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IStockPhoto/simona flamigni
Gesellschaft Porträt

Giovanni Falcone: Im Kampf gegen die Mafia

12.01.2023
von Julia Ischer

Er wusste, wie die Cosa Nostra funktioniert. Er war der berüchtigte Jäger und grösste Gegner des organisierten Verbrechens. Er brachte Mafiosi zum Reden und sie so dazu, ihr oberstes Gesetz «Omertà» zu brechen. Heute ist er einer der wichtigsten Nationalhelden Italiens. Giovanni Falcone legte den Grundstein im Kampf gegen die Mafia. Am 23. Mai 1992 musste er dafür mit seinem Leben bezahlen.

Der Sizilianer Giovanni Falcone wurde am 18. Mai 1939 als drittes Kind einer bürgerlichen Familie in Palermo geboren. Er wuchs im alten arabischen Quartier Kalsa auf, einer stark von der Cosa Nostra geprägten Gegend. Dort war es ganz normal für die Kinder, mit dem Sohn des Mafiabosses Fangen oder Fussball zu spielen. Einige davon wurden später selbst Mafiosi, ein anderer, Paolo Borsellino, wurde zu Falcones treuem Freund und Arbeitskollegen.

Der Anfang seines Berufsweges

Schon im Gymnasium begann Falcone, sich stark für Geschichte und die soziale Dynamik von Gesellschaften zu interessieren. Nach seinem Maturitätsabschluss schrieb er sich an der juristischen Fakultät in Palermo ein und merkte früh, dass ihn sein Weg in die Justiz führen würde. Mit erst 22 Jahren schloss er sein Studium mit Bestleistung ab und stieg anschliessend als Richter in die Berufswelt ein, wo er sich anfänglich auf Wirtschaftskriminalität spezialisierte.

Das erste Aufeinandertreffen

Im Jahr 1967 ging Giovanni Falcone nach Trapani und arbeitete dort als Staatsanwalt. Diese Jahre stellen zugleich den Beginn seiner beruflichen Karriere als Mafiajäger dar: Während eines Prozesses gegen die verschiedenen Banden in der Stadt kam der Jurist das erste Mal geschäftlich in Kontakt mit der Cosa Nostra und einem Mafiaboss: Mariano Licari.

Es war ganz normal für die Kinder, mit dem Sohn des Mafiabosses Fangen oder Fussball zu spielen.

Eine einzige Gemeinschaft

Über ein Jahrzehnt später, 1979, wollte der damals 40-Jährige wieder zurück nach Palermo und wurde dort Untersuchungsrichter. Er befasste sich nun schon seit mehreren Jahren mit der Mafia und hat herausgefunden, dass die Mafia, anders als zuvor angenommen, nicht aus einzelnen Clans besteht. Sie ist eine einzige Organisation mit einer klaren Struktur und Hierarchie, in der es keine Gruppen gibt, die eigene Entscheidungen treffen können.

Zur gleichen Zeit bildete er zusammen mit Giuseppe Di Lello, Leonardo Guarnotta und Paolo Borsellino den «Pool Antimafia», um so als Gruppe noch besser gegen das organisierte Verbrechen vorzugehen.

Erste Errungenschaften

1982 schafften es die Vier, dass das italienische Parlament ein erstes Gesetz gegen die Mafia verabschiedete. Dieses definiert die Mafia als eine kriminelle Vereinigung und sanktioniert deren Mitglieder mit Gefängnisstrafen.

Giovanni Falcone und Paolo Borsellino als Graffiti an einer Hauswand.

Giovanni Falcone (links) und Paolo Borsellino (rechts)
Bild: iStockPhoto/Paolo Paradiso

Zwei Jahre später gab es einen weiteren Meilenstein für sie: Giovanni Falcone brachte den Mafioso Tommaso Buscetta nach seiner Verhaftung dazu, die «Omertà», die bis zum Tod geltende Schweigepflicht der sogenannten Ehrenmänner, zu brechen. Buscetta kooperierte mit der Justiz und legte die gesamte Struktur der Mafia offen. Dank ihm gelang Falcone und seinen Kollegen 1986 der bedeutsamste Vorstoss gegen die Cosa Nostra: der Maxi-Prozess.

