Der Begriff der Work-Life-Balance ist in aller Munde und bleibt trotzdem oft ziemlich vage. Klar, es geht um einen gelungenen Ausgleich zwischen Arbeits- und Privatleben. Aber wie schafft man das? Warum das Konzept keineswegs ein Produkt des 21. Jahrhunderts ist und mit welchem Modell man die eigene Work-Life-Balance optimieren kann.
Work-Life-Balance. Klingt neumodisch, vermutlich ist der Begriff noch keine zehn Jahre alt. Könnte man meinen, ist aber falsch! Thomas Brandenberger, Psychologe und Vorstandsmitglied des SBAP (Schweizer Berufsverband für Angewandte Psychologie), klärt über die lange Geschichte der Work-Life-Balance auf: «Der Begriff entstand während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Dabei verlagerte sich die Arbeit und das Privatleben entscheidend. Der Beruf und die Familie, beziehungsweise das Privatleben, haben sich zunehmend getrennt. Auch sind längere Arbeitswege dazugekommen.» Allgemein betrachtet könnte der Begriff nüchtern zu Verwirrung führen: Ist «Work» denn nicht so oder so ein Teil von «Life»? «Der Begriff impliziert ja den Ausgleich zwischen Arbeit und Leben, wobei beim Leben das Privatleben mit allen Bereichen gemeint ist», führt Thomas Brandenberger aus. «Familie, Essen, Schlafen – da bleibt vielfach nicht mehr viel übrig für das, was man Zeit für sich nennen würde.»
Ein Patentrezept für Work-Life-Balance existiert aber nicht. Die Herangehensweise ist stets individuell, wie der Experte ausführt: «Wenn die Familie eine Ressource ist, macht es Sinn, viel Zeit mit der Familie zu verbringen. Wenn die Familie jedoch ein Stressor ist, bleibt man allenfalls länger bei der Arbeit oder meidet die Zeit zu Hause. Grundsätzlich muss jeder selbst herausfinden, was einem gut tut. Für die einen ist es Sport, für andere Yoga oder Mediation, und wieder für andere Musik oder Natur. Psychologen und Coaches können dabei helfen, die individuell passenden Massnahmen zu finden.» Allgemein erreicht die Schweiz bei Untersuchungen zu Work-Life-Balance gute Werte (siehe Infobox 1).
Von einem Bore-Out ist dann die Rede, wenn die Krise aus anhaltender Unterforderung am Arbeitsplatz und der daraus folgenden Langeweile resultiert.
Die Rolle aller Beteiligten
Was können zum Beispiel Arbeitgeber tun, um die Work-Life-Balance ihrer Mitarbeitenden zu optimieren? «Ich denke dabei an den Begriff der emotionalen Sicherheit», fällt Experte Thomas Brandenberger ein. «Dazu gehört eine gute Kommunikation und Information. Wenn Mitarbeiter Durschaubarkeit erleben und auch erkennen, was auf sie zukommt, dann fühlen sie sich sicherer. Wenn dann noch Involvement der Mitarbeitenden stattfindet, ist schon viel getan. Noch wichtiger ist aber die Achtsamkeit und das Erkennen der Bedürfnisse der Mitarbeitenden entscheidend.» Auch hier sei aber wieder auf folgendes zu verweisen: Es gibt kein Patentrezept, welches auf alle gleich zugeschnitten ist!
«Jeder ist individuell belastbar und dem muss der Arbeitgeber Rechnung tragen. Es bedingt einer offenen Kultur und wie bereits erwähnt viel Kommunikation», sagt der Experte. Klingt einfacher gesagt als getan. Doch auch dafür gibt es eine Lösung, wie Thomas Brandenberger erklärt: «Das Modell von Aron Antonowsky aus der Salutogenese kann hier eine Hilfe sein (siehe Infobox 2). Wichtig ist sicher auch, dass vorgesetzte Personen als Vorbild dienen müssen.» Für Arbeitnehmer selbst verweist der Experte erneut auf die individuelle Komponente. Man müsse in sich gehen und herausfinden, was einem gut tut. Dabei kann es wie bereits gesagt möglich sein, dass man länger arbeitet – identifiziert man Elemente im Privatleben als Stressoren, kann dies folglich eine gute Lösung darstellen.
Burn-Out – wie verhindern?
Gerät man infolge von permanentem Stress und Überlastung am Arbeitsplatz in eine persönliche Krise, spricht man auch von einem Burn-Out. Übrigens: Das Gegenteil davon existiert ebenfalls: Von einem Bore-Out ist dann die Rede, wenn die Krise aus anhaltender Unterforderung am Arbeitsplatz und der daraus folgenden Langeweile resultiert.
Wie können Arbeitnehmer ein Burn-Out verhindern? Thomas Brandenberger erklärt: «Dazu müssen zwei Ebenen betrachtet werden. Die individuelle und die betriebliche. Grundsätzlich ist ein Burn-Out aber schwierig zu erkennen. Das zeigt sich auch immer wieder in meiner Praxis. Burn-Out ist nicht gleich Burn-Out. Es ist nicht nur eine Überlastung, vielfach kommt Unverständnis, Ärger, oder Wut hinzu. Also eine starke emotionale Komponente.» Ebenfalls ergänzt der Experte: «Die persönliche Disposition des Individuums ist entscheidend. Habe ich Resilienz oder eben nicht? Wobei man Resilienz speziell auch aus der Biografie lernen kann. Zu den ersten Symptomen eines Burn-Outs gehören Schlafmangel sowie Einschlaf- und Durchschlafbeschwerden. Kopfschmerzen, Verdauungsprobleme, Rücken- oder Nackenschmerzen sind die Frühwarner.»
Zentral für die Prävention sind individuelle Kommunikation mit den Mitarbeitenden. «Wenn man sich nicht mit den Mitarbeitenden auseinandersetzt, erkennt man ein Burn-Out auch weniger», stellt der Experte klar.
Die zwölf OECD-Länder mit der besten Work-Life-Balance 2019 (10 = beste Balance):
- Niederlande (9.5)
- Italien (9.4)
- Dänemark (9.0)
- Spanien (8.8)
- Frankreich (8.7)
- Litauen (8.6)
- Norwegen (8.5)
- Belgien (8.4)
- Deutschland (8.4)
- Schweden (8.4)
- Schweiz (8.4)
- Russland (8.3)
Entstehung von Gesundheit nach dem Modell von Aaron Antonovsky (1923 – 1994):
Laut dem israelisch-amerikanischen Medizinsoziologen Aaron Antonovsky ist Gesundheit ein dynamischer Prozess. Zentraler Ausgangspunkt seines Modells ist der sogenannte Kohärenzsinn. Er ist ausschlaggebend für die eigene Definition des Zufriedenheits- und Zugehörigkeitsgefühls und setzt sich aus drei Komponenten zusammen:
-
- Verstehbarkeit (Fähigkeit, die Situation auf ihre Ursachen hin zu analysieren)
- Handhabbarkeit (Wissen um die eigenen Ressourcen)
- Sinnhaftigkeit (Sinnhaftigkeit eines Bewältigungsversuches)
Je höher der daraus resultierende Kohärenzsinn, umso stressresistenter ist man nach Antonovsky.
Text Lars Gabriel Meier
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