Interview von Marlène von Arx

Margot Robbie: «Wir haben die Firma gegründet, um Frauen eine Stimme zu geben»

Von einer australischen Farm vor die Kameras von Hollywood: Margot Robbie ist eine der erfolgreichsten Schauspielerinnen Hollywoods.

Margot Robbie zieht das Kino-Publikum in den Bann, seit sie Leonardo DiCaprio in «The Wolf of Wall Street» die Stirn bot. Als Teilinhaberin der Produktionsfirma LuckyChap Entertainment gehört die Australierin aber auch zu den konsequenten Frauen-Förderinnen in Hollywood. Wie sie tickt, erzählte uns die Schauspielerin in einer Reihe von Vor-Pandemie-Interviews.

November 2017, die Award Season in Hollywood läuft auf Hochtouren. Margot Robbie macht mit «I, Tonya» die Runde, ihrem Film über die kontroverse amerikanische Eiskunstläuferin Tonya Harding, deren Ex-Mann 1994 eine Attacke gegen Hardings Konkurrentin Nancy Kerrigan plante und ausführen liess. Die australische Schauspielerin ist besonders stolz auf den Spielfilm, denn es ist der erste ihrer Produktionsfirma LuckyChap Entertainment. Sie hatte die Firma drei Jahre zuvor mit ihren drei WG-Freunden gegründet. Zum Produzenten-Quartett gehört der ehemalige Regie-Assistent Tom Ackerley, mit dem Robbie inzwischen seit sechs Jahren verheiratet ist. «Alle fragen mich, wie ich mich fühle, verheiratet zu sein, aber niemand fragt mich, wie es ist, eine der jüngsten Schauspielerinnen/Produzentinnen mit einem Studio-Deal zu sein», wies die damals 27-Jährige beim «I, Tonya»-Interview darauf hin, wie Frauen in Hollywood oft unterschätzt oder aufs Banale reduziert werden.

Dagegen kämpft Margot Robbie als Geschäftsfrau und auch auf der Leinwand seit ihrem grossen Kino-Durchbruch in Martin Scorseses «The Wolf of Wall Street» vor zehn Jahren an: Mitte zwanzig, blond und verrückt/geldgierig/monströs… Wie oft hat sie Figuren-Beschriebe gelesen, die Frauenrollen in drei simple Begriffe zusammenfasst. Das reicht ihr nicht. Nicht einmal, wenn es um die Verkörperung der DC-Comic-Anti-Heldin Harley Quinn («Suicide Squad») geht: «Jeder Mensch ist nicht nur eines, sondern eine Million von Dingen – das Produkt der Herkunft und seiner Umstände», erklärt sie. «Das alles trägt dazu bei, wer man wird. Harley Quinn ist verrückt. Aber nicht nur. Es ist mein Job, zu zeigen, dass sie noch viel mehr ist.» 

Für ihre Rollen pusht sie sich deshalb auch ans Limit. Klar, brachte sie als Tonya Harding keinen Tripleaxel hin: «Das können nicht einmal Stuntleute», lacht die Schauspielerin. Zu Hause in Australien eher als Surferin unterwegs, hatte sie aber doch Schlittschuh-Erfahrung: «Als ich nach Los Angeles zog, schloss ich mich einem Eishockey-Team an», erklärt sie. «Richtig gut Schlittschuhlaufen konnte ich zwar nicht, aber mit all dem Padding spürte ich die Stürze auf dem Eis gar nicht. Beim Eiskunstlaufen tat mir dann alles deutlich mehr weh.» 

Beulen und Blessuren gehören für Margot Robbie dazu. Überhaupt gehe es auf Filmsets meistens nicht sehr glamourös zu und her: «Filmsets sind eigentlich glorifizierte Baustellen», meint sie. «Man trägt schwere Stiefel und dicke Winterjacken, um sich warm zu halten.» Ein paar Mal pro Jahr brezelt sie sich aber richtig auf, sei es für eine Filmpremiere oder eine Award-Show. Vor einem Publikum zu reden, fällt ihr jedoch erstaunlicherweise ziemlich schwer: «Ich hasse es, wenn ich etwas live machen muss», schaudert es sie bei dem Gedanken. «Wenn ich an einer Hochzeit eine Rede halten muss, flippe ich aus und meine Stimme zittert. Das überrascht immer alle, weil das Auftreten doch zu meinem Job gehört.»

