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Gesundheit

Was die Gesundheit des Planeten mit der des Menschen zu tun hat

29.11.2022
von Kevin Meier

Der Klimawandel beeinflusst alle Bereiche des Lebens unmittelbar, so auch die individuelle Gesundheit. Wie genau, erklärt der Präsident des Vereins Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU), Dr. med. Bernhard Aufdereggen, im Interview.

Dr. med. Bernhard Aufdereggen, Präsident des Vereins Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU)

Dr. med. Bernhard Aufdereggen
Präsident des Vereins Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU)

Bernhard Aufdereggen, welche Auswirkungen des Klimawandels spüren wir bereits in der Schweiz? 

Der letzte Sommer hat uns drastisch vor Augen geführt, wie sich der Klimawandel in der Schweiz auswirkt. Wir hatten den ganzen Sommer überdurchschnittliche Temperaturen, wie es die Klimaspezialist:innen vorausgesagt haben. Wir leiden unter den Hitzeperioden. Diese führen zu mehr Krankheiten und Todesfällen. In meinem Heimatkanton Wallis schmelzen die Gletscher in ungeahnter Schnelligkeit dahin. Der Permafrost taut auf. Die Berge zerfallen, die Zermatter Bergsteigenden konnten diesen Sommer ihre Gäste deshalb zeitweise nicht mehr aufs Matterhorn führen.

Welche weiteren Aspekte des Klimawandels können unsere physische Gesundheit beeinträchtigen?

Die Hitzeperioden sind für empfindliche Personen bedrohlich, ja lebensgefährlich. In den vergangenen Hitzesommern sind mehr Menschen gestorben als in Sommern, die weniger heiss waren. Es trifft vor allem ältere Menschen oder Menschen mit Vorerkrankungen, wie Herz-Kreislauf-Leiden oder Nierenproblemen. Auch Kleinkinder sind stärker gefährdet. Diese Probleme sind aufgetreten, obwohl in der Schweiz in den letzten Jahren eine Kampagne durchgeführt wurde, um die betroffenen Personen besser zu schützen. Sehr unangenehm, aber nicht lebensbedrohend, ist die Situation bei den Pollen-Allergien. Sie treten immer früher auf, sind intensiver und betreffen mehr Menschen.

Welche Dynamik des Klimawandels ist für die Schweiz die gefährlichste in Bezug auf die Gesundheit?

Die Erdatmosphäre in den Alpen und damit in der Schweiz erwärmt sich stärker als in anderen Gebieten der Erde. Gegenüber der vorindustriellen Zeit haben wir in der Schweiz bereits eine Erhöhung der Durchschnittstemperatur von über zwei Grad Celsius. Wenn das ungebremst weitergeht, drohen mehr Hitzetage, trockenere Sommer, heftigere Niederschläge und schneearme Winter. Die schnelle Veränderung des Klimas und andauernde Hitzeperioden sind wohl die gefährlichsten Situationen für die Gesundheit.  

Studien deuten darauf hin, dass unter klimatischen Extremereignissen vermehrt Depressionen und eine erhöhte Suizidrate auftreten. Dr. med. Bernhard Aufdereggen

Inwiefern werden (von Tieren) übertragbare Krankheiten zunehmend ein Problem?

Da zeigen sich insbesondere zwei Probleme: Einerseits hat sich durch die Erwärmung das Ausbreitungsgebiet der Zecken verändert. Sie kommen in den letzten Jahren in höheren Gebieten vor. Wir beobachten sie in Regionen über 1000 Meter, in denen sie früher nicht vorkamen. Dadurch treten dort neu durch den Zeckenbiss übertragene Erkrankungen, wie die Borreliose oder die Hirnentzündung FSME auf. Ein zweites Problem ist die zunehmende Verbreitung der asiatischen Tigermücke in nördlicheren Gebieten der Schweiz. Sie kann schwere und in unseren Regionen bisher unbekannte Krankheiten wie das Dengue-Fieber übertragen.

Wie kann der Klimawandel unsere psychische Gesundheit beeinträchtigen?

Einerseits führen Hitzeperioden mit sehr heissen Nächten zu Schlafstörungen, die sich auf die psychische Gesundheit auswirken. Die Menschen sind dann nicht ausgeruht und im Arbeitsprozess auch nicht leistungsfähig. Die drohenden Probleme durch die Erderwärmung machen vielen Menschen Angst, sie fühlen sich hoffnungslos. Dies zeigt sich speziell bei den Jugendlichen. Sie benötigen vermehrt psychologische Hilfe, um mit der Situation klarzukommen. Studien deuten darauf hin, dass unter klimatischen Extremereignissen vermehrt Depressionen und eine erhöhte Suizidrate auftreten.

Das Gesundheitssystem selbst ist aufgrund der Hygieneanforderung abhängig von Plastik- und Einweginstrumenten. In welchen Bereichen kann es dennoch klimafreundlicher werden?

Die Sterilisation von Mehrweginstrumenten in der Praxis wurde in den vergangenen Jahren immer schwieriger. Viele Kolleginnen und Kollegen machen das deshalb nicht mehr. Sie arbeiten mit Einwegmaterialien. Dieser Trend besteht auch in den Spitälern und führt zu Tonnen von Abfall. Klimafreundlicher wird das Gesundheitssystem nur, wenn sich das in Zukunft ändert. Das Gesundheitssystem muss gesamtheitlich auf seine Klimafreundlichkeit «durchleuchtet» werden. Wir von den Ärztinnen und Ärzten für Umweltschutz fordern deshalb eine nationale Taskforce, um das Thema ganzheitlich anzugehen. Der Gesundheitssektor ist immerhin für sechs Prozent des schweizerischen CO2-Ausstosses verantwortlich. 

Es gibt auch den Ansatz der «Planetary Health Diet». Können Sie diese Idee kurz erklären?

Mit «Planetary Health Diet» wird eine ausgewogene Ernährung bezeichnet, die gesund ist und gleichzeitig die «Gesundheit» unseres Planeten schützt. Wissenschaftler:innen wurden beauftragt, die Frage zu beantworten, unter welchen Bedingungen im Jahre 2050 auf dem Planeten Erde zehn Milliarden Menschen gesund und nachhaltig ernährt werden können. Die daraus abgeleitete Ernährungsweise ist pflanzenbasiert und besteht grösstenteils aus Obst und Gemüse. Der Konsum von tierischen Produkten, besonders von Fleisch, sollte deutlich reduziert werden. Diese Ernährung hat zusätzlich einen günstigen Effekt auf die Gesundheit der Menschen. Die Veränderung der Ernährungsgewohnheiten bedingt auch eine landwirtschaftliche «Revolution». Ein wichtiges Element ist zudem die Vermeidung von Food-Waste. 

Wie kann man die Loslösung der Medizin und des Gesundheitssystems von der Klimathematik in eine ganzheitlichere Perspektive wandeln?

Als Beschäftigte im Gesundheitssystem weisen wir einerseits auf die Gefahren für die Gesundheit durch die Erhitzung der Erdatmosphäre hin, andererseits auf die Vorteile für die Gesundheit durch klimaschützende Massnahmen. So ist etwa das Verbrennen von fossilen Energieträgern im Verkehr und bei der Heizung verantwortlich für einen grossen Teil der Luftverschmutzung. Klimaschützende Massnahmen in diesem Bereich führen daher direkt zu weniger Luftverschmutzung und somit zu weniger Krankheiten und Todesfällen. Aus einer ganzheitlichen Perspektive heisst das: Was gut für den Planeten ist, ist auch gut für die Gesundheit.

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