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«Es gibt Schlimmeres, als mit Albinismus zu leben»

30.11.2021
von Lisa Allemann

Menschen, die von der seltenen Stoffwechselstörung Albinismus betroffen sind, werden meist augenblicklich erkannt. Die helle Haut und Haarfarbe fallen auf. Neben der möglichen sozialen Ausgrenzung müssen die Betroffenen aber auch mit den medizinischen Folgen des Pigmentmangels leben. Vor allem in den Kinderjahren herrscht grosse Unsicherheit – ob bei Ärzt:innen, Eltern oder den Kindern selbst.

Diese Unsicherheit ist aber gar nicht nötig, denn über die Krankheit ist relativ viel bekannt. Oft fehlt es aufgrund der Seltenheit der Störung lediglich an Informationsmöglichkeiten oder an ausreichender Aufklärung – auch aufseiten der Ärzt:innen. In Europa sind einer von 17 000 Menschen von Albinismus betroffen. Umgerechnet auf die Schweiz, macht das etwa 500 Personen. «Das sind schon extrem wenige. Gerade deswegen ist es aber umso wichtiger, dass diese einen einfachen Zugang zu Informationen erhalten», sagt Uschi Schüller, welche selbst von Albinismus betroffen ist und darüber aufklären möchte.

Gestörte Melaninbildung

Der Begriff «Albinismus» bezeichnet eine Gruppe genetisch bedingter Erkrankungen, die sich durch einen auffälligen Pigmentmangel auszeichnen. Bei den Betroffenen bildet sich nicht genügend Melanin, welches für die Färbung der Haut, Haare und der Augen verantwortlich ist. Dabei ist die Störung nicht auf den Menschen beschränkt, sondern kommt auch bei Tieren vor. Ausserdem gibt es verschiedene Ausprägungen der Krankheit. Unterschieden werden zwei Formen: der okulokutane Albinismus (OCA), bei dem sowohl die Augen als auch die Haut und Haare betroffen sind, und der okuläre Albinismus (OA), der nur die Augen betrifft und daher weniger augenfällig ist.

Der Begriff «Albinismus» bezeichnet eine Gruppe genetisch bedingter Erkrankungen, die sich durch einen auffälligen Pigmentmangel auszeichnen.

Die gestörte Melaninbildung hat auch medizinische Konsequenzen. Während sich bei Menschen mit einer funktionierenden Pigmentbildung die Haut vor Sonneneinstrahlung selbst schützen kann, indem sie sich «bräunt», fehlt dieser Schutz bei Menschen mit Albinismus. «Ich werde nicht braun, wenn ich mich zu lange in der Sonne aufhalte, sondern bekomme sehr schnell einen Sonnenbrand», erzählt Schüller. Das führt zu einem erhöhten Risiko von Hautkrebs, weshalb ab einem bestimmen Alter regelmässige Checks beim Hautarzt nötig sind. Schüller führt aus: «Da sich der schwarze Hautkrebs bei uns aufgrund der fehlenden Pigmente nicht mit einer dunklen Farbe bemerkbar machen kann, bleibt er rosa und oft unentdeckt. Auch viele Hautärzt:innen wissen das nicht, weshalb eine entsprechende Sensibilisierung stattfinden muss.»

Beeinträchtigung des Auges

Während man sich vor Sonnenstrahlen durch eine Bedeckung mit Kleidern oder das Auftragen einer Sonnencrème mit Lichtschutzfaktor 50 relativ gut schützen kann, ist die Beeinträchtigung des Auges nicht ganz so einfach zu beheben. «Besonders bemerkbar macht sich die Pigmentstörung im Auge, da mit ihr eine Einschränkung der Sehkraft einhergeht», meint Schüller. Laut Prof. Dr. med. Barbara Käsmann-Kellner, die seit 1995 medizinische Beraterin der NOAH Albinismus Selbsthilfegruppe Deutschland ist und den Inhalt der Broschüre «Was ist Albinismus» erstellt hat, stammen die mit Albinismus einhergehenden Augenprobleme von der anomalen Entwicklung des Auges, insbesondere der Netzhaut. «Durch die geringe Pigmentierung wird vor allem die Stelle des Schärfsten Sehens (=Makula) nicht richtig ausgebildet. Betroffene sehen nicht ‹unscharf›, sondern nicht so detailreich wie Augengesunde.»

