worried, young teenager looking at the phone in her room. telefonseelsorge
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Gesellschaft Kinder Weihnachten

Nummer gegen Kummer: Kinder rufen häufiger vor Weihnachten an

16.12.2022
von Jessica Petz

Weihnachten ist für viele eine Zeit der Ruhe, die man mit der engsten Familie zu Hause verbringt. Doch es gibt auch Menschen, die an den Festtagen arbeiten. Hilfetelefone sind besonders um die Zeit vor Weihnachten stark ausgelastet und bieten ein Ohr für Menschen mit Sorgen – in einer Zeit, in der eigentlich Freude überwiegen sollte.

Ob familiäre Sorgen, schulische Probleme oder gesellschaftliche Krisen – Telefonseelsorger:innen helfen, indem sie zuhören und Rat geben. Durch die Anonymität am Telefon fällt es vielen Menschen leichter, sich mit ihren Problemen zu öffnen und darüber zu reden, ohne verurteilt zu werden. Besonders um die Weihnachtszeit ist die Wartezeit in den Telefonleitungen lang. Irene arbeitet beim Sorgentelefon für Kinder (0800 55 42 10). Sie erzählt «Fokus», aus welchem Grund besonders Kinder beim Sorgentelefon anrufen und aus welcher Motivation sie dort arbeitet.

Irene, warum rufen Kinder bei einer Telefonseelsorge an?

Kinder und Jugendliche rufen an, weil sie jemanden zum Reden brauchen. Sie sind in einer Situation, in der sie nicht mehr weiter wissen und benötigen jemanden, der ihnen hilft, einen Ausweg oder eine Lösung zu finden.

Die häufigsten Sorgen sind zwischenmenschlicher Natur. Irene

Aus welchem Grund arbeiten Sie bei dem Sorgentelefon für Kinder? Warum ist es genau dieses Arbeitsumfeld geworden?

Mir gefällt die Arbeit, weil ich Kindern und Jugendlichen direkt und unmittelbar helfen kann. Die Kinder können anonym, unkompliziert und ohne Anmeldung das Angebot nutzen.

Hinzu kommt, dass ich mit der Arbeit aufgewachsen bin und nach wie vor davon überzeugt bin, dass diese Art der Beratung den Kindern schnelle Hilfe und eine Stütze bietet. Hierzu erhalte ich immer wieder Rückmeldungen von den Kindern und Jugendlichen, die dies bestätigen.

Was sind die häufigsten Gründe für Anrufe?

Die häufigsten Gründe sind zwischenmenschlicher Natur wie familiäre Sorgen oder Probleme im Kollegenkreis oder auch Beziehungsprobleme. Danach kommen die schulischen Probleme. Gesellschaftliche Krisen wie die Coronapandemie und ihre Folgen sind auch ein häufiges Thema. Während des Lockdowns war bei jedem zweiten Gespräch die Pandemie das Problem oder zumindest ein Teil davon.

Wie lange dauert ein Anruf durchschnittlich?

Die Dauer der Anrufe hat in den letzten Jahren zugenommen, was auf eine vermehrte psychische Belastung schliessen lässt. Sie dauern meist zwischen vier bis fünf Minuten.

Was war der längste Anruf?

25 Minuten. Ein 16-jähriger Teenager meldete sich von der Arbeit. Er hatte bisher bei einem Elternteil gewohnt. Die Person war verzweifelt und sagte, sie habe die Anweisung von der KESB erhalten, an diesem Morgen mit gepackten Koffern zur Arbeit zu gehen, da bei Arbeitsende ein Mitarbeiter den Teenager abholen und direkt ins Kinderheim bringen wird.

Ist es schwieriger oder leichter, mit Kindern zu reden, im Gegensatz zu Erwachsenen?

Es ist nicht vergleichbar. Kinder kommen direkt auf den Punkt und wollen ebenso schnell eine Antwort. Sie sind im Gespräch mit uns ehrlich. Wenn sie etwas angestellt haben, dann sagen sie es. Erwachsene holen lange aus, ohne den eigentlichen Grund ansprechen zu wollen. Erwachsene beraten wir nur in Fällen, in denen Kinder involviert sind.

Wie werden Menschen geschult, die an einem Sorgentelefon arbeiten?

Es handelt sich um eine interne Schulung. Darüber hinaus gibt es eine Betreuung bei Fragen sowie regelmässige Gespräche, damit belastende Anrufe verarbeitet werden können.

Mitarbeitende arbeiten auch oft am Wochenende oder vielleicht sogar an Weihnachten und unterstützen Kinder und Jugendliche in Not. Aus welcher Motivation machen Sie das?

Kindersorgen haben keinen Kalender, nach dem sie sich richten. Hinzu kommt, dass wir uns als Sorgentelefon für alle Kinder aller Glaubensrichtungen in der Schweiz verstehen.

Gibt es besonders um die Feiertage herum ein grösseres Aufkommen von Anrufen?

Nein, es ist eher in den drei Wochen vor den Feiertagen der Fall.

Wie geht man mit besonders schwierigen Telefonaten um, wenn man nicht direkt helfen kann?

Man muss sich seiner Rolle bewusst sein. Unser Angebot ist auf freiwilliger Basis. Wir sehen uns als Vermittler:innen zwischen verschiedenen Möglichkeiten. Die Kinder werden bei Lösungen unterstützt, aber schlussendlich liegt die Entscheidung bei ihnen selbst. Vorbehalten sind Gefahrensituationen, die polizeiliche Interventionen erfordern.

Wie viele Kinder und Jugendliche rufen im Jahr an?

Das ist unterschiedlich, die Zahl lag in den letzten Jahren zwischen 3000 und 4000 Anrufen. Im Jahr 2021 verzeichneten wir 4500 Anrufe.

Vor allem aber soll das Kind sich ohne Angst an die Eltern wenden dürfen. Irene

Was sind die Schwierigkeiten Ihrer Arbeit?

Erwachsenenanrufe, die sich als kleines Kind ausgeben und so die Leitung blockieren. Es kommen auch Beschimpfungen vor, welche in eine Bedrohung umschlagen können.

Gibt es Kinder, die eine feste Ansprechsperson beim Sorgentelefon haben, da diese immer öfter anrufen und über die gleichen Probleme reden?

Ja, das gibt es sogar ziemlich häufig. Es gibt Kinder, die sich über die Jahre immer wieder mal melden, wenn sie ein Problem haben. Wenn sie dann eine bestimmte Person wünschen, wird ihnen gesagt, an welchen Tagen die Person arbeitet.

Brauchen die Kinder und Jugendlichen, die bei Ihnen anrufen, lange, um sich vor der Person am Telefon zu öffnen, um über bestimmte Dinge zu reden?

Das ist ganz unterschiedlich und abhängig von der Situation, in der sie sich befinden.

Was wünschen Sie sich in Zukunft in Bezug auf Ihre Arbeit?

Ich wünsche mir, dass die direkten Bezugspersonen mehr Zeit in die Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen investieren. Vor allem aber soll das Kind sich ohne Angst an die Eltern wenden dürfen. Jeder Mensch macht Fehler, ob jung oder alt.

Eine positive Entwicklung ist, dass die Generationen, die mit dem Sorgentelefon für Kinder aufgewachsen sind, ihren eigenen Kindern die Nummer von uns geben, damit sie sich in einer Gefahrensituation an uns wenden können.

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Hilfe bei Sorgen und Kummer

Sorgentelefon für Kinder: 0800 55 42 10

Beratung und Hilfe: 147

Die Dargebotene Hand: 0800 143 000

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