«Ich hatte oft das Gefühl, ich müsse eine ganze ethnische Gruppen rechtfertigen»
Als ihre Eltern vor dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien flüchteten, war Melita Lajqis Mutter gerade mit ihr und ihrer Zwillingsschwester schwanger. Sie selbst ist in der Schweiz geboren und aufgewachsen, hat hier einen Freundeskreis aufgebaut und ihre Karriere vorangetrieben. Trotzdem scheint die Thematik um ihre Herkunft eine ständige Begleiterin zu sein.
Sie hat an der Universität Zürich Französisch und Englisch studiert und macht gerade ihr Doktorat in französischer Philologie. Sprachen haben sie schon immer fasziniert. Mit einem Lächeln auf den Lippen bezeichnet sie sich selbst als «kleiner Nerd» und aufgrund ihrer grossen dunklen Brille kauft man ihr das auch ab. Zwar nicht gerade wie Amy Farrah Fowler, aber schon so wie Hermine Granger. Mit ihrer aufgeschlossenen, neugierigen und freundlichen Art sammelt sie zugleich Sympathiepunkte und schafft eine angenehme Atmosphäre, die es erlaubt, mit ihr ganz ungezwungen über die Schwierigkeiten und Chancen als Doppelbürgerin in der Schweiz zu sprechen.
Als Tochter eines aus dem Kosovo geflüchteten Paars wuchs Melita in einem häuslichen Rahmen mit der albanischen Sprache und Kultur auf. Als sie geboren wurde, waren ihre Eltern schon etwa ein halbes Jahr lang in der Schweiz. «Milde formuliert kriselte es zu dieser Zeit im ganzen Balkangebiet. Für meine Eltern war es einfach schwierig, dort zu bleiben. Als sie sich entschlossen haben zu fliehen, war meine Mutter gerade mit meiner Zwillingsschwester und mir schwanger. Wie so viele hofften sie auf eine bessere Zukunft als es in Kosovo möglich gewesen wäre.»
Zwei Kulturen gleichzeitig leben
Melita lernte beide Kulturen gleichzeitig kennen. Von zu Hause bekam sie albanische Werte mit, in der Schule lernte sie die schweizerischen kennen. «Diese Werte waren aber nicht zwingend gegensätzlicher Natur. Mein feministisches Denken beispielsweise ist etwas, das mir von meiner Familie mitgegeben wurde und ich erst viel später auch in der Schweiz kennenlernte.» Trotz der Gemeinsamkeiten machte vor allem die sprachliche Differenz offensichtlich, was für Melita gar nicht immer klar war: Sie und ihre Familie unterscheiden sich von der klassischen Schweizer Familie. «Aber das war halt einfach so, ich habe das nicht als etwas Negatives empfunden», sagt sie.
Mein feministisches Denken ist etwas, das mir von meiner Familie mitgegeben wurde und ich erst viel später auch in der Schweiz kennenlernte.
Ausgegrenzt hat sie sich als Kind deswegen nie gefühlt. «Dass ich eine Zwillingsschwester habe, hat mir wohl geholfen, mit anderen Kindern in Kontakt zu kommen. Es war natürlich etwas Spezielles, zwei Mädchen zu kennen, die gleich aussehen. Alle wollten mit uns spielen und mit uns abmachen. Das liessen wir auch zu, wir haben uns nicht zurückgezogen und nur untereinander gespielt.» Der Kindergarten war es auch, wo Melita zum ersten Mal mit der deutschen Sprache in Berührung kam. Entsprechend lernte sie die Sprache relativ schnell und konnte sich bald mit den anderen Kindern problemlos verständigen.
