Swisspower verfolgt ein ambitioniertes Ziel: Die strategische Allianz von 21 Schweizer Stadtwerken und regionalen Unternehmen der Versorgungswirtschaft will ein vollständig erneuerbares Energiesystem für die Schweiz realisieren. Wie nah man diesem Ziel ist – und welche Hürden es zu überwinden gilt – besprach «Fokus» mit Swisspower-CEO Ronny Kaufmann.
Herr Ronny Kaufmann, Swisspower verfolgt mit dem «Masterplan 2050» das Ziel eines vollständig erneuerbaren Energiesystems. Wie realistisch ist es aus Ihrer aktuellen Sicht, dieses Ziel zu erreichen?
Die Transformation ist sowohl technisch möglich als auch wirtschaftlich finanzierbar. Die Herausforderung besteht aber darin, einerseits das Klimaziel Netto-Null in den nächsten 25 Jahren zu erreichen, andererseits die Energieversorgung der Schweiz jederzeit robust sicherzustellen und gleichzeitig die Energieunternehmen der Schweiz unternehmerisch erfolgreich zu führen. Aus diesen Ansprüchen heraus ergibt sich ein Spannungsfeld, das nicht allein durch Technologie aufgelöst werden kann. Die entscheidende Aufgabe lautet also, dauerhaft Mehrheiten in der Bevölkerung und der Politik für dieses Vorhaben zu sichern – darin liegt der Schlüssel für das Gelingen des Masterplans 2050.
Warum ist es so entscheidend, die Mehrheit der Bevölkerung für das Thema zu gewinnen?
Ein erneuerbares und CO2-freies Energiesystem in der Schweiz ist ein Generationenprojekt, das mehrere Jahrzehnte umspannt; ein langer Denk- und Planungshorizont ist unerlässlich. Deshalb dürfen sich Menschen nicht als Verlierer von Entwicklungen der nächsten Jahrzehnte verstehen. Denn wer sich Sorgen um die täglichen Lebensumstände machen muss, für den wird es enorm schwierig, sich für eine Vision zu begeistern, die erst in 25 Jahren oder noch später in der Zukunft Früchte trägt. Es muss gelingen, die richtigen Anreize zu setzen, Chancengleichheit in allen Bereichen unserer Gesellschaft zu fördern und damit sicherzustellen, dass wir beim Bau des Energiesystems der Zukunft mehr Gewinner als Verlierer haben.
Welche Meilensteine hat Swisspower bereits erreicht?
Die Gründung von Swisspower an sich vor fast 25 Jahren ist bereits ein grosser Meilenstein. Denn damit setzten sich die Schweizer Stadtwerke das gemeinsame Ziel, an einem vollständig erneuerbaren Energiesystem mitzubauen – und das noch vor Fukushima. Unsere aktuelle Strategie deckt sich mit der Energiestrategie 2050 des Bundes und wir setzen die darin beschriebenen Massnahmen konsequent um. Wir realisieren Programme zur Gesamtenergieeffizienz, erhöhen die Produktion von erneuerbarer Energie mit Windkraft, Wasserkraft und Photovoltaik und bauen Wärmenetze, Speicher sowie Power-to-Gas-Anlagen. Eines von vielen spannenden Beispielen hierfür ist das Projekt «éco21» in Genf: Dieses Programm wurde 2007 ins Leben gerufen, um die Energieeffizienz im Kanton Genf zu steigern und die CO2-Emissionen zu reduzieren. Es richtet sich an unterschiedliche Zielgruppen, von Privatpersonen über Unternehmen bis hin zu Gemeinden, und bietet Lösungen zur Senkung des Energieverbrauchs. Dank éco21 werden jährlich rund 271 Gigawattstunden Strom eingespart – das entspricht fast einem Zehntel des gesamten Stromverbrauchs des Kantons. Gleichzeitig sind die CO2-Emissionen seit Beginn des Programms um 652 000 Tonnen gesunken.
Wo sehen Sie zentrale künftige Herausforderungen?
Vorher hatte ich erwähnt, dass wir dauerhaft Mehrheiten in der Bevölkerung sowie der Politik für die Energiewende wollen und benötigen. Die Transformation muss aber gleichzeitig mit hoher Geschwindigkeit erfolgen. Wir sind derzeit leider immer noch zu langsam. Hinzu kommt der Fachkräftemangel; wir werden im Energiesektor in den nächsten Jahren einen sich zuspitzenden Wettbewerb um Fachkräfte mit anderen Branchen haben. Wir brauchen auch völlig neue Ausbildungen, wie beispielsweise im Rohrnetzbau. Hier bauen Swisspower und Thermische Netze Schweiz die neue Berufsbildung «Rohrnetzmontage EFZ» auf. Wir müssen grundsätzlich in unserer Branche vielfältiger, jünger, risikobereiter und innovativer werden. Die von uns initiierten Programme «Women in Power» und «Powerplayer» setzen genau da an.
Welche konkreten Massnahmen erachten Sie als nötig, um den Ausbau erneuerbarer Energien in der Schweiz weiter voranzutreiben?
