Interview von Marlène von Arx

Piers Taylor: «Von CO2-neutralem Bauen sind wir noch meilenweit entfernt»

Der Star-Architekt spricht im Interview über sein Haus, zeitgenössische Architektur und Versäumnisse der Vergangenheit.

Holz, Glas oder Beton? Star-Architekt Piers Taylor, bekannt aus der Netflix-Serie «The World’s Most Extraordinary Homes», über klimafreundliches Bauen, die Versäumnisse von Le Corbusier und was für ihn ein Haus zu einem Zuhause macht.

Piers Taylor, Sie leben mit ihrer Familie im Haus Moonshine an einem Waldrand in der Nähe von Bath im Südwesten Englands. Was macht für Sie ein Haus zu einem Zuhause?

Ich brauche die Verbindung zur natürlichen Umgebung und bin gerne so ausgerichtet, dass ich die letzten Sonnenstrahlen des Tages und die ersten des Morgens mitbekomme. Der Zyklus des Tages erinnert mich daran, was es heisst, Mensch zu sein. Dazu bevorzuge ich grosse multifunktionale Räume anstatt kleine, die eine spezifische Nutzungsvorgabe haben. Korridore und Türen mag ich nicht. Als ich als Student zur Miete wohnte, nahm ich immer zuerst die Türen ab. Später riss ich dann auch noch die Wände raus.

Grosse Räume und keine Türen: Sind Sie bereits mit so viel Freiraum aufgewachsen?

Nein, meine Mutter war eine sehr gute Innendekorateurin und hyper-kontrollierend, wie wir den Platz brauchten. Wir hatten formale Räume, die man zu bestimmten Tageszeiten benutzte oder wenn gewisse Leute zu Besuch kamen. Für mich war klar: Meine Kinder sollten nicht in so einem Haus aufwachsen. In unserem Ferienhaus in Griechenland ist der ganze obere Stock ein Raum, in dem wir kochen, essen, herumhängen und die Kinder Fussball spielen.

Worauf muss man 2023 besonders achten, wenn man ein Haus baut oder umbaut?

Architektur soll effizient und clever, aber nach wie vor auch entzückend sein. Wir brauchen Wohnräume, die inspirierend und aufbauend sind, damit wir unser bestes Leben leben können. Natürlich darf man dabei Fragen der Ventilation, des Kühlens und Heizens aber nicht vergessen.

Worauf muss man konkret achten?

Ein Beispiel: Alle lieben eine schöne Aussicht, aber man kann auch zu viel Glas haben. Das beste Glas ist auch heute nur zu zehn Prozent so effizient wie eine gute Mauer. Vor 20 Jahren sprach niemand über luftdichte Isolation und heute haben wir undichte Häuser, bei denen man nicht kontrollieren kann, wie viel Luft rein- und rausgeht. Das ist sicher etwas, das man gerade auch in der Schweiz beachten muss.

Sie haben Ihr Eigenheim Moonshine neuen Erkenntnissen angepasst. Wo mussten Sie umdenken?

Ich glaubte, ich wollte in den Baumwipfeln schlafen, aber dann realisierte ich, dass ich eigentlich nicht im Baum mit Wind um mich herum kampieren, sondern mich geschützt fühlen wollte. Nun habe ich Fenster, aber keine Glasschiebetüren auf beiden Seiten mehr, die im englischen Klima auch keinen Sinn machen. Die Temperatur lässt sich nun besser kontrollieren. Wir nehmen dafür in Kauf, dass der Raum im unteren Stock mit viel Glas kühler ist im Winter, weil wir mit der Natur in Verbindung bleiben wollen.

Die Sommer werden heisser und auch in unseren Breitengraden kann man auf Klimaanlagen bald nicht mehr verzichten. Oder wie sehen Sie das?

Das ist verrückt. Unser Haus in Griechenland hat keine Klimaanlage und wir benötigen auch keine, weil wir Brise, Schatten und Wärmekapazität nutzen. Eine Klimaanlage ist nicht nur umweltschädlich und teuer, sondern auch nicht clever. Das Schlimmste ist wohl ein versiegeltes, nach Südwesten ausgerichtetes Gebäude mit Klimaanlage.