Ein von Albinismus betroffenes Mädchen

Ein von Albinismus betroffenes Mädchen

Eingeschränkt ist auch die Sehkraft von Schüller. Gleichzeitig leidet sie, wie viele andere Albinist:innen, unter Nystagmus, einem Augenzittern. «Unser Gehirn vermag es aber, dieses Zittern auszugleichen. Anderen fällt es auf, ich selbst aber bemerke es kaum. Eltern eines betroffenen Kindes müssen also nicht Angst haben, dass das Kind die Welt ständig verwackelt sieht – das wäre ja zum verrückt werden», erklärt Schüller. Ausserdem sind Menschen mit Albinismus aufgrund der fehlenden Pigmente besonders licht- und blendungsempfindlich, oft kurz- oder weitsichtig, von einer Hornhautverkrümmung oder einer Schielstellung betroffen und weisen teilweise ein gestörtes räumliches Sehen auf. Was jedoch nicht beeinträchtigt ist, ist das Farbensehen. «In meiner Ausbildung an einer Kunstschule war eines der Fächer die Farbenlehre. Das war das einzige Fach, in dem ich brilliert habe», erzählt Schüller und lacht.

Die Ausprägungen der Einschränkungen sind sehr individuell und können sich im Laufe der Zeit verändern. Vor allem bei Babys ist laut der Zeitschrift tactuel eine verzögerte visuelle Entwicklung beobachtbar, was in der Regel aber wieder aufgeholt werden kann. Die Behandlungsmöglichkeiten variieren individuell und je nach Beeinträchtigung. Mittlerweile gibt es aber für Blinde und Sehbehinderte viele Hilfsmittel, die den Alltag vereinfachen können, wie zum Beispiel Lupenbrillen, Fernsichtkameras oder Lichtschutz- und Kantenfiltergläser.

Vererbung des Gendefekts

Grosse Angst, die Stoffwechselstörung an ihre Kinder weiterzuvererben, hatte Schüller nie. «Bevor ich mein erstes Kind bekam, habe ich mich schlau gemacht. Schon damals hiess es, eine Vererbung sei nicht zu erwarten. Es ist wirklich sehr selten. Meine Eltern waren beide sehr blond, doch weder meine Geschwister noch meine Söhne sind von der Störung betroffen.» Gemäss der Informationsbroschüre «Was ist Albinismus» der Selbsthilfeorganisation NOAH Deutschland, handelt es sich bei Albinismus um «rezessive Gene, die immer zu zweit auftreten müssen, um eine Eigenschaft zu bestimmen.»

Die Krankheit ist wirklich sehr selten.

Das heisst, um von Albinismus betroffen zu sein, müssen beide Elternteile über den Gendefekt verfügen und diesen an dieselbe Person vererben. Wäre nur ein Gen mit der Eigenschaft Albinismus vorhanden, würde das gesunde überwiegen und die Stoffwechselstörung nicht auftreten. Da es sich bei Albinismus um ein nicht-dominantes Gen handelt, ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass zwei davon zusammentreffen. Deswegen ist die Krankheit so selten und der Gendefekt den meisten Eltern nicht bekannt.

Soziale Ausgrenzung

Aufgrund des äusserlich sichtbaren Andersseins ist das Risiko einer gesellschaftlichen Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung allgemein erhöht. Auch Schüller bekam in ihrer Kindheit zu spüren, dass sie etwas anders sei. Trotzdem weist sie mehrfach darauf hin, dass sich die Zeiten geändert haben und sie aufgrund ihrer Erfahrungen nicht von einer Diskriminierung oder Stigmatisierung sprechen würde. Das heisst jedoch nicht, dass andere das nicht erleben. In Tansania beispielsweise werden Menschen mit Albinismus regelrecht gejagt. In der mehrheitlich dunkelhäutigen Bevölkerung fallen sie besonders auf, weshalb über sie auch Mythen bestehen, wie beispielsweise dass ihre Knochen oder andere Körperteile potenzfördernd wirken.

In der Schweiz sei jedoch ein ganz normales Leben durchaus möglich. «Ich konnte zwar mit der richtigen Unterstützung auch schon in den 50er-Jahren in der normalen Schule mithalten. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass sich in den letzten Jahren vieles verändert hat», sagt Schüller. Auch wenn sie damals noch auf einige Hindernisse stiess, lebte sie ein buntes Leben. Sie reiste viel umher, gründete eine Familie und lebte gar 15 Jahre lang in Amerika. Abschliessend stellt sie klar: «Albinismus zu haben, ist kein Weltuntergang. Es gibt viele Menschen, die Schlimmeres erleiden müssen.»

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Von Albinismus betroffen?

Während in unseren Nachbarländern wie Deutschland oder Frankreich bereits Selbsthilfegruppen für Betroffene bestehen, durch welche sie auf Gleichgesinnte treffen und sich austauschen können, fehlt eine solche Organisation in der Schweiz. Uschi Schüller, die selbst von Albinismus betroffen ist, möchte dies ändern. Letztlich sollen durch den Austausch, vor allem bei Betroffenen selbst und den Eltern von betroffenen Kindern, Ängste und Unsicherheiten genommen werden.

 

Website NOAH Selbsthilfegruppe Schweiz: albinismus.ch

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