Auch sonst hat sie sich in der Schweiz gut eingelebt. Bis auf einige wenige Ausnahmen wie zum Beispiel einem Jahr in Amsterdam und einem dreimonatigen Sprachaufenthalt, lebte sie ihr ganzes Leben hier. Doch das war nicht immer selbstverständlich. Es gab eine Zeit, in der ihre Familie aufgrund des Schweizer Migrationsrecht fast wieder zurück nach Kosovo geschickt worden wäre. Mit dem einfachen Grund, dass man nicht alle hier behalten könne. «Für mich war das unverständlich. Ich war nie zuvor in Kosovo, für mich gab es kein ‹zurück›.» Ihre Eltern legten gegen den Entscheid Rekurs ein und wurden von vielen Bekannten und Befreundeten der Familie unterstützt, indem diese Briefe an die zuständigen Behörden schrieben, in denen sie bestätigten, dass die Familie sehr gut integriert ist. Auch wenn sich Melita nicht mehr genau daran erinnert, was die Kriterien waren, erhielt ihre Familie glücklicherweise doch noch die Aufenthaltsbewilligung B. «Ich glaube, das hing mit der Länge unseres Aufenthalts und gewissen finanziellen Voraussetzungen zusammen. Auch wenn ich damals nicht viel davon mitbekam, wusste ich, dass das eine Riesenerleichterung war und uns quasi das Leben gerettet hat.»
Ich war nie zuvor in Kosovo, für mich gab es kein ‹zurück›.
Ethnische Herkunft bleibt stets präsent
Sie selbst bezeichnet sich aber trotzdem weniger als Schweizerin, als vielmehr als Winterthurerin. «Ich identifiziere mich nicht mit einem Land, sondern mit einem Ort. Winterthur ist die Stadt, die mich geprägt hat. Und damit unterscheide ich mich von anderen Schweizer:innen aus anderen Städten. Das merkt man nur schon an der Art und Weise des Sprechens: Personen aus Zürich sprechen anders, als solche aus Basel.»
Als zur zweiten Generation Gehörende ist sie zwar in der Schweiz aufgewachsen, wird aber trotzdem immer wieder an den bestehenden Migrationshintergrund ihrer Familie erinnert. Ihr Aussehen und ihr Nachname verleiten unter anderem auch fremde Personen dazu, sie nach ihrer Herkunft zu fragen. Antwortet sie mit Kosovo, merke sie sofort, wie die Leute ein anderes Bild von ihr bekommen oder sie lediglich als die eine, grosse Ausnahme beschreiben. «Ich hatte oft das Gefühl, ich müsse ein ganzes Land oder gar eine ganze ethnische Gruppe rechtfertigen. Ich bin nicht die einzige nicht-kriminelle Kosovarin, die auch noch gut Deutsch sprechen kann und studiert hat.»
Ich hatte oft das Gefühl, ich müsse ein ganzes Land oder gar eine ganze ethnische Gruppe rechtfertigen.
Aber nicht nur das Verhältnis mit der Schweizer Bevölkerung ist teilweise befremdlich. Das Treffen auf serbische Landsleute lässt in jedem Fall Unsicherheiten aufkommen. «Es gibt durchaus noch Probleme und diese werden sich nicht von heute auf morgen in Luft auflösen. Auch wenn keiner von meiner Generation irgendetwas mit dem Krieg zu tun hatte, wurde uns der Konflikt mitgegeben und wir müssen entscheiden, wie wir damit umgehen möchten.» Man kann entsprechend nie wissen, wie das Gegenüber auf die Herkunft reagiert. Umso wichtiger ist es, sich über das Geschehene auszutauschen und mögliche Vorurteile aus dem Raum zu schaffen.
Trotz der Stigmatisierung, Melita sieht auch Vorteile darin eine zweite Heimat zu besitzen. Vor allem in ihrem Studium waren die Reaktionen auf ihre Herkunft und damit ihre Zweisprachigkeit durchwegs positiv. Vermehrt wird sie auch nach Albanien als Urlaubsziel befragt. Die Leute wollen wissen, was typisch für das Land ist und was sie gesehen haben müssen. Und auch sonst, wenn es in ihrem Umfeld um etwas geht, das mit der albanischen Sprache zu tun hat, ist sie die Ansprechperson Nummer Eins. Schlussendlich ist sie mit ihrem Lebensweg glücklich und beendet das Interview mit den folgenden Worten: «Sprachen zu studieren war für mich genau das Richtige. Ich war sehr froh, bin ich in dieser Konstellation aufgewachsen, wie ich aufgewachsen bin. Es war nicht immer einfach, aber niemand hat es nur einfach im Leben.»
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