Sind begrünte Gebäude die Lösung – vor allem in der Stadt?

Begrünung ist sicher gut fürs Wohlbefinden. Der Mensch sehnt sich nach Grünem und fühlt sich besser, wenn er eine Verbindung zur Natur hat. Das beweisen Studien. Stadtparks sind noch oft Monokulturen – also eine Grasfläche mit ein paar Bäumen. Städte würden enorm von schattenspendenden und kühlenden Bäumen und Pflanzen profitieren. Grünzeug in dicht besiedelten Städten gehört daher in jeden Planungsentwurf.

Baumaterialien wie Beton sind grosse Klimasünder und auch Holz mit seinen umstrittenen Nachhaltigkeitslabels löst nicht alle Probleme. Sind die Materialien derzeit die grösste Herausforderung für die Architektur?

Tatsächlich hat sich in den letzten 20 Jahren der CO2-Fussabdruck eines Gebäudes zulasten der Materialien verändert: Früher kamen 80 Prozent des CO2-Fussabdrucks über die Lebensspanne eines Gebäudes vom Heizen und Kühlen und 20 Prozent von den Baumaterialien. Jetzt ist es umgekehrt. Wir heizen heute dank Baugesetzen effizienter. Aber von CO2-neutralem Bauen sind wir noch meilenweit entfernt. Das meist verwendete Material nach Wasser ist Beton. Es zu eliminieren ist nahezu unmöglich. Zwar verbraucht Beton pro Kilo verglichen mit Stahl, Aluminium oder Glas relativ wenig Energie, aber die schiere Masse ist das Problem. Für Fundamente, Bodenplatten, Brücken müssen wir immer noch Beton verwenden. Immerhin: Es gibt inzwischen Zement-Ersatz wie ggbs, der weniger Energie verbraucht.

Ist Holz das Baumaterial der Zukunft?

Holzgebäude können sehr nachhaltig, dauerhaft und feuerresistent sein. In Russland gibt es 800 Jahre alte Holzgebäude. Mit den neuen Holztechnologien könnte man selbst achtstöckige Gebäude bauen. Holz ist für ein nachhaltiges Bauen also sehr wichtig. Aber Holz gibt es nicht überall.

Der Schweizer Star-Architekt Jacques Herzog von Herzog & de Meuron sagt, die Zeit der ikonischen Gebäude sei vorbei. Spielt der Look heute keine grosse Rolle mehr?

Wie gesagt: Architektur soll Freude machen und inspirieren. Aber Architekt:innen tragen heute auch eine grosse Verantwortung, denn schlecht entworfene Gebäude schaden über viele Jahre. Den reichen Kunden ist heute wichtig, dass sie energieeffizient bauen. Das sollte auch das Mainstream-Mantra sein. Der Stirling Architektur Preis 2019 ging an ein kostengünstiges Grossvolumen-Wohnprojekt. Ich glaube also nicht, dass wir zu einer Zeit wie dem Mid-Century-Modernismus zurückkehren, bei der es nur um Raumdarstellung ging. Ich liebe die Gebäude von Le Corbusier und Mies van der Rohe, aber sie performen unglaublich schlecht. Das Farnsworth House von van der Rohe war immer undicht, genauso wie die Villa Savoye von Le Corbusier. Aber es waren aussergewöhnliche Gebäude im Kontext ihrer Zeit.

In Ihrer Netflix-Show «The World’s Most Extraordinary Homes» wurde ein Haus in der Schweiz als Bond-Bösewicht-Villa beschrieben. Kommen solche Gedanken zum Zug, wenn Sie ein Projekt annehmen oder ablehnen?

Das ist eine interessante Frage. Ich lehne Projekte oft ab. Letztlich muss man mit einer Bauherrschaft zusammenarbeiten können. Ausschlaggebend ist also weniger das Gebäude als der Auftraggeber oder die Auftraggeberin. Mittlerweile kann ich im Voraus erahnen, wie sich das Verhältnis entwickeln wird.

Arbeiten Sie bald wieder an einer neuen TV-Show?

Ja, es ist wieder eine internationale Show von der BBC in Arbeit. Es wird darum gehen, wie man sparsam, aber reich an Schönheit leben kann.

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29.08.2023
von Marlène von Arx
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