Falcones grosser Coup

Dieser weltweit erste und sogleich grösste Maxi-Prozess gegen die Cosa Nostra begann am 10. Februar 1986 und dauerte über 22 Monate. Er war spektakulär, einschneidend und gilt bis heute als der heftigste Schlag, welcher der Mafia jemals zugefügt wurde. Von 475 angeklagten Personen wurden 344 zu insgesamt 2665 Jahren Haft verurteilt. Auf der Anklagebank sassen aber nicht nur einfache Bürger, sondern auch hohe Staatsminister Italiens, durch die eine illegale Mitarbeit der Mafia im politischen System und in Staatsangelegenheiten möglich war.

Den Beschuldigten wurden 120 Morde, Drogenhandel, Erpressung und Zusammenarbeit mit der Mafia vorgeworfen. Die Verhandlungen dazu wurden in Palermo in einem raketensicheren, eigens für den Prozess gebauten Bunker aus Stahlbeton durchgeführt. Vor dem Gebäude standen Stacheldraht und zahlreiche Panzer. Somit konnte ein möglicher Anschlag von Mafiosi, die nicht angeklagt waren, vorneweg zunichtegemacht werden.

Die Rache der Cosa Nostra

Falcone war schon lange klar, dass sich die Mafia für jede offene Rechnung rächt. Aus diesem Grund wusste er, dass sie nach einem solchen Prozess nicht einfach klein beigeben würde. Und er würde das Ziel des Gegenschlags sein.

Der Prozess war spektakulär, einschneidend und gilt heute als der heftigste Schlag, welcher der Mafia jemals zugefügt wurde.

Am 23. Mai 1992 war es soweit: Giovanni Falcone war zusammen mit seiner Frau Francesca, seinem Fahrer und einer Eskorte aus drei gepanzerten Limousinen auf der A29 unterwegs in Richtung Palermo. Kurz vor 18 Uhr passierten sie das Autobahnschild Capaci. Dann kam es zur Explosion. Die Mafia hatte zum dritten Mal zugeschlagen und dieses Mal ging ihr Plan auf: Giovanni Falcone erlag im Spital seinen Verletzungen. Zusammen mit ihm starben auch seine Frau und drei seiner Leibwächter.

Die für den Anschlag eingesetzte Bombe hatte eine Sprengkraft von etwa 500 Kilogramm TNT, wurde in einem Drainagerohr unterhalb der Strasse versteckt und von einem Hügel in der Nähe ferngezündet. Für den Anschlag verantworten musste sich Giovanni Brusca, ein Mafiaboss und der berüchtigste Mörder der Cosa Nostra. Sein Auftraggeber war aber Salvatore «Totò» Riina, dessen Spitznamen «Boss der Bosse» oder auch «Die Bestie» in ganz Sizilien bekannt und gefürchtet waren.

Giovanni Falcones Erbe

Der Tod von Giovanni Falcone löste eine enorme Antimafia-Bewegung in Sizilien wie in ganz Italien aus. An der Gedenkfeier kam es zu ersten Protesten gegen die Mafia, die auch später noch lange anhielten. Der Staat erkannte das organisierte Verbrechen als nationales Problem an und ging entschieden stärker dagegen vor. Zudem wurde versucht, das Wissen und Verständnis über die Mafia aufzuarbeiten und vor allem unter den Jugendlichen des Landes zu verbreiten, um unter anderem die heutigen Führungskräfte von Grund auf aufzuklären und so eine Veränderung zu ermöglichen.

Giovanni Falcone ist der erste und zugleich der erfolgreichste Richter der Welt, der sich vollkommen dem Kampf gegen die Mafia verschrieben hat. Eineinhalb Jahrzehnte lang hatte er dagegen ermittelt, ohne jemals an das Aufgeben zu denken. Sein Lebenswerk wie auch sein Tod stehen für einen Wandel in Italien bezüglich organisierter Kriminalität und haben unauslöschliche Spuren hinterlassen.

Die Mafia ist ein menschliches System. Und wie alle menschlichen Phänomene hat es einen Anfang und wird auch ein Ende haben. Giovanni Falcone

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