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Karriere

Schritt für Schritt in die Selbstständigkeit

21.04.2021
von Kevin Meier

Freie Mitarbeitende, Freelancer, Angestellte, Selbstständige. Das sind nur einige Worte, um die vermeintliche Vielzahl an Arbeitsformen zu beschreiben. Aber wie gestaltet sich die Selbstständigkeit in der Schweiz? Und wie kann man mit einem selbstständigen Erwerb Fuss fassen?

Ein Überblick über verschiedene Arten der Arbeitsverhältnisse und eine Betrachtung der Selbstständigkeit scheinen auf den ersten Blick geradlinige Vorhaben zu sein. Zum Beispiel lässt sich feststellen, dass die Selbstständigkeit in der Schweiz einen Abwärtstrend aufweist. Laut dem Bundesamt für Statistik BFS waren 2017 mit 12,8 Prozent weniger Erwerbstätige im Haupterwerb selbstständig als 1996 mit 14,7 Prozent. Dies scheint auf eine geringere Anzahl an reinen Selbstständigerwerbenden zurückgehen, deren Anteil im selben Zeitraum von 11 auf 8,1 Prozent sank. Diese Statistiken geben einen Einblick in den Schweizer Arbeitsmarkt und seine Arbeitsverhältnisse, aber die Realität ist ungleich komplexer.

Die Frage der Definition

Um Licht ins Dunkel zu bringen, muss man zunächst einige Definitionen klären. Wie man das Arbeitsverhältnis schlussendlich nennen möchte und ob dabei englische oder deutsche Begriffe zum Zuge kommen, ist für den Anfang zweitrangig. «Eine wichtige Unterscheidung gibt es zwischen Selbstständigkeit im Haupterwerb und Mehrfacherwerbstätigkeit. Denn letzteres beinhaltet viele mögliche Schattierungen», sagt Marco Salvi, Arbeitsmarktspezialist beim Thinktank Avenir Suisse. Unter die Mehrfacherwerbstätigen fallen zum Beispiel all jene, die für mehrere Jobs angestellt sind. Auch im Haupterwerb Angestellte und im Nebenerwerb Selbstständige gehören zu dieser Kategorie. 

Dieses Phänomen ist insofern interessant, da hier eine starke Zunahme in den letzten 25 Jahren verzeichnet wurde. Das BFS liess verlauten, dass 2017 mittlerweile 7,6 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung einer mehrfachen Beschäftigung nachgingen. Im Jahr 1991 waren es deren erst 4,0 Prozent. Die Mehrfacherwerbstätigkeit ist ein Phänomen, das in der Schweiz zunehmend an Bedeutung gewinnt, auch im Kontext der Selbstständigkeit. Denn laut Salvi ist darin ein überdurchschnittlicher Anteil – rund 20 Prozent – an im Nebenerwerb Selbstständigen zu finden. 

Die Arbeitsverhältnisse im Schweizer Recht

Unabhängig der vielen teilsynomymen Begriffe kennt das Recht in der Schweiz nur zwei Arten von Arbeitsverhältnissen: selbstständige und unselbstständige Erwerbstätigkeiten. Ob man sich in einem Angestelltenverhältnis befindet, entscheidet die jeweilige Ausgleichskasse im Einzelfall. Massgebend für diese Beurteilung sind ausschliesslich die wirtschaftlichen, nicht die vertraglichen, Verhältnisse. Wie man die Erwerbstätigkeit selbst deklariert, hat also keinen Einfluss. Besonders für Arbeitgebende ist das zu beachten, da eine nachträgliche Findung einer Selbstständigkeit zu Kosten in Form von Sozialversicherungsnachzahlungen für das Unternehmen führen kann. Um sogenannte Scheinselbstständigkeiten zu vermeiden, empfehlen sich die Checklisten zur Selbstständigkeit der Ausgleichskassen, damit man sich ein besseres Bild der eigenen Erwerbstätigkeit machen kann. 

Ein neuer Status könnte helfen

2017 hat die Avenir Suisse den Wandel des Schweizer Arbeitsmarkts durch die Digitalisierung analysiert und die Studie «Wenn die Roboter kommen» veröffentlicht. Darin wird ein neuer Status des Arbeitsrechts vorgeschlagen: die selbstständigen Angestellten. «Der Punkt des Status war, dass man von gewissen Beiträgen befreit wäre. Beispielsweise entrichtet man nicht die Arbeitslosenversicherung, wird aber in der zweiten Säule wie Angestellte behandelt. Zudem würde die Einteilung des Status selbst gewählt werden und nicht von den Behörden», erklärt Salvi. Ziel war es, die Entwicklungen und die daraus entstehenden Bedürfnisse zu antizipieren und bereits eine Diskussion über mögliche Lösungsansätze anzustossen. Denn zurzeit wäre es für einen solchen Status noch zu früh. Laut Salvi sei es noch nicht so dringend: «Der Aufwand und die Komplikationen einer Einführung sind derzeit grösser als deren Nutzen.» Wenn die Entwicklung der Mehrfachserwerbstätigkeit aber so weitergehen sollte, könne es nötig werden, das Arbeitsrecht den neuen Bedürfnissen anzupassen. 

Ein Phänomen des globalen Nordens

Intuitiv könnte man annehmen, dass die Mehrfacherwerbstätigkeit von Armut bedingt ist. Diese Wahrnehmung greift aber zu kurz. «International scheint es eher ein Phänomen von Volkswirtschaften mit hohem Wohlstandsniveau zu sein», betont Salvi. National gesehen bestätigt sich dieser Eindruck genauso wenig. Laut BFS finden sich Mehrfacherwerbstätigkeiten vor allem im Dienstleistungssektor und die Mehrheit der Mehrfacherwerbstätigen sind weiblich, hochqualifiziert und zwischen 40 und 64 Jahren. Auch das Kriterium der Löhne lässt sich nicht als Bestätigung des Eindrucks herbeiziehen, führt Salvi aus: «Die Aufteilung des Einkommens ist bei den Mehrfacherwerbstätigen ähnlich wie im Gros der Bevölkerung. Es ist also kein prekärer Bereich mit tiefen Löhnen.»

Selbstständiger Nebenerwerb als Tor in die Selbstständigkeit

Selbstständigkeit im Haupterwerb ist nachweislich mit höheren Risiken verbunden. Neben dem wirtschaftlichen Risiko sind insbesondere die Angelegenheiten mit den Sozialversicherungen und Pensionskassen herausfordernd. Im Haupterwerb angestellt zu sein und im Nebenerwerb einer selbstständigen Tätigkeit nachzugehen, kann aus diesen Gründen von Vorteil sein. «Ein Angestelltenverhältnis im Haupterwerb deckt bereits die zweite Säule ab», stimmt Salvi zu. 

Der selbstständige Nebenerwerb kann eine Strategie sein, um sich an eine vollständige Selbstständigkeit heranzutasten. Trotzdem sollte man einen selbstständigen Nebenerwerb gut vorbereiten: Versicherungen, Konkurrenzverbot, Arbeitszeiten und die Gefahren einer Scheinselbstständigkeit müssen zuerst eingehend geklärt werden.

Text Kevin Meier 

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