Sicherer fühlt sie sich offenbar, Regisseur:innen zu überzeugen, um sie für ihren Film anzuheuern, hat sie doch in wenigen Jahren schon mit Star-Regisseuren wie David O.Russell («Amsterdam»), Damien Chazelle («Babylon»), David Yates («The Legend of Tarzan») und Quentin Tarantino («Once Upon a Time in Hollywood») zusammengearbeitet. Dafür ist sich Robbie auch nicht zu schade, mal einen Brief zu schreiben: «Quentin Tarantino habe ich geschrieben, dass ich seine Filme liebe und ihm gerne mal bei der Arbeit zuschauen würde. Ich glaube, ich habe angeboten, dass ich auch in der Küchenmannschaft etwas arbeiten würde, um aufs Set zu kommen», schmunzelt sie. «Ich hatte keine Ahnung, ob der Brief ihn überhaupt erreichen würde.» Deshalb war sie geschockt, als er kurz darauf ein Meeting mit ihr verlangte. Er erzählte ihr vom Projekt «Once Upon a Time in Hollywood» mit Leonardo DiCaprio und Brad Pitt, das sich noch im frühen Schreibstadium befand. Schliesslich gab er ihr in seinem semi-fiktiven Blick hinter die Hollywood-Kulissen die Rolle der Schauspielerin Sharon Tate. Tate war die Frau von Roman Polanski, die während einer Mordserie des Manson-Kults 1969 hochschwanger umgebracht wurde. «Meine Erwartungen, mit ihm zusammenzuarbeiten, waren sehr hoch, und er hat sich noch übertroffen», schwärmte Margot Robbie in einem Interview zum Film 2019.

Alle fragen mich, wie ich mich fühle, verheiratet zu sein, aber niemand fragt mich, wie es ist, eine der jüngsten Schauspielerinnen/Produzentinnen mit einem Studio-Deal zu sein. Margot Robbie, Schauspielerin

Es passiert nicht selten, dass Newcomer nach den ersten Erfolgen in der Showbiz-Bubble abstürzen oder verheizt werden. Wie lebenszerstörend das Rampenlicht sein kann, zeigte Margot Robbie vor Kurzem als ambitiöses Starlet aus den 1920er-Jahren in «Babylon» und in «Bombshell» über die haarsträubende Geschlechter-Politik und sexuelle Belästigungen bei Fox News. Obwohl sie jung und ohne Familien-Connection nach Hollywood kam, verlor sie im wirklichen Leben nie die Bodenhaftung. «Im Nachhinein bin ich richtig froh, nicht in der Filmindustrie gross geworden zu sein», blickt Robbie auf ihren eigenen Weg zurück. «Natürlich schien Hollywood weit weg, aber als ich mal meinen Fuss in der Tür hatte, war ich sehr dankbar, wie ich aufgewachsen bin.»

Der Weg nach Hollywood war zwar weit, aber nicht unbedingt lang: Margot Robbie ist am 2. Juli 1990 in der australischen Gold-Coast-Region geboren, wo sie und ihre drei Geschwister den Grossteil ihrer Kindheit auf der Farm der Grosseltern verbrachten. Die Eltern trennten sich, als Margot fünf Jahre alt war. Die Mutter erzählte Gutenachtgeschichten, die das fantasiereiche Mädchen weiterspann und dann erst recht nicht schlafen konnte. Ihre erste Kino-Erinnerung war «George of the Jungle» mit Brandon Fraser in der Hauptrolle. Sie liebte den Film – und den Duft von frischem Popcorn im Kino: «Aber meine Mutter brachte damals ihr eigenes Popcorn von zu Hause in einer Tupperware mit, weil sie das Kino-Popcorn für überteuert hielt. So mussten wir wohl oder übel das essen.» 

Schon als Kind war Margot Robbie ehrgeizig und hatte einen guten Geschäftssinn: Sie stibitzte beispielsweise die Spielsachen ihrer Brüder und versuchte sie am Strassenrand zu verkaufen. Ihr Traum, Schauspielerin zu werden, schien damals ziemlich unerreichbar. Nichtsdestotrotz landete sie bereits mit 18 Jahren erste Rollen in australischen Filmen und in der beliebten Soap Opera «Neighbours», in der auch Kylie Minogue und Russell Crowe ihre Karrieren starteten. Ihr Durchsetzungsvermögen hatte sich einmal mehr bewährt: «Wenn man mir sagt, etwas sei nicht möglich, will ich es nur noch mehr», bestätigt sie. In eine Schauspielschule ging sie nie, aber sie arbeitete zwei Jahre mit einem Dialekt-Coach, um ihren breiten Akzent abzuschwächen. «Ich war eben vom Land. Ich weiss gar nicht mehr, ob ich noch so sprechen könnte, aber es tönte in etwa so wie Crocodile Dundee.» 

