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Business IT Interview

Doris Leuthard: «Ethik ist kein Selbstläufer»

18.06.2021
von Kevin Meier

Apps und Onlineservices bestimmen zunehmend unseren Alltag. Ein Problem? Nicht unbedingt, aber wir müssen uns über ethisches Verhalten im Cyberraum unterhalten. Das findet auch Altbundesrätin und Präsidentin der Swiss Digital Initiative Doris Leuthard.

Doris Leuthard

Doris Leuthard

Frau Doris Leuthard, welche Ziele verfolgt die Swiss Digital Initiative (SDI)?

Unser Hauptanliegen ist die Ethik in der digitalen Welt. Wir haben gemerkt, dass Fragen rund um die Ethik zunehmen: Hatespeech, Fake News, die Verantwortung von Robotern und Weiteres. Diese Fragen sind wichtig, weswegen wir die Stiftung gegründet haben. Wir möchten aber nicht nur berichten und analysieren, sondern mit konkreten Projekten die Situation verbessern.

Inwiefern hilft Ihnen Ihre Zeit als Bundesrätin in Ihrer Rolle als Präsidentin der SDI?

Als Bundesrätin lag das Bundesamt für Kommunikation BAKOM in meiner Verantwortung und somit auch die Koordination der Digitalstrategie des Bundes. Ausserdem war ich Mitglied beim «UN High-Level Panel on Digital Cooperation». Das hat mir nochmals die Wichtigkeit der internationalen Zusammenarbeit in diesem Bereich gezeigt. Das Internet ist nicht national. So gesehen wurde ich durch meine Tätigkeiten mit vielen dieser Fragestellungen konfrontiert.

International verbindliche Regelungen zu definieren, ist ein grosses Vorhaben. Ist das überhaupt realistisch?

Ja, das ist ein grosses Vorhaben. Als wir in Genf gestartet sind, stiessen wir international auf grosse Resonanz. Führungspersonen der grossen Tech-Unternehmen waren dabei und sind sich einig, dass es ohne Regulierungen nicht geht. Im Moment gibt es zu viel Leerraum, worin sich die Unternehmen zwar frei bewegen können, aber auch ihnen scheint dabei nicht mehr wohl zu sein. Aus meiner Sicht ist die Schweiz ein optimaler Ausgangspunkt. Nebst den fähigen Hochschulen geniesst die Schweiz mit ihrer Diplomatie einen guten Ruf und alle wesentlichen Organisationen sind im internationalen Umfeld von Genf vertreten. Natürlich muss man sich verbünden, weshalb bei der Internationalisierung die UNO eine Rolle spielen wird.

Der internationale Ruf der Schweiz unterstützt also das Vorhaben?

Ich bin mir dessen sicher. Wir haben die Neutralität und unsere humanitäre Tradition und damit auch die Glaubwürdigkeit. In Zukunft wird wahrscheinlich eine Charta nötig sein. Das zu erreichen, ist auf internationaler Ebene sehr schwierig und aufwendig. Trotzdem muss man mit einzelnen Projekten anfangen und immer einen weiteren Schritt nehmen. Es bietet sich uns die Chance, dass die digitale Welt ebenfalls von der Schweiz viel Input an Werten bekommt. Wie gestaltet sich die internationale Zusammenarbeit? Letztes Jahr war es pandemiebedingt herausfordernd. Derzeit arbeiten wir aber sowieso an unserem Hauptprojekt: dem Digital Trust Label. Wir haben zusammen mit Fachpersonen Untersuchungen durchgeführt: Was ist für User:innen wichtig, damit sie digitalen Dienstleistungen vertrauen? Wie designt man ein solches Label, damit die Ziele erreicht werden? Dahinter steckt sehr viel technischer Aufwand und Arbeit mit der Community. Zusätzlich bin ich über die UNO und die EU-Kommission, die sehr aktiv ist, verlinkt. Jetzt hoffen wir, dass wir ab Herbst international wieder präsenter sein können.

Welche Rolle spielt Vertrauen in der ethischen Digitalisierung?

Es ist zentral. Wenn Vertrauen gestört oder missbraucht wurde, ist das ein Zeichen dafür, dass etwas ethisch nicht korrekt erfolgt ist. Man ist enttäuscht und vertraut der Technologie nicht mehr, obwohl sie Nutzen stiften kann. Ethik, Transparenz und Vertrauen sind ein unumgängliches Dreibein, wenn man als Unternehmen erfolgreich sein will. Daher ist es wichtig, dass man sich auf einer internationalen, ethischen Wertebasis treffen kann.

Die Ethik und deren definierenden Elemente sind aber nicht starr. Es gibt keine Definition, die heute und auf ewig gültig ist. Die Elemente können sich verschieben und man muss sich das immer wieder erarbeiten. Deswegen ist auch die Arbeit an einem Digital Trust Label ein kontinuierlicher Prozess.

Ethik, Transparenz und Vertrauen sind ein unumgängliches Dreibein, wenn man als Unternehmen erfolgreich sein will.

Wie würden Sie eine ethische Digitalisierung beschreiben?

