Moderner Holzbau erobert die Bauwelt. Weltweit planen Investor:innen Hochhäuser, die über 100 Meter Höhe erreichen sollen. Wohnüberbauungen mit 300 Einheiten sind in der Schweiz bereits Realität.
Noch vor Kurzem waren Beton und Stahl selbstverständlich die erste Wahl für die allermeisten Bauprojekte. Heute kommen immer mehr Private, Gemeinden, Kantone und auch der Bund zum Schluss, dass Holz die bessere Wahl ist. Wohnbauten, Spitäler, Schulen, Brücken oder Bürogebäude werden in Holzbauweise erstellt. Der Entscheid hat gute Gründe: «Der Rohstoff Holz erachte ich als ‹Alleskönner›. Die Holzbauweise ermöglicht uns, am Fortschritt festzuhalten und gleichzeitig unsere Ressourcen bedachter einzusetzen», erläutert Hans-Ulrich Müller, Inhaber und VRP der Bernapark AG. Dass Holzbauten schneller gebaut sind als vergleichbare Massivbauten und eine angenehme Arbeits- und Wohnatmosphäre bieten, sind für Müller wichtige Gründe bei der Materialentscheidung. Diese Vorteile sind bezahlbar. Holzbauten sind heute preislich konkurrenzfähig. Mit den Studien «Holzbaukennzahlen für Investoren» zeigt das Beratungsbüro Wüst Partner auf, dass der ökologische Leader Holzbau auch ökonomisch mithalten kann.
Holz erobert die Baubranche
Beton und Stahl waren über Jahrzehnte praktisch alternativlos für grosse Bauvorhaben. Die flexiblen Formen und grossen Flächen wurden geschätzt, der Holzbau schien im Vergleich rückständig. In den letzten Jahren wehte ein neuer Wind: Bauträger wägen nun sorgfältig ab, in welches Material sie investieren. Gleichzeitig hat der Holzbau sich rasant entwickelt: Moderner Holzbau kann praktisch alles, was lange Zeit dem Beton vorbehalten war: Grosse Flächen, flexible Formen und hohe Gebäude. Entscheidend sind Innovationen wie mehrschichtige Bodenaufbauten, die die Ringhörigkeit verhindern oder die TS3-Technologie, dank der grosse Flächen ohne Querbalken möglich sind. In der Entwicklung arbeiten innovative Firmen mit Fachhochschulen und Universitäten zusammen.
Gleichberechtigt beim Brandschutz
Ebenfalls zum Trend beigetragen hat die Änderung der Brandschutzvorschriften. Seit 2015 werden Holzbauten nicht mehr benachteiligt. Während früher Holzgebäude nur sechsgeschossig sein durften, gelten heute die gleichen Vorschriften wie für andere Baumaterialien. Heute dürfen Holzbauteile in allen Gebäudekategorien und Nutzungen eingesetzt werden. Damit wurde es möglich, mehrstöckige Bürogebäude, Altersheime oder Spitäler aus Holz zu bauen.
Der Höhenflug des Holzbaus ist vermutlich noch lange nicht vorbei.
Klimaziele fordern die Baubranche
Beton und Stahl sind ein grosser Markt – auch in der Schweiz. Jahrzehntelang waren Kiesgruben und Stahlwerke lukrativ. Seit Klimafragen in den Fokus rücken, hat die Branche allerdings ein Imageproblem, denn allein die Betonwerke sind für ganze sechs Prozent des schweizweiten CO2-Ausstosses verantwortlich. Will die Schweiz ihren Beitrag zum Klimaziel von Paris leisten, muss sie weg von Kohle, Öl, Gas, Benzin und Diesel. Für die Baubranche bedeutet dies der Verzicht auf Baumaterialien, die in ihrer Herstellung besonders energieintensiv sind. Daher gilt es neue und innovative Wege zu entdecken. Hier kann der Holzbau punkten: Nicht nur ist Holz als einheimischer Baustoff in der Herstellung klimaschonend, er speichert sogar eine Tonne CO2 pro Kubikmeter Holz. Wenn ein Baum wächst, bindet er CO2 ins Holz ein. Die gespeicherte Menge bleibt im Holz, bis es verrottet oder verbrennt. Ein Holzgebäude hält dieses CO2 also für Jahrzehnte gespeichert.
Der Weltklimarat IPCC kommt zum Schluss, dass wir mit sogenannten Negativemissionstechnologien (NET) im grossen Massstab CO2 aus der Luft filtern müssen, um das Klimaabkommen von Paris umzusetzen. «Auf Negativemissionstechnologien können wir nicht verzichten», sagt die Direktorin des BAFU Karin Schneeberger. Im kürzlich erschienenen Bericht «die Umwelt» werden fünf solche NET vorgestellt – der erste Ansatz ist: «Wald bewirtschaften, Holz stärker nutzen.»
Der Bund fördert Holzbau
Die Politik hat die Zeichen der Zeit erkannt. Der Ständerat und der Nationalrat haben die Motion «Erforschung und Innovation des Werkstoffs Holz für den Einsatz im Infrastrukturbau als Dekarbonisierungs-Beitrag» angenommen. Nun ist der Bundesrat beauftragt, in Zusammenarbeit mit den Hochschulen und Normenkommissionen die Möglichkeiten zu erforschen, ob und wie Infrastrukturbauten aus Holz erstellt werden können. Beispielsweise müssen in der Schweiz demnächst viele Brücken über Strassen und Autobahnen saniert oder ersetzt werden. Für diese Bauprojekte drängen sich Lösungen aus Holz auf: Das geringe Gewicht, die gute Lastverteilung und kostengünstige Reparaturen durch die Möglichkeit, einzelne Teile auszuwechseln, sind entscheidende Vorteile. Die Leichtigkeit ist übrigens auch im Wohnbau von Vorteil, zum Beispiel wenn Gebäude aufgestockt werden: Wo Beton die bestehenden Tragwerke überlasten würde, ist Holz mit seinem geringen Gewicht ideal.
Dank Vorfertigung schnell verbaut
Der moderne Holzbau hat weitere Vorteile: Er ist schnell gebaut. Holzbauelemente werden millimetergenau vorgefertigt auf die Baustelle transportiert und montiert. Die Trocknungszeit, die bei herkömmlichem Beton je nach Witterung mehrere Wochen betragen kann, fällt weg. Bei Grossprojekten fällt die schnelle Bauweise ins Gewicht: Die Überbauung sue&til in Winterthur war beispielsweise sechs Monate schneller fertiggebaut als ein vergleichbarer Massivbau. Die 307 Wohnungen konnten ein halbes Jahr früher bezogen werden. Der Innovationsdruck auf die Betonbranche wächst. Stefan Zöllig, Gründer und Inhaber mehrerer Holzbaufirmen, bestätigt: «Wir fürchten den alteingesessenen Konkurrenten nicht, sondern entwickeln in hohem Tempo neue, zeitgemässe Lösungen.» Unterdessen bauen die findigen Entwickler:innen bereits Untergeschosse in Holzbauweise, was lange niemand für möglich hielt. Der Höhenflug des Holzbaus ist vermutlich noch lange nicht vorbei.
Text Simon Meier
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