2011 kam sie nach Hollywood und landete sogleich eine tragende Rolle in der Serie «Pan Am» an der Seite von Christina Ricci über die Piloten und Flight-Attendants der US-Airline in den Sechzigerjahren. Die Serie wurde zwar bereits nach der ersten Staffel eingestellt, aber Margot Robbie war angekommen. Als sie sich auf einem Riesenposter am New Yorker Times Square sah, stoppte sie einen Passanten und liess sich davor fotografieren. Mit einem Billboard am Times Square fiel dann auch bei der Familie der Groschen, dass die Schauspielerei mehr als ein nettes Hobby war: «Dann war klar, dass ich nicht mehr an die Uni gehen und einen ‹richtigen› Job machen würde. Inzwischen haben sie mich auf Sets besucht und gesehen, dass da ein Riesenbusiness dahintersteckt.» 

Margot Robbie an der 80. Golden-Globe-Verleihung am 10. Januar 2023 mit Brad Pitt

Margot Robbie an der 80. Golden-Globe-Verleihung am 10. Januar 2023 mit Brad Pitt. Bild: HFPA

Ein Business, in dem sich auch LuckyChap Entertainment inzwischen gut etabliert hat: «I, Tonya» war ein ermutigender erster Schritt. Die Dramedy erhielt drei Oscar-Nominationen: für die Beste Hauptdarstellerin (Robbie), die beste Nebendarstellerin (Allison Janney) und für den besten Schnitt (Tatiana S. Riegel). Allison Janney durfte gar den Oscar für ihre Rolle als Hardings schroffe Mutter mit nach Hause nehmen. Die Firma produzierte auch den oscarnominierten Psycho-Thriller «Promising Young Woman» (2020) mit Carey Mulligan in der Hauptrolle, geschrieben und inszeniert von Emerald Fennel. Mulligan spielt darin eine Frau, die sich an allen rächt, die sie für das tragische Schicksal einer Jugendfreundin verantwortlich macht. Bullying, Belästigung und toxische Männer, die nicht zur Rechenschaft gezogen werden, sind die zu heissen Diskussionen anregenden Themen im Film. Emerald Fennel wurde für das Drehbuch mit einem Oscar ausgezeichnet. «Wir haben die Firma gegründet, um Frauen eine Stimme zu geben und Geschichten von Frauen zu erzählen», so Robbie 2019 über ihre Ziele als Produzentin. «Wir arbeiten hauptsächlich mit Frauen zusammen und die Filme decken verschiedene Genres und Budgetgrössen ab. Wir kennen die Film-Statistiken ja: Frauen sind massiv unterrepräsentiert. Viele Leute, zu denen ich auch gehöre, wollen das nun ändern.»

Als Nächstes widmet sich Robbies Firma mit «Barbie» einer ebenso ikonischen wie kontroversen Figur. Die Komikerin Amy Schumer sollte erst die berühmte Puppe spielen, nach einem Skript von Diablo Cody («Young Adult»). Aber die Meinungen, wie die Klischees um Barbie angegangen werden sollten, gingen im Team zu weit auseinander. Mit LuckyChap Entertainment an Bord wurde ein neuer Ansatz gefunden: Drehbuchautorin und Regisseurin Greta Gerwig («Ladybird») sieht eine Geschichte vor, in der eine Barbie aus dem fuchsia-pinken Barbie-Land verbannt wird, weil sie angeblich nicht perfekt genug ist. So kommt sie in die reale Welt und entdeckt, dass Perfektion eine individuelle Wahrnehmung ist. Margot Robbie spielt nun Barbie und Ryan Gosling verkörpert Ken. «Barbie ist mit viel Ballast und Nostalgie verbunden», räumt Robbie in der britischen Zeitschrift Vogue ein. «Aber so kann man sie auch auf viele verschiedene, spannende Arten angehen.» Feministin und Indie-Darling Greta Gerwig hat diesbezüglich bestimmt einige Überraschungen auf Lager. Man darf also auf die Live-Action-Barbie gespannt sein, die diesen Sommer durch die Kinos stöckeln wird.

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07.07.2023
von Marlène von Arx
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