Nutzer:innen lesen etwa 100 Wörter pro Minute. Zum Vergleich: Bei der normalen Schrift lesen sehende Personen etwa 250 Wörter pro Minute.

In Zeiten der Digitalisierung

Heutzutage läuft vieles digital ab. Trotzdem ist und bleibt die analoge Brailleschrift wichtig für Sehbehinderte und Blinde. Ein Forschungsprojekt der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg hat gezeigt, dass 90 Prozent der 819 befragten Personen nicht auf die Brailleschrift verzichten könnten, diese aber mit assistiven Technologien in Smartphones, Computer und Weiteren kombinieren.

Die analoge Brailleschrift ist und bleibt wichtig für Sehbehinderte und Blinde.

Zudem kann die Blindenschrift heutzutage auch per Computer geschrieben und gelesen werden. Dies ist mit einer zusätzlichen Tastatur möglich: Ein Screenreader-Programm stellt die Wörter Zeile für Zeile anhand von kleinen Stiften in Brailleschrift dar. Damit alle Sonderzeichen der digitalen Welt abgebildet werden können, wurden zwei zusätzliche Punkte zu den sechs dazu genommen. Somit gibt es insgesamt 256 verschiedene Kombinationen.

Der Welt-Braille-Tag

Um auf die Wichtigkeit der Brailleschrift und deren Bedeutung für Blinde und sehbeeinträchtigte Menschen aufmerksam zu machen, hat die Generalversammlung der UN 2019 den Welt-Braille-Tag eingeführt. Dieser findet jedes Jahr am 4. Januar statt, dem Geburtstag des Erfinders Louis Braille. So wird immer wieder daran erinnert, dass seine Erfindung den Schlüssel für Inklusion, die Umsetzung der Menschenrechte, Bildung und ein selbstbestimmtes Leben für sehbehinderte Personen darstellt.

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