symbolbild 3-d-druck in  medizin
iStockphoto/whyframestudio
Pflege Gesundheit Innovation

Zukunftsvisionen im OP-Saal

18.11.2022
von Akvile Arlauskaite

Prof. Dr. mult. Florian M. Thieringer, Chefarzt der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Co-Leiter  des 3-D-Print Labs sowie Gruppenleiter «Smart Implants» am Departement Biomedizinische Technik am  Universitätsspital Basel, spricht im Interview mit «Fokus» über die neuesten Entwicklungen in der Chirurgie.

Professor Florian M. Thieringer

Professor Florian M. Thieringer

Prof. Thieringer, 3-D-Druck ist in der Medizin bereits seit Jahrzehnten ein Thema. Wie entwickelt sich die Technologie weiter?

3-D-Druck wird seit Längerem für die Herstellung anatomischer Modelle und individueller chirurgischen Säge- oder Schnittschablonen eingesetzt. Inzwischen findet die Technologie in der Medizin einen unglaublich breiten Anwendungsbereich und wird künftig noch einfacher, schneller, präziser und biologischer werden. Einige Beispiele sind Prototypen für Medizinprodukte und Instrumente sowie sehr realistische anatomische Modelle.

Sehr grosses Potenzial sehe ich im Point-of-Care-3-D-Printing. Durch die Herstellung von Modellen und Medizinprodukten direkt im Spital können diese in bisher unerreichbarer Zeit für Diagnostik und Therapie zur Verfügung gestellt werden. Ein weiteres wichtiges Thema der letzten zehn Jahre ist die Herstellung von auf Patient:innen exakt zugeschnittenen Implantaten. Besonders spannend ist hier das Bioprinting: der Gewebeersatz durch 3-D-gedruckte Knochenstrukturen oder Weichgewebe, die aus menschlichen Zellen und biologischen Stützstrukturen bestehen.

Wie sieht die «nächste Generation» von Implantaten konkret aus?

Die patientenspezifischen Implantate sind biologische und sehr gut verträgliche individuelle Ersatzteile. Sie können bereits vor der Operation perfekt vorbereitet werden und bestehen häufig aus mehreren «Puzzleteilen». Durch minimalinvasive «Schlüsselloch»-Zugänge werden sie mittels Roboter in den menschlichen Körper eingeführt und automatisch zusammengesetzt. Aufgrund ihrer besonderen Form halten sie perfekt zusammen und stellen im Idealfall die volle Funktion des fehlenden Körperteils wieder her.

In Zukunft werden immer mehr biologische patientenspezifische Implantate – Kombinationsimplantate aus einer Stützstruktur und Zellen des Menschen – eingesetzt werden, sodass in vielen Fällen eine vollständige körperliche Wiederherstellung nach schweren Unfällen, bei Tumoroperationen oder degenerativen Erkrankungen erzielt werden kann. Dadurch können tumorbefallenes Gewebe oder abgenutzte Gelenkknorpelflächen zukünftig naturnah ersetzt und grosse Operationen mit Metalltotalprothesen verzögert oder gar unnötig gemacht werden. Sehr spannend sind auch smarte Implantate mit Sensortechnik oder besonderen biologischen Funktionen, die den Heilungsprozess im Körper deutlich beschleunigen.

Welche Vorteile ergeben sich aus den neuen 3-D-Technologien in der Chirurgie?

Mit medizinischem 3-D-Druck können wir patientenzentriert und -spezifisch behandeln. In Studien konnten wir zeigen, dass durch den Einsatz von smarten Implantaten nicht nur die Operationszeit signifikant verkürzt, sondern auch die Patientensicherheit erhöht wird. Die Vorhersagegenauigkeit von Operationen steigt und Chirurg:innen können sich im Voraus perfekt auf ihren Einsatz vorbereiten. Zudem sind 3-D-Modelle ideal für die Patientenaufklärung und dienen für das realistische Training sowie die Ausbildung der neuen Generationen von Mediziner:innen.

Sie erwähnten die Rolle von Robotern im OP-Saal. Wie wird sich diese in Zukunft weiterentwickeln?

Roboter arbeiten hochpräzise, sind stark, ermüden nicht und erlauben sehr schonende chirurgische Eingriffe. Inzwischen haben sie in vielen Operationssälen Einzug gehalten, auch wenn, um ganz korrekt zu sein, die meisten Geräte keine echten Roboter sind. Bekannte Systeme wie «Da Vinci» operieren Menschen nicht autonom, sondern übertragen die Handbewegungen der Chirurg:innen von einer Steuereinheit.

Dank innovativer Therapieformen werden die Chirurg:innen der Zukunft immer weniger zum altbekannten Skalpell greifen müssen. Prof. Dr. mult. Florian M. Thieringer

Wir sehen den Roboter als ein hochentwickeltes chirurgisches Instrument, das in verschiedenen medizinischen Bereichen zur Anwendung kommen wird, aber auch weiterhin noch menschliche Unterstützung beim Einsatz benötigt. Auf der einen Seite operieren Roboter mit endoskopischen, modularen Roboterarmen autonom und minimalinvasiv und erzeugen deutlich weniger Begleitschäden als bei herkömmlichen anatomischen Zugangswegen. Auf der anderen Seite werden sie bei einfachen, gegebenenfalls auch anstrengenden, sich wiederholenden Tätigkeiten eingesetzt: Pflegeroboter als Hilfsgeräte beim Umlagern von bettlägerigen Patienten:innen, Halte- und Assistenzroboter im Operationssaal oder Transportroboter.

Besonders spannend sind für uns die autonom operierenden Chirurgieroboter sowie das neue modulare, minimalinvasive, robotergestützte Laseroperationssystem, welches aktuell im Rahmen unseres «Miracle II»-Projekts am Departement Biomedizinische Technik der Universität Basel entwickelt wird.

Können Sie mehr darüber verraten?

Der endoskopische «Miracle»-Roboter wird Gewebe, vor allem Knochen, sehr präzise schneiden können. Winzige Sensoren und eine 3-D-Software sorgen für die Patientensicherheit während der Operation. Und im spitaleigenen 3-D-Drucklabor entstehen Implantate, die perfekt in den vorgeschnittenen Knochen passen.

Das Spannende bei dem Basler Projekt ist das Zusammenspiel vieler sehr innovativer Technologien mit Fokus auf den Operationssaal der Zukunft: Von der Bildgebung über die 3-D-Planung der Operationen im virtuellen Raum, die automatische Herstellung von individuellen biologischen Implantaten durch 3-D-Druck und den Einsatz minimalinvasiver Knochenschnittverfahren mit Laser bis hin zum direkten Gewebeersatz im menschlichen Körper. Eine medizintechnologische Marsmission.

Welche weiteren Innovationen werden die Chirurgie künftig prägen?

Eine wichtige Rolle werden moderne onkologische Behandlungsverfahren wie die Immuntherapie spielen, bei der das körpereigene Immunsystem bei der Krebsbehandlung aktiviert wird. Aber auch regenerative Verfahren wie Tissue Engineering und 3-D-Bioprinting werden bei der Behandlung von Erkrankungen an Bedeutung gewinnen. Dank dieser innovativen Therapieformen werden die Chirurg:innen der Zukunft immer weniger zum altbekannten Skalpell greifen müssen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Vorheriger Artikel Netzwerke – die leisen Riesen hinter Innovationen
Nächster Artikel Das romantisierte Bild des ethischen Hackers