person beim händechen. mysophobie
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Gesundheit

Mysophobie – Das Gefühl, beschmutzt zu sein

29.11.2022
von Jessica Petz

Krank werden möchte niemand. Aus diesem Grund schützen sich Menschen und treffen vorbeugende Massnahmen, um Erreger fernzuhalten. Doch diese aktive Auseinandersetzung mit Viren kann zu Ängsten vor diesen führen, wodurch sich in den schlimmsten Fällen Mysophobie entwickeln kann. 

Seit der Covid-19-Pandemie sind Desinfektionsgel und Masken noch in vielen Hand- oder Jackentaschen zu finden. Virolog:innen sagten zu jener Zeit, wie oft und wann man Hände waschen muss, wie nah man seinen Freund:innen kommen kann und wo man doch lieber die Maske anlassen sollte. Corona hat unser Verständnis von Krankheiten und deren Vorbeugung komplett auf den Kopf gestellt und seitdem sind die Themen Viren und Hygiene von viel grösserer Bedeutung als früher. Menschen gehen weniger aus dem Haus, meiden Grossveranstaltungen und desinfizieren nach jeder Busfahrt ihre Hände. Dadurch hat sich bei vielen auch eine Panik vor Viren entwickelt und die lähmende Angst, sich anzustecken. Diese extreme Angst vor Keimen nennt sich Mysophobie. «Es kann sein, dass sie in einem Kreislauf von sich wiederholenden Verhaltensweisen feststecken, die ihre Lebensqualität beeinträchtigen, ähnlich wie bei einer Zwangsstörung», so Karsten Noack, Hypnotherapeut. 

Vernachlässigung sozialer Aktivitäten 

Um die Furcht vor Verunreinigung zu reduzieren, halten Betroffene sowohl ihre Wohnung als auch ihren Körper übermässig sauber, damit sie sich sicherer fühlen und so ein besseres Gefühl in den eigenen vier Wänden haben. Es geht dabei um die Kontrolle der Sauberkeit an den Orten, an denen man sich aufhält. Mysophobiker:innen fassen nur das an, was sie geputzt und weitestgehend kontrolliert haben, sodass es für sie ertragbar ist. Das übermässige Putzen nimmt jedoch so viel Zeit in Anspruch, dass soziale und berufliche Aktivitäten vernachlässigt werden. Dadurch isolieren sich Mysophobiker:innen automatisch und meiden es, das Haus zu verlassen. In der Aussenwelt hat man keine Kontrolle mehr darüber, was sauber ist und welcher Toilettengriff von Keimen nur so wimmelt. Das übermässige Einsetzen von Putzmitteln und Reinigungsgeräten verursacht zudem hohe Kosten und schadet der Haut, weshalb sie rissig und trocken wird. Trotz dieser Massnahmen empfinden Betroffene häufig Angst und Panikattacken und fühlen sich von Schmutz und Viren bedroht. Das Putzen reduziert in dem Fall kurzfristig negative Emotionen und erhöht das Kontrollempfinden. Jedoch lässt dieses Gefühl kurze Zeit später wieder nach und das übertriebene Reinigen wird fortgesetzt, weshalb dieser Kreislauf selten aus eigener Kraft verlassen werden kann. 

Mit ärztlicher Hilfe und Eigeninitiative, dass man an dieser Angst etwas ändern will, stehen die Chancen gut, die Phobie zu besiegen.

Auswirkungen von Zwangsgedanken

Doch Betroffene sind nicht nur in ihrem sozialen Handeln eingeschränkt. Mysophobie wirkt sich auch auf das Immunsystem und die Psyche aus. «Extreme Angst vor Schmutz und Keimen kann zu Einschränkungen im Leben und sogar Depressionen führen», betont Noack. Dadurch, dass Mysophobiker:innen ständig ihre Umgebung desinfizieren und ihrem Immunsystem keine Chance geben, Bakterien zu bekämpfen, schwächen sie ihr Abwehrsystem stark und werden so viel anfälliger für Krankheiten. Um effektiv zu arbeiten, braucht dieses den direkten Kontakt mit Viren und Keimen. Bleibt dieser Kontakt für längere Zeit verwehrt, kann sich das Immunsystem nicht auf unterschiedliche Krankheiten einstellen und so auch keine normalerweise harmlosen Viren und Keime abwehren. Durch überdurchschnittliches Händewaschen und den Einsatz von Desinfektionsmittel wird die Haut geschädigt und die natürliche Schutzbarriere gegen Viren wird gestört. Die Covid-19-Pandemie hat dazu ebenfalls einen erheblichen Beitrag geleistet. «Die Angst vor einer Ansteckung hat sich durch die Covid-19-Pandemie bei einigen Menschen verstärkt und andere reagieren nun eher mit Gleichgültigkeit, weil sie sich überfordert fühlen», erläutert Karsten Noack. Während der Pandemie wurde durch Medien viel Angst über das Virus verbreitet – Lockdowns und Maskenpflicht haben dies nur noch bestätigt. Durch die Aufhebung dieser Massnahmen haben sich viele Menschen überfordert gefühlt, da die «Normalität», die es vor der Pandemie gab, vergessen wurde. Diese Angst vor dem Virus ist somit geblieben, womit viele Betroffene heute noch zu kämpfen haben. 

Chance auf Heilung? 

Wie so oft besteht der erste Schritt zur Besserung in der Erkenntnis, dass ein Problem vorliegt und man dieses beseitigen möchte. Viele Betroffene wissen daher sehr lange nicht, dass der übertriebene Zwang nach Sauberkeit gefährlich werden kann und es nicht typisch ist, Angst vor Keimen zu haben. «Es ist wichtig, möglichst frühzeitig zu handeln und kompetente therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Leider dauert es oft sehr lange, bis das geschieht. Doch von allein und mit ein paar Tipps lässt sich die Mysophobie nicht auflösen», erklärt Karsten Noack. Einer der häufigsten Behandlungsarten gegen Mysophobie ist die kognitive Verhaltenstherapie. Die Verhaltenstherapie geht davon aus, dass das menschliche Verhalten immer antrainiert ist und der Mensch all seine Fähigkeiten erlernen kann und man deshalb der Annahme ist, dass diese auch abtrainiert werden können. Patient:innen setzen sich zuerst mit den Ängsten auseinander, analysieren die Gewohnheiten und werden dann direkt mit der Angst konfrontiert. Dies geschieht, indem diese zum Beispiel Bus fahren und die Haltestangen anfassen, ohne sich danach direkt die Hände zu waschen. Dies wird Schritt für Schritt durchgeführt, damit die Angst so langsam und bewusst überwunden werden kann. Ebenfalls wird in der Therapie ein Bewusstsein geschaffen, dass Keime und Bakterien nicht nur negativ assoziiert werden müssen, sondern auch positive Effekte auf das Immunsystem haben. Die komplette Wahrnehmung von Mysophobiker:innen soll wieder realistischer gestaltet werden. Mit ärztlicher Hilfe und Eigeninitiative, dass man an dieser Angst etwas ändern will, stehen die Chancen gut, die Phobie zu besiegen.

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