Die Strassen der Schweizer Grossstädte sind violett gefärbt. Tausende Menschen sind auf den Plätzen und Gassen unterwegs. Protestplakate zeigen Forderungen und Hoffnungen für den Wandel zu einer gerechteren Welt auf: Es ist Frauenstreik. Der seit 2019 jährlich am 14. Juni stattfindende Streik führt einem klar vor Augen, dass es beim Thema Gender Equality noch einiges zu tun gibt. Aber worum geht es eigentlich?
Kernpunkt der Diskussion in der Gesellschaft ist die immer noch vorherrschende Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen. Das durchschnittliche Einkommen der Frauen liegt 43,2 Prozent unter dem der Männer. Grund dafür ist laut dem schweizerischen Gewerkschaftsbund die Tatsache, dass Frauen in schlecht bezahlten Stellen übervertreten sind. Interessant ist aber auch, dass laut dem Eidgenössischen Gleichstellungsbüro beim Vergleich der Durchschnittslöhne zwischen Mann und Frau ein Unterschied von 18,3 Prozent existiert. Genauer betrachtet sind von diesem Unterschied 55,9 Prozent erklärbar. Sprich, es gibt einen Ausbildungs-, Anforderungs- oder Dienstjahresunterschied. Dies bedeutet aber auch, dass 44,1 Prozent der Unterschiede nicht begründet sind. Eine Tatsache, die unter dem Gleichstellungsgesetz, welches 1996 in Kraft trat, so nicht existieren dürfte. Kritisiert wird ebenfalls, dass das tiefe Einkommen von Frauen auch darauf zurückzuführen ist, dass sie mehr unbezahlte Arbeit, sprich Betreuungs- und Haushaltsarbeit, leisten als Männer. Der Wechsel zur Teilzeitarbeit ist hier für viele Frauen die einzige Lösung, um Arbeit und Haushalt unter einen Hut zu bringen. Begründung dafür ist auch der Mangel an familienergänzender Kinderbetreuung in der Schweiz. Im europäischen Vergleich hinkt die Schweiz hier stark hinterher. Oder klarer ausgedrückt, die Schweiz ist auf Platz 38 von 41 Ländern im europäischen Vergleich.
Die Frau als Chef
Der zweite Punkt ist die Frau in einer Führungsposition. Oder besser gesagt, das Fehlen der Frau in der Führung. Bei der Untersuchung dieses Sachverhalts können gewisse Tatsachen beobachten werden: Von zehn Frauen in Führungspositionen haben nur drei Kinder. Führungsarbeit und Teilzeitpensum, auf das viele Frauen angewiesen sind, lässt sich offenbar schwer finden. Beförderungen in höhere Führungspositionen finden meisten im Alter von 31 bis 40 statt. Genau in diesem Zeitraum fahren die meisten Frauen ihr Pensum zurück. Auch ist die gläserne Decke in der modernen Arbeitswelt weiterhin vorhanden. Bei den 200 grössten deutschen Unternehmen sind nur 14,7 Prozent der Vorstandsmitglieder Frauen.
Eine Tatsache, die unter dem Gleichstellungsgesetz, welches 1996 in Kraft trat, so nicht existieren dürfte.
Dies besagt eine Statistik des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW). Psycholog:innen sehen das Problem darin, dass eine männerdominierte Chefetage eher Männer einstellt. Dies aus dem einfachen Grund, dass auf dieser Stufe das Beziehungsnetzwerk hauptsächlich aus Männern besteht. In der Schweiz ist dies in der Finanz- und Versicherungsbranche am häufigsten zu beobachten. Laut einer Studie der Universität St. Gallen sind in diesen Sektoren im unteren Kader 31 Prozent der Angestellten Frauen. Im oberen Kader sind es hingegen nur noch 16 Prozent. Anders sieht es in der MEM-Branche (Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie) aus. Hier ist der Anteil an Frauen mit 19 Prozent im unteren und 16 Prozent im oberen Management ausgeglichener.
Nach der Arbeit ist vor der Arbeit
Dritter wichtiger Punkt ist die finanzielle Absicherung im Ruhestand. Laut einer Studie der UBS ist Altersvorsorge für 75 Prozent der befragten Frauen ein langfristiges Finanzbedürfnis. Verständlich, da durch Erwerbsunterbrüche und Teilzeitarbeit durch eine Mutterschaft bei vielen eine Lücke in der Vorsorge entsteht. Hier scheitern die Mittel des Staates wie AHV und Pensionskasse klar. Sobald die erwerbstätige Frau in ein Teilzeitpensum wechselt oder sich eine Auszeit nimmt, zahlt sie weniger Beiträge in die zweite Säule ein. Ab Beginn der Pensionierung erhält die Frau durchschnittlich 1200 Franken pro Monat; der Mann hingegen 2300 Franken. Meist müssen dann Ergänzungsleistungen bezogen werden, um ein bescheidenes Leben zu ermöglichen. Und das, obwohl nun bei beiden Geschlechtern das Rentenalter 65 gilt.
Es ist ein langer Weg
Mögliche Lösungen für diese Probleme sind zum Glück vorhanden. Ein Ansatz ist die Ermöglichung von Teilzeitarbeit oder Jobsharing auch in Führungspositionen. So steht der berufliche Aufstieg sowohl Frauen als auch Männern tatsächlich offen. Oder es wird gefordert, dass Bildungsbehörden, Medien und die Regierung Ressourcen nutzen, um schon früh auf geschlechtsspezifische Diskriminierung aufmerksam zu machen. Gleichzeitig sollen Führungsqualitäten unabhängig des Geschlechts gefördert werden. Und es wird vorgeschlagen, mehr positive, nicht-stereotype Rollenmodelle auf den sozialen Medien und in der Werbung zu präsentieren.
Vom Bund aus wurden am 1. Juli 2020 das Bundesgesetz zur Gleichstellung von Mann und Frau revidiert. Hauptänderung war die Einführung einer Pflicht der Arbeitgebenden, alle vier Jahre eine interne Lohngleichheitsanalyse zu erstellen. Unternehmen mit mehr als fünfzig Mitarbeitenden, die eine solche Analyse freiwillig durchführen, können sich in eine öffentliche einsehbare «Weisse Liste» eintragen lassen. Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitenden, die ihrer Pflicht nicht nachkommen, sollen auf einer «Schwarzen Liste» aufgeführt werden. Das Problem ist hier aber, dass die zur Analyse verpflichteten Unternehmen nur 1 Prozent der Arbeitgeber in der Schweiz ausmachen. In diesen Unternehmen arbeiten aber 45 Prozent der Arbeitnehmenden. Bei den anderen 99 Prozent der Firmen ist der unerklärte Anteil an Lohnunterschieden überdurchschnittlich hoch. Die zukünftige Idee ist, die Grenze herunterzusetzen, um mehr Transparenz zu schaffen.
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