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Deutschland Energie Mobilität

Der neue Block-Verkehr

13.07.2022
von Rüdiger Schmidt-Sodingen

Der Verbrenner ist fertig, das Mobilitätsverhalten ändert sich. Das bedeutet neben neuen Autos und Sharing-Konzepten auch eine Wiederbelebung der Städte. 

Margret Rettich sah es in ihrem Bilderbuch »Zinnober in der grauen Stadt« 1973 voraus. Die schmutzigen Städte mit ihren riesigen Fabrikschloten und rauchenden Autos werden sich verändern. Vielleicht nicht durch ein paar Kinder, die endlich mehr Farbe wollen und damit einen bis dato auf Graufarben spezialisierten Malermeister bekehren, sondern durch ein neues Umweltbewusstsein und Mobilitätsverhalten und eine neue Technik.

2019 formulierte die mittlerweile aufgelöste Coalition for Urban Transitions klipp und klar: Der Kampf ums Klima wird in den Städten gewonnen oder verloren werden. Und tatsächlich passiert nun einiges. Dort, wo früher vor allem Durchgangs- und Einkaufsstraßen um Autos herumgebaut wurden, sollen Menschen nicht nur als Passanten oder Kunden kurz vorbeiziehen, sondern wieder bleiben und wohnen. Die Corona-Krise hat Shopping-Meilen leergefegt und die Grün- und Erholungszonen – und damit Live-Kommunikationsplätze – zurück in den Fokus gerückt. Gleichzeitig hat sich am globalen Trend der Urbanisierung und einer immer älteren Bevölkerung wenig bis gar nichts geändert. 

Maitreyi Bordia Das, Praxismanagerin der Weltbank, schrieb im Juni gemeinsam mit ihren Kolleginnen Yuko Arai und Yoonhee Kim in China Daily: »Während die gleichzeitige Alterung und Urbanisierung von vielen als Herausforderung angesehen werden, können die beiden Trends mit der richtigen Politik eine Chance bieten. Der Schlüssel dazu liegt darin, die Städte fit für eine alternde Bevölkerung zu machen.« In einer solchen altersgerechten Stadt müssten sich auch die Infrastrukturen neu erfinden. Das Weltbank-Trio wirbt folglich für gezielte Investitionen – private wie öffentliche. 

Während die Roller-Dienste die Städte mit ihren Elektrorädern fluten, bahnt sich im Hintergrund eine stille Sharing-Revolution bei der Nutzung einigermaßen geschlossener Automobile an. Die Jugend will nicht mehr kaufen, aber trotzdem fahren. Abo-Modelle sind bereits da. Das Auto wird ganz praktisch als temporäres Fortbewegungsmittel gesehen – und nicht mehr als Statussymbol. Gewünschte Ziele sollen kurzfristig mit den jeweils verfügbaren, fahrbaren Untersätzen erreicht werden. Die Frage »Kannst du mich fahren« wird dank App-Nutzung nicht mehr nur im Freundes- oder Familienkreis gestellt, sondern zielt auf ganze Blocks oder Stadtteile.   

Die »Silver Economy« verändert die grüne Mobilität auch dahingehend, dass sich ältere Menschen anders in ihrer Umgebung und Stadt bewegen möchten. Sie wollen festere, nähere Beziehungen zu Geschäften oder Treffpunkten pflegen und dazu regelmäßig Freunde und Familien besuchen. Und sie können sich kurze Fahrten auf E-Mobilen zwar selbstgesteuert, aber längere Fahrten lieber in Gemeinschaft, also als Beifahrer, vorstellen.  

Das Reset der Städte als Zusammenschluss vieler kleiner oder mittelgroßer Quartiere wird einmal das Klischee des »Molochs Großstadt« auflösen, andererseits aber auch ein neues Miteinander befördern. Viel ist noch möglich, wenn Sharing- und nachbarschaftliche Kooperationsmodelle richtig zu Ende gedacht werden. Und natürlich können Einzelpersonen auf eigene Faust weiterhin ein klassisches, 100 Prozent grünes Mobilitätsmodell entdecken. Das Zufußgehen. 

Text Rüdiger Schmidt-Sodingen

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