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Gesellschaft Jugend Interview

«Meine Vorbilder sind die Frauen im Iran und was sie auf sich nehmen, um gehört zu werden»

22.11.2022
von Jessica Petz

Sadaf Sedighzadeh ist 24 Jahre alt, studiert Kommunikation in Zürich und ist politisch aktiv. Doch aktuell ist alles anders. Sie stammt aus dem Iran und seit den Protesten der Frauen im Iran drehen sich ihre Gedanken um das Leben von tausenden Menschen dort – und dass sie nur durch reines Glück nicht selbst dort gerade um ihr Leben bangt. 

Sadaf Sedighzadeh, was geht dir durch den Kopf, wenn du die Bilder aus dem Iran siehst?

Trauer, Wut, Hoffnungslosigkeit – alles vermischt. Das waren meine ersten Gedanken, als die Proteste anfingen. Ich dachte damals nicht, dass diese so lange anhalten, aber es gehen immer noch tausende Menschen für ihre Rechte auf die Strassen. Alles, was ich früher in der Heimat meiner Eltern beschissen fand, steht jetzt auf wackeligen Beinen. Ob jung oder alt, Mann oder Frau – alle fordern das Gleiche: die Freiheit des Irans und das Ende der Unterdrückung von Frauen.

Internetzugänge sind im Iran derzeit drastisch eingeschränkt bzw. ganz gesperrt. Wie hältst du Kontakt zu deiner Familie?

Ich hatte vor ein paar Wochen ein Interview gegeben und musste vor der Veröffentlichung sehr lange überlegen, ob ich meinen Namen und mein Gesicht abdrucken lassen möchte. Ich habe mich letztendlich dafür entschieden, der Geschichte ein Gesicht zu geben. Danach musste ich den direkten Kontakt zu meiner Familie im Iran abbrechen, um sie zu schützen. Jetzt bekomme ich nur sporadisch über mehrere Ecken mit, wie es ihnen geht. Im Ausland lebende Regierungsanhänger:innen können nämlich in der Schweiz nach wie vor ungehindert schalten und walten. Das heisst für mich, dass ich unter dem jetzigen Regime nie wieder in den Iran reisen darf.

Glaubst du, die Proteste im Iran können etwas gegen das Regime bewirken?

Anfangs dachte ich, die Proteste werden abebben, aber jetzt habe ich Hoffnung. Der Iran ist ein junges Land, deswegen nehmen die Proteste so ein grosses Ausmass an, weil es sich um die Zukunft junger Menschen dreht. Es ist die erste dezentrale feministische Revolution und der Druck von internationalen Seiten führt dazu, dass das Regime nicht mehr auf stabilen Beinen steht und wackelt. Die Menschen gehen trotz Druck des Regimes jeden Tag auf die Strassen um für das einzustehen, was ihnen zusteht: Freiheit.

Was halten die älteren Generationen im Iran von den Protesten?

Eine Person aus meinem Verwandtenkreis im Iran ist Arzt und hat mir letztens erzählt, wie eine etwa 75-jährige Frau mit einem gebrochenen Arm zu ihm gekommen ist. Sie hatte sich gegen die Sittenpolizei aufgelehnt, um für die Freiheit der Frauen im Iran vorzugehen. Sie habe ihn darum gebeten, schneller zu machen. Denn sie wollte zurück auf die Strassen, um weiter zu protestieren. Ich glaube, diese Anekdote beantwortet die Frage ziemlich gut.

Was ist der Unterschied zu diesen Protesten im Vergleich zu anderen in der Vergangenheit?

Die Proteste, die wir aktuell erleben, werden viel weiter getragen als die Proteste früher. In den vergangenen Jahren haben sie sich auf spezifische Dinge bezogen, wie Wahlbetrug oder Inflation. Die Proteste heute handeln nur von einer Sache: den Sturz des Regimes. Es ist etwas, das aktiv die Regierung angreift. So etwas hat es vorher noch nie gegeben. Zusätzlich wird der Protest hauptsächlich von Frauen und nicht-binären Personen gestemmt, die für die Forderung nach Grundrechten täglich ihr Leben riskieren. Diese Menschen sind müde von den Verboten und leiden seit Jahren darunter. Diese Wut ist nun entfacht, und die Bevölkerung Irans stehen jetzt auf den Strassen um allen zu zeigen, dass sie selbstbestimmte Menschen sind und für sich entscheiden können sollen. Ebenso ist die Rolle des Internet nicht zu unterschätzen, das die Proteste in die ganze Welt trägt.

Wie kann man in der Schweiz Menschen im Iran unterstützen?

Wir Schweizer:innen müssen Druck auf die Regierung ausüben. Sei es durch Briefe an Bürgermeister:innen oder den Bundesrat: Es muss vonseiten unserer Regierung gehandelt werden. Botschaftsangestellte und Regierungsanhänger:innen aus dem Ausland horten ihr Geld auf Schweizer Bankkonten, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Die Schweiz als Land muss die Bankgeschäfte im Iran abbrechen und «keine Geschäfte mit den Mullahs» mehr treiben. Wir sind das Sprachrohr der Iraner:innen auf der Welt. Wir dürfen nicht aufhören, darüber zu reden, damit sich endlich etwas in diesem Regime ändert und Menschen wieder glücklich werden können.

 

Weitere Informationen zur Situation im Iran gibt es unter freeiran.ch

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