Ist das Konzept des Gentlemans noch zeitgemäss? Und was macht den modernen Gentleman aus? Dies und mehr hat «Fokus» Knigge-Expertin Marlies Smits gefragt und hier für die Leserschaft festgehalten.
Gemäss Duden bezeichnet der Begriff «Gentleman» einen «Mann von Anstand, Lebensart und Charakter». Ursprünglich war dieser Begriff jedoch nur einigen wenigen vorbehalten, nämlich den Adligen. Mit der Zeit kamen auch weitere Kriterien dazu und jenes des noblen Bluts begann an Bedeutung zu verlieren. So wurde beispielsweise auch Wert auf eine gute Bildung oder gewisse ethisch-moralische Standards gelegt. Aber auch Kriterien wie Beruf, ein gepflegtes Äusseres oder ein gewisses Mass an «Lebenskunst» wurden allesamt schon zur Definition des Gentlemans herangezogen.
Der Gentleman – eine vom Aussterben bedrohte Spezies?
Gefühlt hört man heute weniger und weniger den Begriff «Gentleman», zumindest nicht in Bezug auf jüngere Personen. Dieser Ansicht ist auch Knigge-Expertin Marlies Smits – es gäbe aber auch schlicht zu wenige Vorbilder für die Jungen. Gefragt nach Beispielen für berühmte Gentlemen, also Vorbilder, meint sie: «Das Ganze ist immer eine Gefühlssache – für mich kommt ein Gentleman ohne grosse Gesten aus, sondern benimmt sich ganz selbstverständlich so. Er stellt andere Menschen in den Mittelpunkt und nimmt sich selbst etwas zurück. Sean Connery war für mich der Inbegriff des Gentlemans.»
Das Konzept des Gentlemans ist äusseren, gesellschaftlichen Einflüssen unterworfen. In der heutigen Zeit, speziell in gesellschaftlicher Hinsicht, könnte man meinen, das Konzept «Gentleman» sei eventuell veraltet, vielleicht gar nicht mehr angebracht – manche Frauen sehen es beispielsweise gar nicht gerne, wenn man ihnen die Tür aufhält. «Für mich ist das Konzept des Gentlemans aber ein zeitloses», meint die Expertin, «denn im Grunde genommen ist das nicht geschlechtsspezifisch zu sehen – auch wenn das weibliche Pendant die Lady ist – für mich ist das eine Frage der Einstellung.»
Gentleman sein – damals und heute
Der oldschool Gentleman hat sein Benehmen so von Kindesbeinen an gelernt, für ihn gehörte es sich einfach so – das waren damals die Erwartungen der Gesellschaft an die Männer. «In den 50er-Jahren zum Beispiel war ganz klar das ein Mann sich in einer bestimmten Weise einer Frau gegenüber zu verhalten hatte. Das hatte auch mit den Geschlechterrollen zu tun», erläutert Marlies Smits.
Im Gegensatz dazu, unterscheiden moderne Gentlemen nicht zwischen Mann und Frau: «Ein moderner Gentleman ist – in meiner Wahrnehmung – frei von Geschlechterdenken. Er geht auch viel natürlicher mit sich selbst und anderen Personen um – das Ganze ist nicht mehr so gestelzt», so die Knigge-Expertin. «Ein Beispiel aus meinen Seminaren: Viele ältere Männer haben immer noch verinnerlicht, dass man als Gentleman die Frau zuerst begrüssen muss. Das stellt sich heute aber anders dar. Ein moderner Gentleman kümmert sich um die Situation – es geht ihm darum, dass sich alle gut fühlen in seiner Gesellschaft, egal ob Mann oder Frau. Dazu gehört ein reflektiertes Verhalten und nicht ein ‹ja das gehört sich einfach so für einen Gentleman›!»
Die wichtigsten Eigenschaften von Gentlemen sind Souveränität, Empathie und Taktgefühl. Der Gentleman ist sich seiner Verantwortung der Gesellschaft und den Menschen im Umfeld gegenüber bewusst und benimmt sich entsprechend. Doch auch Humor und Gelassenheit zeichnen ihn aus. «Der normale Mann unterscheidet sich vom Gentleman in der Einstellung: Der Gentleman nimmt sich zurück und weicht bewusst vom Mainstream ab – das ist teils Entscheidung, teils naturgegebene Persönlichkeit meiner Einschätzung nach», führt Marlies Smits aus.
Das Äussere: So stylt sich ein Gentleman
«Ein Gentleman kleidet sich unaufgeregt: Modisch, aber nicht provozierend. Ein gepflegtes Erscheinungsbild ist selbstverständlich. Ein Gentleman legt Wert auf hochwertige Kleidung und Accessoires – Fast Fashion und Wegwerfmode ist nichts für einen Gentleman. Lieber kauft er eine hochwertige, zeitlose Sache als fünf preiswerte Dinge. Der Stil ist daher eher klassisch und der Modeanteil spiegelt sich hauptsächlich in den Accessoires wider», weiss die Expertin. Bei der Körperpflege geht es in eine ähnliche Richtung: Alles was übertrieben ist – wie zum Beispiel kahlrasierte Schläfen oder ein langer Vollbart – ist nichts für Gentlemen. Müsste man den Gentleman in Sachen Äusseres in einem Wort beschreiben, so wäre dies das «Understatement».
Das Innere: Was ein Gentleman weiss
Ein Gentleman verfügt über eine gute Allgemeinbildung. Doch: «Man muss kein Universal-Experte oder ein wandelndes Lexikon sein, sondern vielmehr ein breitgefächertes Wissen aufweisen. Man sollte über viele Bereiche des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens so ein bisschen was wissen», so Knigge-Expertin Smits. Das alles vor dem Hintergrund, ein angenehmer Zeitgenosse und Gesprächspartner zu sein. Denn zur Bildung gehört für die Expertin auch die Fähigkeit, ein guter Smalltalker zu sein: «Wenn ich mich dann mit anderen Menschen unterhalte, dann beginne ich vielleicht beim Wetter, habe dann aber eine Bandbreite von Themen, über die ich mich austauschen kann. So kann ich auch jeden dort ‹abholen›, wo sich diese Person wohlfühlt – sprich ich finde mit jedem ein Gesprächsthema.»
Erste Assoziation mit Gentlemen – die Manieren
«Gerade beim Thema Gentleman sein, fallen dann ganz vielen Menschen Dinge ein wie die Tür aufzuhalten oder Begleit- und Begrüssungsregeln. Ein Gentleman ist hilfsbereit und aufmerksam – egal ob Mann oder Frau», weiss Marlies Smits und gibt ein Beispiel: «Gehe ich durch eine Tür, achte ich darauf, ob hinter mir jemand kommt, sodass ich dieser Person nicht die Tür vor der Nase zuknalle.» Die Manieren sind sehr wichtig für einen Gentleman, doch ein viel zu weites Feld, um hier im Detail zu erläutern. Es gibt unzählige Dinge zu wissen: «Schon allein über die Tischsitten könnte man sich stundenlang unterhalten!», so die Knigge-Expertin.
Text: Patrik Biberstein
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