Ein zentraler Aspekt ist der Ausbau der Strom- und Wärmenetze. In den kommenden Jahren werden Milliarden von Franken in den Ausbau dieser Netze investiert. Ein Wärmenetz beispielsweise benötigt immer auch ein Back-up-System. Diese Back-ups, oft Spitzenlastkessel, sind derzeit meist noch auf fossile Brennstoffe wie Erdöl angewiesen. Wir haben zum Beispiel 16 Standorte identifiziert, an denen moderne Wärmekraftkopplungsanlagen gebaut werden könnten. Diese haben einen Wirkungsgrad von über 90 Prozent und koppeln Strom- und Wärmenetze effizient. Doch die Medaille hat eine Kehrseite: Solche Anlagen sind heute noch teurer als fossile Spitzenlastkessel und ohne Fördermassnahmen des Bundes bleibt die finanzielle Last bei den Kommunen. Hier ist ein besserer Ausgleich nötig: Der Bund sollte mehr Verantwortung übernehmen. Oder um mit einem Bild zu sprechen: Wenn der Bund den Gotthardtunnel nicht finanziert hätte, hätten ihn wohl die Stadt Altdorf oder der Kanton Uri nicht allein gebaut.
Wie unterstützt Swisspower Stadtwerke und Energieversorger in diesem Kontext konkret bei der Transformation hin zu erneuerbaren Energien?
Swisspower verfolgt die Mission, die Wettbewerbsfähigkeit seiner Aktionäre und Allianz-Partner zu verbessern. Zu diesem Zweck übernehmen wir die Gesamtleitung von Grossprojekten wie zum Beispiel bei «Parsenn Solar» in Davos, bei dem es sich um eine grosse, hochalpine Photovoltaikanlage handelt. Diese Anlage wird jährlich über zehn Gigawattstunden Strom erzeugen, genug für etwa 2200 Haushalte. Falls wir die Baubewilligung erhalten und die Investoren grünes Licht geben, wird Parsenn Solar bereits ab 2026 dazu beitragen, den erhöhten Strombedarf im Winter zu decken und die Region unabhängiger von Stromimporten zu machen. Nebst solchen regionalen und lokalen Vorhaben fördern wir Innovationen wie beispielsweise lokale Elektrizitätsgemeinschaften (LEGs). Mit einer neuen LEG-Plattformlösung ermöglichen wir es Energieversorgern, das Management solcher LEGs zu vereinfachen.
Welche Rolle spielen Innovationen wie Smart Grids oder Speichertechnologien für den Erfolg des Masterplans?
Eine grosse! Intelligenz in den Netzen ist kostengünstiger als der Ausbau mit Kupfer. Smart Grids ermöglichen es beispielsweise, Lastspitzen zu brechen, indem sie durch dynamische Tarife Anreize für eine zeitlich variierende Nutzung setzen. Zum Beispiel könnten Kundinnen und Kunden belohnt werden, wenn sie ihr Elektroauto zu Zeiten mit niedrigem Energiebedarf laden. Das reduziert die Belastung der Netze und spart Kosten.
Speichertechnologien sind ebenfalls entscheidend. Auf Haushaltsebene stellen Batterien eine Schlüsseltechnologie dar, während auf Systemebene auch Power-to-Gas-Lösungen immer wichtiger werden. Überschüssiger Sonnenstrom im Sommer kann so in erneuerbares Gas umgewandelt werden, das dann im Winter genutzt wird. Solche Technologien, wie sie etwa bei Limeco in Dietikon eingesetzt werden, sind zentrale Bausteine für eine nachhaltige Energiezukunft.
Die Schweiz hat beschlossen, schrittweise aus der Kernenergie auszusteigen. Passt dieser Beschluss in Ihre Vision?
Ja. Der Ausbau erneuerbarer Energien schreitet voran – allein 2023 wurden Kapazitäten von 1640 Megawatt zugebaut und 2024 erwarten wir etwa 1800 Megawatt. Die Richtung stimmt. Ich erachte deshalb neue Atomkraftwerke als nicht mehr nötig. Wir müssen allerdings sicherstellen, dass auch ohne Atomkraft im Winter genügend Strom für die Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge produziert wird. Das können wir in den nächsten Jahren mit molekülbasierter Energie überbrücken. Auch die Laufwasserkraft müssen wir in den nächsten 25 Jahren konsequent modernisieren. Neue Atomkraftwerke sind zudem sehr teuer, benötigen sehr lange Planungszeiten und sind nicht erneuerbar. Die sogenannten «Atomkraftwerke der nächsten Generation» existieren in den meisten Fällen bisher nur auf PowerPoint-Folien. Von einer zeitnahen Alternative kann hier also vorläufig keine Rede sein.
Was treibt Sie persönlich an, mit Swisspower den Weg zu einer nachhaltigen Energiezukunft zu beschreiten?
Ich engagiere mich gerne und deshalb seit vielen Jahren für die öffentlichen Infrastrukturen der Schweiz; für einen guten Service public, weil das zur Attraktivität unseres Landes beiträgt. Sei es in der Bildung, der Energieversorgung, dem Gesundheitswesen oder der Post – leistungsfähige öffentliche Dienste sind ein Markenzeichen der Schweiz. Als passionierter Hobby-Mountainbiker finde ich meine Inspiration zudem oft in den Alpen. Dort sehe ich, wie viel Potenzial und Platz wir noch haben, um mit erneuerbaren Lösungen eine bessere Zukunft zu gestalten. Es ist mir eine Herzensangelegenheit, an Projekten zu arbeiten, die nachhaltig sind und echten Nutzen für die Gesellschaft bringen.
Zur Person
Ronny Kaufmann, 49-jährig, ist CEO von Swisspower und Verwaltungsrat der Schweizerischen Post. Er ist Dozent an Universitäten und Hochschulen im In- und Ausland und lehrt zu den Chancen der Transformation des Energiesystems. Kaufmann ist zudem Herausgeber von mehreren Fachpublikationen zur Governance der Energiewende sowie passionierter Mountainbiker.
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