Für Daniel Ernst ist die Natur die aufregendste Kulisse. Am liebsten erspäht der Landschaftsfotograf Details im vermeintlich grenzenlosen Nichts des Nordens. Mit seiner Arbeit will er auch zum Schutz dieses fragilen Lebensraums beitragen.
Daniel Ernst, was möchten Sie mit Ihrer Arbeit als Landschaftsfotograf erreichen?
Meine Arbeit soll enthüllen, wie zerbrechlich, geradezu sensibel die arktische Umgebung doch ist und was Klimaschutz eigentlich schützen möchte. Wer die Polarregion noch nie gesehen hat, kann schwer begreifen, warum wir sie schützen müssen. Gleichzeitig möchte ich den Menschen eine Möglichkeit geben, ihrem Alltag zu entfliehen. Sie sollen Dinge sehen, die sie selbst nicht zu Gesicht bekommen. Dies ist stets mit der Möglichkeit verbunden, dass diese Sinneseindrücke sie dazu inspirieren, den Blick nach Norden zu richten – und mal nicht nach Italien in den Urlaub zu fahren.
Was genau fasziniert Sie so am Norden?
Der Norden zeigt sich ruhig und – wer hätte es gedacht – eisig kalt. Auf der letzten Reise meiner Frau und mir waren es minus 30 Grad, der Wind wirbelte Schneekristalle in der Luft umher, während es so still war, dass ich meinem Herz beim Klopfen lauschen konnte. In Europa kennen wir diese Ruhe nicht. Hier gibt es immer Hintergrundgeräusche: Vögel singen und Autos brummen, es summt, klirrt und rauscht. Doch bei unserer letzten Reise in Finnmark gab es ringsum nur uns. In dieser riesigen Landschaft habe ich bemerkt, wie klein und unbedeutend wir Menschen doch sind – ein Gefühl von Demut breitete sich in mir aus. Wir waren umgeben vom Sturm, der Kälte und dem weiten Nichts – auch kein Handyempfang. Um Nachrichten senden zu können, stapften wir auf einen nahe gelegenen Hügel. Die Kälte ist bis ins Innerste des Körpers eingedrungen. Als Europäer:innen sehen wir das Wetter meistens als Gegner, schaufeln den Schnee weg, enteisen die Stufen und beim sogenannten Unwetter verlassen wir das Haus am liebsten nicht. Doch da oben im Norden ruht der Schnee – und man freundet sich mit ihm an.
Ich lasse mich gerne treiben. Wer überplant, riskiert, dass die Zeit es nicht erlaubt, den Gipfel nebenan zu besteigen, auch wenn dieser die schönere Aussicht bereithält.
Was können Sie jemandem mitgeben, der auf der Suche nach einem Outdoor-Erlebnis ist?
Entschuldigungen, warum wir etwas nicht tun können oder sollten, haben wir schnell parat. Die effektivste Methode dagegen ist, Dinge nicht tot zu denken und einfach zu machen. Also nicht auf das perfekte Wetter oder den perfekten Zeitpunkt warten, sondern gleich die Schuhe bereitstellen und losmarschieren. Die negativen Gedanken dürfen erst gar nicht genügend Zeit erhalten, um sich breitzumachen. So würde ich heute nicht beruflich Landschaften fotografieren, wenn ich mich 2014 nicht so blauäugig in meinen Neuseelandtrip gestürzt hätte. Märchenhafte Wälder mit über 1500 Jahre alten Kauri-Bäumen, Wellen, die mit voller Wucht auf die Küste einschlagen, und Berge, deren Gipfel so greifbar nah sind. Es ist schwer, ein schlechtes Bild der Landschaft Neuseelands zu knipsen (lacht). Bevor ich nach Neuseeland reiste, war ich ein anderer Mensch. Ich mochte es, Städte wie Hongkong zu dokumentieren und bin bis dato nie alleine campen gegangen. Ich habe mich vorbereitet, indem ich YouTube-Videos geschaut habe, um mir so das wichtigste Wissen über das Leben im Zelt anzueignen. Und bevor mich etwas aufhalten konnte, befand ich mich in Neuseeland.
