mädchen läuft den weg zur windenergie
iStockphoto/kamisoka
Editorial Bildung

Einer flexiblen Arbeitswelt steht eine flexible Weiterbildung gegenüber

14.10.2022
von SMA
Bernhard Grämiger, Direktor Schweizerischer Verband für Weiterbildung (SVEB)

Bernhard Grämiger
Direktor Schweizerischer Verband
für Weiterbildung (SVEB)

Der Begriff «New Work» wurde zwar bereits in den 60er-Jahren geprägt, Wirklichkeit geworden ist er jedoch erst heute. Die Arbeitswelt, wie wir sie gegenwärtig erleben, durchläuft einen dramatischen Wandel hin zu flexiblen Modellen. Befördert von der Digitalisierung, aber auch durch den Wunsch einer jüngeren Generation von Arbeitnehmenden nach Sinnhaftigkeit, werden starre und hierarchische Strukturen mehr und mehr verflüssigt zugunsten von agilen Modellen mit nicht selten selbstständig handelnden Teams.

Diese Flexibilisierung der Arbeitswelt erfolgt jedoch nicht von ungefähr. Unternehmen setzen auf Agilität, um rascher auf Veränderungen reagieren zu können. Die Zukunft ist unberechenbar wie selten zuvor. Nicht allein Ereignisse wie die Coronapandemie oder der Krieg in der Ukraine haben uns gelehrt, dass man auch mit Undenkbarem, ja Unvorstellbarem rechnen muss. Der rasante technologische Wandel ist zudem eine Triebfeder stetiger Innovation, die von uns eine ständige Aktualisierung des Wissens verlangt. Sie greift auf allen Ebenen der Arbeitswelt und verändert die Kompetenzanforderungen selbst auf einfachsten Tätigkeitsstufen: Wer gestern noch routinemässig Arbeitsabläufe erledigt hat, sieht sich heute mit komplexeren Aufgaben im Umgang mit Robotern konfrontiert. Anstatt Handgriffe zu beherrschen, muss man kommunizieren können – sei es mit Künstlicher Intelligenz oder seinen Kolleginnen und Kollegen. 

Doch flexibler ist nicht allein die Arbeitswelt geworden. Auch unsere Lebensentwürfe verlaufen längst nicht mehr für alle in den althergebrachten Bahnen. Phasen des Arbeitens können durch längere Auszeiten unterbrochen werden, die dem Lernen dienen oder auch einer Reise. Und eine völlige Neuorientierung der beruflichen Tätigkeit ist inzwischen auch im fortgeschrittenen Alter möglich – und manchmal gar notwendig. Der sich laufend zuspitzende Fachkräftemangel rückt viele Personengruppen wieder in den Fokus von Unternehmen. Dazu gehören ältere Arbeitnehmende, aber auch Frauen nach der Kinderphase. Es ist eine Chance für viele – sofern die Unternehmen entsprechend in die Förderung dieser Menschen investieren.

Wir sind also freier geworden in der Gestaltung unserer Biographien. Aber diese Freiheit bedeutet auch, dass Lernen zu einem selbstverständlichen Bestandteil des Lebens werden muss. Und für die Arbeitgeber bedeutet dies: Weiterbildung gehört als unabdingbares Element in die Unternehmensstrategie.

Dies setzt wiederum ein Weiterbildungsangebot auf der Höhe der Zeit voraus. Auf die flexible Arbeitswelt und die mehr und mehr individuelle Lebensgestaltung antworten die Weiterbildungsanbieter ihrerseits mit Flexibilisierung und Individualisierung. Der Digitalisierungsschub, den die Weiterbildung während der Coronapandemie erfahren hat, ist nachhaltig. Die Weiterbildungsanbieter haben ihre Angebote stark diversifiziert und tun dies weiter. Sie folgen damit sowohl den Bedürfnissen der individuellen Weiterbildungsteilnehmenden wie auch den Bedürfnissen der Unternehmen nach Lösungen, die den jeweiligen Erfordernissen angepasst sind.

Eine Mischung aus Präsenz- und Online-Angebot ist heute üblich. Zudem kann man sich seinen persönlichen Weiterbildungsplan aus vielerlei Bestandteilen zusammensetzen. Dazu gehören vertiefte Weiterbildungen, aber auch Kurzseminare oder Workshops zu punktuellen Themen. Und nicht zuletzt ist auch das Peer-Learning, das Lernen von den Mitlernenden, ein wichtiges Element in diesem lebenslangen Lernprozess. Viele Weiterbildungsanbieter haben denn auch entsprechende Formate des kollaborativen Lernens entwickelt.

Lebenslanges Lernen ermöglicht, mit einer herausfordernden Gegenwart umzugehen.

Diese Freiheit – die Wahlfreiheit – birgt aber auch eine Gefahr. Die Welt der Weiterbildung wird deutlich vielfältiger und es kann anspruchsvoll sein, den richtigen Weg zu finden. Die Möglichkeit des selbstgesteuerten Lernens beispielsweise setzt voraus, dass man über Inhalte und Ziele seiner Lernaktivität Bescheid weiss.

Die Weiterbildungsanbieter sind sich dessen bewusst. Sie haben die Notwendigkeit einer stärkeren Beratungstätigkeit erkannt, um Bildungsziele und Angebote einander anzupassen. Coaching und Wissensvermittlung fliessen nicht selten ineinander, was wiederum nur möglich ist, wenn individuelle und flexible Angebote vorhanden sind. Selbstredend setzt dies entsprechend geschultes Personal in der Weiterbildung voraus. Die Anpassung von Programmen für Ausbildende in der Weiterbildung wie etwa die Revision der Module zur Erlangung des vom SVEB getragenen Eidgenössischen Fachausweises Ausbilder:in vollzieht sich vor diesem Hintergrund.

Eine Weiterbildungs- oder Studienberatung ist nicht zuletzt auch für Erwachsene sinnvoll, die bereits über grosse Erfahrung verfügen. Denn wichtig ist bei der Wahl der richtigen Weiterbildung nicht nur das Ziel, das man anstrebt, sondern auch die Betrachtung des Weges, den man bereits gegangen ist. Lebenslanges Lernen ist die schrittweise Ergänzung von Kompetenzen, die es uns ermöglichen, mit einer herausfordernden Gegenwart umzugehen, aber auch auf Unerwartetes reagieren zu können. Die Basis dafür ist die Kompetenz des Lernens an sich, was Lernagilität, Veränderungsbereitschaft und Anpassungsfähigkeit beinhaltet. Diese Fähigkeiten sind wohl nichts Neues. Neu ist ihre fundamentale Bedeutung in einer Welt, die wir mit dem Akronym VUKA umschreiben, was soviel wie Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität heisst. In einer Welt kurz gesagt, in der man nicht mehr einfach vom Heute auf das Morgen schliessen kann, in der aber auch Neuanfänge und Perspektivenwechsel möglich sind.

Text Bernhard Grämiger  

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Vorheriger Artikel Einblick in den Arbeitsmarkt von gestern und morgen
Nächster Artikel Unternehmen im Wandel