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Editorial Innovation Wirtschaft

Wenn die Zukunft ihre Richtung ändert

16.07.2022
von SMA

«Megatrends» – dieses Wort klingt gewichtig, machtvoll, respekteinflössend – eindeutig. Megatrends sind die epochalen Zeitströmungen, die unsere Welt verändern: Tiefgreifend, breitflächig, nachhaltig. Erfunden von John Naisbitt, einem amerikanischen Publizisten, der in den 80er-Jahren zwei Weltbestseller mit dem Titel Megatrends veröffentlichte, machte dieser Begriff eine steile Karriere.  Jede:r Management-Consultant, Journalist:in und Börsenanalytiker:in benutzt heute die Formeln der Megatrends, um auf die Unausweichlichkeit der Zukunft hinzuweisen. Oder einfach etwas zu verkaufen – vielleicht einen strategischen Vorteil. 

Matthias Horx
Trend- und Zukunftsforscher

Was sind die wichtigsten Megatrends? Hier die «Top 4»:  Globalisierung – die Vernetzung aller Wirtschaftsräume. Individualisierung – der soziologische Leit-Trend der Gesellschaftsentwicklung. Urbanisierung – die zunehmende Ver(gross)Städterung der Welt. Und natürlich Digitalisierung, oder auch «Konnektivität»: Alles wird durch das Internet mit allem verbunden und vernetzt: Ideen, Menschen, Informationen, Maschinen, Nationen… 

Aber stimmt das eigentlich alles noch?

Spätestens seit Corona und dem Überfall auf die Ukraine wird deutlich, dass auch Megatrends die Richtung ändern können. Nehmen wir die Globalisierung, dieses Versprechen einer immerwährenden Ausdehnung der Wertschöpfungsketten quer über den Globus. Plötzlich sehen wir vor grossen Welt-Häfen gewaltige Staus von Containerschiffen. Überall fehlen plötzlich Teile: für Bohrmaschinen, Solarkonverter, Wärmepumpen.  Mit fossilem Gas wird Kriegspolitik gemacht, internationale Verbindungen erweisen sich als schreckliche Abhängigkeiten. Das ganze Konzept der Hyper-Globalisierung, die 30 Jahre lang die Weltwirtschaft beherrschte, erweist sich als fragil, als un-resilient.

Jeder Megatrend erzeugt früher oder später einen massiven Gegentrend.

Alles nur vorübergehend? Kehrt bald schon das alte Normal zurück? Von wegen! Was sich hier offenbart, ist eine tiefere Weisheit aller Wandlungs- und Zukunftsprozesse: Jeder Megatrend erzeugt früher oder später einen massiven Gegentrend.

Ständig anwachsende Individualisierung, die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in immer kleinere Lifestyles und Moralgruppen, erzeugt irgendwann eine Sehnsucht nach Konsens und Kollektivität – was sogar die Demokratie gefährden kann.

Ständige Globalisierung führt zu einem Widerstand vieler Menschen, die sich in populistischen und nationalistischen Gegen-Konzepten äussert.

Selbst die Digitalisierung, dieser Gross-Mythos des informationstechnischen Zeitalters, kommt heute an seine Grenzen. Die Tech-Aktien, die zwei Jahrzehnte den digitalen Boom vorantrieben, neigen zum Absturz. Wundersame Zukunftstechnologien wie Metaverse, Bitcoin oder die Allmacht der Künstlichen Intelligenz klingen plötzlich nach Hype. Der digitale Kaiser hat keine Kleider mehr an – und viele Menschen sehnen sich insgeheim nach einer nicht ganz so rasenden, eher wieder analogen Welt…

Ist das das Ende der Megatrends? Zumindest ist es das Ende eines linearen Fortschritts-Mythos, der auf der Formel des «immer mehr» basierte.  Es ist an der Zeit, die wahren Megatrends der Zukunft zu beschreiben: Etwa in Richtung der Glokalisierung – einer neuen Verbindung des Regionalen und Lokalen mit dem Globalen. Oder der Rurbanisierung: Städte werden grüner, organischer, «dörflicher»; ländliche Regionen gleichzeitig kulturell urbanisiert. Wie lassen sich Individualität und Gemeinsinn auf einer neuen Ebene verbinden? Davon hängt unsere gesellschaftliche Zukunft ab!

Eines ist heute schon sicher:  Das Mega-Meta-Thema der kommenden Zeit ist die Neo-Ökologie. Die Versöhnung des Ökonomischen mit Ökologischen, der Technosphäre mit der Biosphäre. Es hat lange gedauert, bis diese grösste aller zivilisatorischen Herausforderungen ihren Weg ins kollektive Bewusstsein fand. Jetzt ist höchste Zeit, eine neue Zivilisation  jenseits des fossilen Industrialismus auf den Weg zu bringen. Eine neue Epoche klopft an die Tür – Krisen markieren den Übergang. Hören wir den Ruf der Zukunft. Der Mensch ist ein Zukunftswesen. Er/sie kann das!

Text Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher, www.horx.com
Foto Klaus Vyhnalek, www.vyhnalek.com

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