Gab es auch bei Ihnen Gedanken, die Sie davon abhalten wollten, das Abenteuer weiter zu verfolgen?
Die gibt es immer – auch bei mir (lacht). Doch man darf sich nicht unterkriegen lassen. Vor fünf Jahren haben Ärzte bei mir die Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose festgestellt. Da stand ich mit der Diagnose einer unheilbaren Krankheit vor der Frage, wie es weitergehen soll. Negative Aspekte der Krankheit gibt es zu Genüge, doch habe ich gelernt, dass man gewisse Umstände einfach akzeptieren muss. Ich zog es in Erwägung, die Selbstständigkeit für einen sicheren Job aufzugeben, doch habe ich mich auch in diesem Fall nicht von der vermeintlichen Sicherheit blenden lassen. Auf dem bequemsten Weg würde ich keine Erfüllung finden. Doch es gibt immer einen anderen Pfad, der es vermag, einen zum Glück zu führen. Die Krankheit ist meine Gedächtnisstütze dafür, dass weder Angst noch Stress etwas Gutes im Körper und Geist anrichten und die Ruhe Kraft mit sich bringt.
Sie nennen es eine vermeintliche Sicherheit. Ist Sicherheit eine Illusion?
Auf jeden Fall ist Sicherheit menschgemacht. Sicher ist man genau so lange, bis man es eben nicht mehr ist. Wie sicher etwas ist, muss jeden Tag neu bewertet werden, was der Vorstellung einer langfristigen Sicherheit widerspricht. Meine Gesundheit war garantiert, gegeben quasi. Am Tag darauf kam die Diagnose und meine gesundheitliche Sicherheit war weg. Dasselbe mit einem festen Job: Eine Firma kann Konkurs gehen, Kündigungen schreiben oder die Arbeit könnte einem auf lange Sicht schaden. Sicherheit ist kein permanenter Zustand, viel eher beschreibt sie eine Momentaufnahme, eine Realität, die morgen bereits anders sein könnte. Diese Erkenntnis lässt mich Dinge machen, die ich sonst nicht tun würde. Und ich glaube, das sollten wir alle.
Kann eine Reise nur zum Abenteuer werden, wenn man auf Pläne verzichtet?
Ich lasse mich gerne treiben. Wer überplant, riskiert, dass die Zeit es nicht erlaubt, den Gipfel nebenan zu besteigen, auch wenn dieser die schönere Aussicht bereithält. Das Abenteuer eröffnet sich denjenigen, die entstehende Ideen abwarten und diese dann auch verfolgen. Diese Menschen lassen es darauf ankommen, wen sie auf ihrer Reise treffen werden. Auf diese Weise können sie das Erlebnis rufen hören und der Stimme folgen.
Sie haben erwähnt, dass Sie sich vor 2014 gerne in Städten aufgehalten haben. Kam das Interesse an der Natur erst danach?
Nein, ich bin in einem Dorf aufgewachsen, einem Haus gleich neben einem Wald und war schon immer naturverbunden. Auch wenn ich damals den Wald noch mit anderen Gedanken durchquerte. Es war für mich einfach ein Wald, doch ob Eiche oder Buche, nun ja, es war ein Baum. Zu der Zeit hatte der Wald für mich keine tiefere Bedeutung. Heute könnte ein Tag kaum besser starten, als mit meinem Hund durch den Wald zu spazieren. Der Wald beruhigt mich und bringt mich in Einklang mit mir selbst. Es ist spannend, denn je länger ich hinhöre, desto mehr Geräusche entlocke ich dem Wald. Und plötzlich zirpt, knistert, zwitschert und summt es ringsherum. Um sich mit der Natur zu verbinden, muss es nicht der höchste Berg oder der einsamste Pfad sein. Zwei Stunden in den Wald gehen, das Handy zu Hause lassen und einfach dem Wind lauschen – mehr braucht es nicht. Aber das Fotografieren hat mich dahin getrieben, dass ich immer nach Ecken suche, an denen noch niemand war und keiner ist. Ich weiß die Natur inzwischen so sehr zu schätzen, dass ich kaum freiwillig in die Innenstadt fahren würde.
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