green logistics
Deutschland Transport & Logistik

Gut geliefert, grün geliefert

26.08.2021
von Rüdiger Schmidt-Sodingen

Mit dem Siegeszug des E-Commerce steht die Liefer- und Logistikbranche vor neuen Möglichkeiten und Herausforderungen. Die Stichworte »Green Logistics« und »Circular Economy« bewegen dabei nicht nur ein paar Firmenmitarbeitende. Auch die Kunden:innen wollen wissen, was ihre Bestellung auslöst und für die Umwelt und Mitmenschen bedeutet.

Wer einmal an einem stürmischen Wintertag im Elterntaxi den Nachwuchs zur Schule kutschiert und dabei von einem Passanten die Worte »Laufen täte dem Kind auch mal gut« kassiert hat, ahnt vielleicht etwas von den Herausforderungen grüner Logistik.

Seit Jahren kämpft die Logistikbranche für umweltgerechte, ressourcenschonende Prozesse, die Waren nicht nur von A nach B bewegen, sondern die gesamte Logistik hinsichtlich ihrer ökologischen, ökonomischen und sozialen Verantwortung neu und nachhaltig aufstellen. Die Forderungen und Anforderungen von außen und innen sind dabei immens. Bitte keine Abgase, bitte weniger Verpackung, bitte weniger Wege. Aber auch: Bitte kostengünstig, wobei die Mitarbeitenden aber bitte gut bezahlt werden sollen. Wie passt das alles zusammen?

»Ganzheitliche Betrachtung«

Wo andere Branchen immer noch an einzelnen Stellschräubchen drehen, um einige Bereiche gar nicht erst anschauen oder ändern zu müssen, hat die Logistikbranche früh erkannt, dass es ohne Weitsicht und Transparenz nicht geht. »Eine ganzheitliche Betrachtung der Logistik ist anzustreben«, schrieben schon 2014 Professor Dr. Carsten Deckert und Professorin Dr. Elisabeth Fröhlich von der Cologne Business School in der Zeitschrift Supply Chain Management.

»Einerseits«, so formulierten es Theresa Schleicher und Janine Seitz im Retailreport 2016 des Frankfurter Zukunftsinstituts, »wird die Sensibilität in der Gesellschaft für nachhaltiges Konsumieren und Wirtschaften immer stärker. Andererseits lässt man sich immer öfter Produkte liefern – im Wissen, dass dies für ein größeres Verkehrsaufkommen und höheren CO2-Ausstoß sorgt.« Schleicher und Seitz nahmen dabei auch Ansätze wie »Slow Logistics«, kleine Logistik-City-Hubs und ökologische Verpackungsmaterialien unter die Lupe, die, spätestens seit der Coronapandemie, zwingender denn je sind – und sich auch in das 9R-Rahmenkonzept fügen, das 2017 von Julian Kirchherr, Denise Reike und Marko Hekkert in ihrer Analyse »Conceptualizing the Circular Economy« formuliert wurde.

EU-Verordnung zum grünen Fußabdruck

Die Post- und Paketwagen haben sich während Corona zu festen Freunden vieler Haushalte und Menschen entwickelt, der E-Commerce ist zum Muss fast jedes noch so kleinen Händlers geworden. Viele Menschen konnten binnen der letzten anderthalb Jahre selbstkritisch beobachten, wie sich ihr Konsum urplötzlich verändert hat – und die Postwagen fast täglich vor der Haustür hielten, um Lebens-, Genuss- und Haushaltsartikel zu überbringen. Die anschließende Entsorgung der Pappverpackungen in den Altpapiercontainer durch den Konsumenten ist aber erst der Anfang.

Die Europäische Kommission will Unternehmen mittels einer Verordnung verpflichten, ihren grünen Fußabdruck plausibel und überzeugend darzulegen. Die kurz vor der Annahme stehende Initiative sieht vor, »dass Unternehmen ihre Angaben zum ökologischen Fußabdruck ihrer Produkte und Dienstleistungen anhand standardisierter Quantifizierungsmethoden belegen sollen.« Ziel sei es, die entsprechenden Angaben »in der gesamten EU zuverlässig, vergleichbar und überprüfbar zu machen«. 

Wie sehr die Kunden mittlerweile bei der Logistik auch nach dem »Wie« fragen, belegt der abschließende Satz, mit dem die Initiative seitens der EU bewertet wird. Sie dürfe, heißt es, »gewerblichen Abnehmern und Anlegern helfen, nachhaltigere Entscheidungen zu treffen, und das Vertrauen der Verbraucher in Umweltzeichen und umweltrelevante Informationen zu stärken.«

Einbindung lokaler Strukturen

Ohne das Vertrauen des Verbrauchers, bei dem es nicht um die primäre Leistung eines bestellten Produkts oder der Lieferung geht, sondern eben auch um die Gesamtökobilanz, wird in Zukunft kein Unternehmen etwas ausliefern können. Dass die sekundären Merkmale einer Lieferung, also die Umstände samt Folgen für Umwelt und Gesellschaft, so in den Fokus geraten, wäre vor zehn Jahren vielleicht noch undenkbar gewesen. Einige Webshops arbeiten bereits mit Informationen, die sämtliche Aspekte einer Produktbestellung inklusive Lieferung in Emissionen oder Folgekosten umrechnen. Wie sehr belastet das, was ich haben möchte, meine Umwelt und die Gemeinschaft?  

Im Winter 2019 riet das kanadische Magazin Chatelaine erstmals dazu, beim bevorstehenden Weihnachtsshopping die langsamste Lieferoption zu wählen, Bestellungen zusammenzufassen, Rücksendungen zu vermeiden und dieselben Dinge nicht über mehrere Kanäle zu kaufen, also on- und offline. Auch die Logistikanbieter sind längst dabei, eigene umweltverträgliche Antworten zu finden. Mit der Einbindung lokaler Strukturen und gemeinschaftlicher Netzwerke sollen unnötige Anfahrten bei der »letzter Meile« verkürzt oder gar aufgehoben werden. Zudem erlaubt eine ständige Analyse neuester Daten kurzfristige Lager- oder auch Lieferänderungen zugunsten kürzerer Wege und weniger Emissionen.

Eine grüne Logistik kann nur funktionieren, wenn die Endkunden mitspielen und die gesellschaftliche und grüne Verantwortung mit übernehmen. Ein Produkt kann seinen Weg nicht alleine zum Verbraucher laufen, aber es kann dank seiner bewusst gewählten »Circular Economy«-Strukturen um etwas scheinbar Altmodisches werben, das schon immer nachhaltig war: Kundentreue. 

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