In der Regel sind unsere Grundwerte in der Verfassung festgelegt und die gelten selbstverständlich auch im Cyberraum. Zumeist bedarf es aber Anpassungen oder Auslegungen.

Ist Ethik im Cyberraum also etwas anderes als im analogen Raum?

Nicht anders, aber komplexer. Im analogen Raum geht es vornehmlich um 1-zu-1-Interaktionen zwischen Menschen. Im digitalen Raum kommen Plattformen, Server, Bots und Algorithmen hinzu, die ebenfalls Auswirkungen haben – oftmals unsichtbar im Hintergrund. Online ist es auch sofort global, der Wirkungsbereich ist entsprechend grösser.

Gibt es Technologien oder Anwendungen, die auch Ihnen Sorgen bereiten?

Es sind eher die Anwendungen. Beispielsweise eröffnet die Künstliche Intelligenz als Technologie fantastische Möglichkeiten. Aber eben: Wie schnell hat man das nicht mehr unter Kontrolle? Wer kontrolliert die Algorithmen? Entwickelt sich ein Eigenleben? Es gibt Bereiche, in denen der menschliche Einfluss verloren geht. Das kann schnell unethisch und unkontrollierbar werden. Seien es Blockchains oder KI, Anwendungen dieser Technologien müssen eng verfolgt werden. Schliesslich möchten alle, dass der Mensch bestimmt und nicht Maschinen.

Aufseiten der Gesellschaft gibt es ebenfalls Bedenken gegenüber den Tech-Giganten. Haben diese ein Interesse daran, ethisch zu handeln?

Ein Unternehmen will ein gutes Produkt oder eine gute Dienstleistung anbieten, eine zufriedene Kundschaft und natürlich Geld verdienen. Ethik und Business sollten dabei keine Gegensätze sein. Mittlerweile ist es jedem Unternehmen bewusst, dass unethisches Verhalten irgendwann abgestraft wird. Es gibt nicht nur einen Reputationsschaden, sondern es droht auch ein Verlust von Business und Kundschaft. Deswegen besteht aufseiten der Unternehmen gleicherweise Interesse. Aus diesem Grund braucht es international gefestigte Prinzipien und Standards. Das ist genau unser Hauptziel: Einen Rahmen zu schaffen, worin sich Unternehmen frei bewegen können. Daran müssen wir unbedingt und möglichst schnell arbeiten.

Wie sehen Sie das Problem des Zugangs?

In der Schweiz haben wir den Internetzugang für alle realisiert. Mit einer globalen Perspektive liegt die Situation anders. Es gibt noch viele Menschen, zum Beispiel in Afrika und Ostasien, die weder Zugang zu Strom noch einen Internetanschluss haben. WLAN-Netze sind heute oft die beste Entwicklungshilfe, um aus der Armut zu kommen. Technologie ist zudem wichtig für das Erreichen der Sustainable Development Goals. Der «Digital Divide» besteht nicht nur zwischen Jung und Alt, sondern auch zwischen Regionen der Welt.

Das Digital Trust Label als Projekt der SDI: Worum geht es da?

Es geht primär darum, den Nutzer:innen digitaler Anwendungen mehr Informationen und Transparenz zu geben. Es gibt 35 Kriterien in vier Kategorien, beispielsweise im Bereich Datenschutz, welche klar überprüfbar sind. Daraus resultiert ein Label, das eine schnelle Orientierung ermöglicht. So bleibt es allen individuell überlassen, ob sie den Dienst für ausreichend vertrauenswürdig halten oder nicht.

Wie wird die Zivilbevölkerung in die Entstehung des Labels miteinbezogen?

Uns war es wichtig, die Zivilgesellschaft dabeizuhaben. Es gibt ein unabhängiges Label-Experten-Komitee. Nebst Professor:innen und technischen Fachpersonen sind ebenfalls Konsumenten- und Zivilgesellschaftsvertretende dabei. Wir begrüssen möglichst viele Rückmeldungen aus der Zivilgesellschaft. Deswegen ist uns auch wichtig, unabhängig zu bleiben.

Es werden also die verschiedensten Perspektiven berücksichtigt?

Ja, denn am Ende muss das Projekt auf breite Akzeptanz von allen Seiten stossen. Was ich aus der Politik gelernt habe, ist, dass jede Meinung zur Optimierung beiträgt, auch wenn man nicht mit allem einverstanden ist. Das gibt schlussendlich Fleisch am Knochen. Irgendwann muss der Stiftungsrat aber eine Entscheidung treffen, wir können nicht nur reden. Wir sind uns auch bewusst, dass das Label nie perfekt sein wird und auch in Zukunft Verbesserungen nötig sein werden.

Sehen Sie die Zukunft der Ethik im digitalen Raum optimistisch?

Ja. Die Entwicklung der letzten Jahre hat den Menschen vor Augen geführt, dass man nicht blind vertrauen kann. Die Zivilgesellschaft ist sich mittlerweile bewusst, dass Ethik kein Selbstläufer ist. Man muss das immer wieder erarbeiten und miteinander diskutieren. Die Politik und die Unternehmen müssen nun den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen gerecht werden!

Interview Kevin Meier

Bild Klaus Andorfer

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